Darum gehts
- Frühfranzösisch-Abschaffung in Appenzell Ausserrhoden, andere Kantone könnten folgen
- FDP möchte Fremdsprachen aus der Primarstufe streichen
- Vier Organisationen fordern Beibehaltung des Unterrichts einer zweiten Landessprache
Fertig mit Frühfranzösisch! In Appenzell Ausserrhoden ist das seit März beschlossene Sache. Bald könnten weitere Kantone folgen. Denn der Französischunterricht in der Primarschule steht auf dem Prüfstand. In fast allen Deutschschweizer Kantonen sind entsprechende Vorstösse eingegangen. Die Bildungspolitik gerät massiv unter Druck: Ist das Frühfranzösisch ein Debakel?
Einer, der sich pointiert äussert, ist Patrick Keller. Der Präsident des kantonalen Lehrerinnen- und Lehrerverbands St. Gallen findet, man müsse über die Bücher gehen und prüfen, ob es bessere Lösungen gibt: «Befriedigend ist die jetzige Situation nicht.»
Die Schulen beginnen bereits früh mit dem Fremdsprachenunterricht. Die erste Fremdsprache wird meist in der 3. Klasse in den Stundenplan aufgenommen, die zweite folgt ab der 5. Klasse. «Ein Teil der Jugendlichen und Kinder ist damit überfordert», sagt Keller. Aus seinem Berufsalltag als Französischlehrer an einer Oberstufe weiss er, dass die zweite Fremdsprache für viele eine grosse zusätzliche Hürde darstellt. Da Englisch in vielen Deutschschweizer Kantonen Priorität hat, ist die zweite Fremdsprache häufig die Landessprache Französisch.
Weg mit Frühfranzösisch!
Auch immer mehr Politikerinnen und Politiker sehen Probleme. Vor allem die FDP nimmt die Frühfremdsprachen ins Visier. Aus ihrer Sicht gehören überhaupt keine Fremdsprachen in die Primarstufe. Zuerst soll die erste Landessprache richtig sitzen, bevor eine zweite oder dritte dazukommt – so steht es in einem Positionspapier von 2024.
Seither scheint die Debatte rund um den Sprachunterricht wieder richtig Fahrt aufgenommen zu haben. Thurgau, Schwyz, Bern, Aargau, Luzern, St. Gallen – die Liste der Kantone, die sich aufgrund von Vorstössen mit dem Frühfranzösisch befassen, ist lang. Doch warum wurde diese Form des Sprachenlernens überhaupt eingeführt, wenn sich heute so viele dagegen wehren?
Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) legte diese Sprachenstrategie 2007 im Rahmen des Harmos-Konkordats fest. Diese Vereinbarung bildet die Grundlage für den Lehrplan 21. Ziel war es, die obligatorische Schule kantonsübergreifend zu vereinheitlichen. Festgehalten wurde dabei, dass landesweit ab der Primarschule zwei Fremdsprachen unterrichtet werden sollen – jeweils eine Landessprache und Englisch.
Man sei jedenfalls offen für Gespräche, heisst es beim Lehrerverband St. Gallen. Präsident Keller hat sogar mehrere Lösungsansätze parat: «Man könnte zum Beispiel den Französischunterricht in die Oberstufe verschieben oder Französisch in der Primarschule einfach als Wahlfach für stärkere Schülerinnen und Schüler anbieten.» Was für Keller jedoch nicht infrage käme, wäre die komplette Abschaffung des Französischunterrichts. «Alle Schülerinnen und Schüler müssen mit der zweiten Landessprache in Berührung kommen.»
Auch ist es dem Lehrervertreter ein Anliegen, dass die Harmonisierung zwischen den Kantonen weiterhin besteht. «Für uns als Verband ist wichtig, dass Harmos nach wie vor in Kraft bleibt», sagt Keller. Ein Hickhack unter den Kantonen, bei dem am Ende jeder eine andere Lösung verfolgt, wäre nicht förderlich und würde nur zu weiteren Problemen führen.
«Bedrohung für das sprachliche Gleichgewicht»
Es gibt aber auch Stimmen, die sich vehement gegen die aktuellen Entwicklungen in der Bildungspolitik wehren. So veröffentlichten vier Organisationen Ende vergangener Woche eine gemeinsame Stellungnahme: das Forum für Zweisprachigkeit, das Forum Helveticum, Helvetia Latina und Coscienza Svizzera. Sie fordern von den Kantonen und Bildungsinstanzen «die Beibehaltung des Unterrichts einer zweiten Landessprache auf der Primarstufe in allen Schweizer Kantonen».
Die Organisationen pochen dabei vor allem auf das Französische als Landessprache, nicht auf den frühen Fremdsprachenerwerb generell. Sie argumentieren, dass das Erlernen des Französischen entscheidend für den nationalen Zusammenhalt sei. «Die wiederholte Infragestellung des Französischunterrichts durch verschiedene deutschsprachige Kantone stellt eine Bedrohung für das sprachliche Gleichgewicht und die Stabilität des Bundesstaats dar», warnen sie.