Boden lässt sich weder vermehren noch verschieben – und genau deshalb bewegt er seit jeher die Menschen. Wem gehört das Land? Wie wird Grundbesitz verteilt? Geht das gerecht zu? Welche Rolle soll der Staat auf diesem besonderen Markt übernehmen?
Fragen wie diese haben schon Revolutionen und Kriege ausgelöst – und sie sind auch im Jahr 2019 hochaktuell: Gestern Samstag wurde in Berlin ein Volksbegehren initiiert, das private Immobiliengesellschaften enteignen will, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen. Das Ziel: tiefere Mieten.
In der Schweiz ist ebenfalls eine Initiative hängig, die «mehr bezahlbare Wohnungen» fordert. Das Volksbegehren, das voraussichtlich 2020 an die Urne kommt, verlangt, dass der Bund das Angebot an preisgünstigen Mietwohnungen in Zusammenarbeit mit den Kantonen fördert. Mindestens zehn Prozent des neu gebauten Wohnraums sollen in Zukunft im Eigentum von Trägern des gemeinnützigen Wohnungsbaus sein.
Die teuren Grundstücke landeten bei Privaten
Je mehr Boden die öffentliche Hand besitzt, desto einfacher liesse sich dieses Ziel erreichen. Recherchen von SonntagsBlick zeigen jedoch: Die Entwicklung geht mancherorts in die entgegengesetzte Richtung. In den vergangenen zehn Jahren haben die Kantone Land und Immobilien im Wert von mindestens 1,1 Milliarden Franken veräussert – Verkäufe im Baurecht nicht mitgerechnet. In Wahrheit dürfte die Summe gar noch höher sein, sechs Kantone (AR, BL, FR, GL, SG, VS) lieferten keine Zahlen.
Die insgesamt 1,1 Milliarden teuren Grundstücke, deren Verkauf bestätigt wurde, landeten grösstenteils in der Hand von Privaten. Mindestens zwei Drittel der verkauften Immobilien gehören nun nicht mehr der Allgemeinheit, sondern Privatpersonen oder kommerziellen, gewinnorientierten Anlegern. Genaue Zahlen lassen sich nicht ermitteln, weil in einigen Kantonen die entsprechenden Daten fehlen (siehe Grafik rechts).
Jacqueline Badran (57, SP) beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Wohn- und Baupolitik. Die Zürcher Nationalrätin findet die Verkäufe skandalös: «Der Verkauf von öffentlichem Grund und Boden an Kommerzielle ist eine Veruntreuung von Volksvermögen.»
Grosse Unterschiede bei den Kantonen
Was auffällt: Zwischen den Kantonen gibt es grosse Unterschiede. Bern, Solothurn und Zürich – für mehr als zwei Drittel der bestätigten Immobilienverkäufe verantwortlich – schwingen obenaus; 73 Prozent ihrer Veräusserungen gingen nicht an Gemeinden. Wie erklären die Verantwortlichen diese fragwürdigen Höchstwerte?
Die Zürcher Baudirektion verweist auf das riesige Liegenschaftenportfolio des Kantons, das einen Anschaffungswert von über 15 Milliarden Franken habe. «Angesichts dessen haben wir nicht überproportional viele Liegenschaften veräussert», sagt Kommunikationsleiter Dominik Bonderer. Zudem veräussere man ausschliesslich Liegenschaften, für die dauerhaft kein gesetzlicher Verwendungszweck bestehe.
Solothurn begründet die Spitzenposition unter anderem mit dem Verkauf einer ehemaligen Strafanstalt, auf deren Boden rund 160 neue Wohneinheiten entstehen würden. Neuer Eigentümer: der Versicherungskonzern AXA. Von einer Veruntreuung von Volksvermögen will Guido Keune, stellvertretender Kantonsbaumeister, nichts wissen: «Die Verwertung von Grundstücken – ob Baurecht oder Verkauf – wird immer sehr sorgfältig geprüft.» Der volkswirtschaftliche Nutzen stehe dabei im Vordergrund.
Der Berner Baudirektor Christoph Neuhaus (52, SVP) wiederum betont, dass der Kanton sein Portfolio laufend optimiere und entwickle. «Dazu gehört auch der Verkauf von nicht mehr verwendeten Grundstücken und Gebäuden.» Selbst an Toplagen wie der unteren Altstadt in Bern hat der Kanton in den vergangenen Jahren mehrere Liegenschaften veräussert – an die Meistbietenden.
Badran: «Grundbesitz zahlt sich aus»
An Jacqueline Badran gewandt, meint Neuhaus: «Da der Ertrag in die allgemeine Berner Staatskasse fliesst, müsste sie als Unternehmerin beziehungsweise Wirtschafterin eigentlich wissen, dass sie sich mit der Unterstellung einer ‹Veruntreuung› ordentlich vergaloppiert hat.»
Badran schüttelt da nur den Kopf: «Würde der Kanton die Immobilien selber entwickeln und behalten, würde es ihm laufend Erträge in die Staatskasse spülen und die riesigen Wertsteigerungen blieben im Volksvermögen.» Grundbesitz zahle sich langfristig immer aus – insbesondere wenn die Bevölkerung so stark wachse wie in der Schweiz.