Wenn New York die Stadt ist, die niemals schläft, dann ist Bern das Dorf, das niemals aufwacht. Wohlig dämmert es vor sich hin. Die Sandsteinfassaden verströmen puppenstubige Behaglichkeit, selbst in den hippen Quartieren herrscht zeitloses Schlurfen. Umfasst von der Aareschlaufe fühlen sich die Menschen behütet wie in den Armen einer altgedienten Amme.
Tatsächlich ist die Aarestadt eine Ammenstadt. Ihre Einwohner wissen und erwarten ab Geburt, dass für sie gesorgt wird. Und wehe, wenn mal nicht! Dann täubelen sogar vermummte Randalierer. An der pro-palästinensischen Krawalldemo im Oktober beschwerten sich eingekesselte Teilnehmer darüber, dass die Polizei ihren Wunsch nach Wolldecken nicht erfüllte. Wie reagierte der grüne Sicherheitsdirektor, vormals Stadtpräsident? Er warnte vor mehr Überwachung potenzieller Chaoten (und nannte dies eine «liberale» Haltung).
Ungezogener Young Boy trifft starken Mann
Kein Wunder, kommen militante YB-Fans auf die Welt, wenn sie mal in die Welt hinaus kommen. «Das wäre in der Schweiz nie passiert», jammerte einer der Verhafteten, mit denen die englische Polizei beim Auswärtsspiel in Birmingham ernst machte. Ungezogener Young Boy gerät an starken Mann, sorry.
Am besten also gar nie die Stadt verlassen. Als ich es vor über 35 Jahren dennoch tat und nach Zürich zog, fragten mich Kollegen noch Jahre später: «Ändu, wenn chunnsch wider hei?» Ich tat es, ausser für Besuche, nicht. Ich kenne Bern also nicht mehr gut, es ist mehr Erinnerung als eigenes Erleben. Aber ich habe den Verdacht, dass dies keinen grossen Unterschied macht.
«Glas verheit, Bärn besteit» ist auf antiken Wasserkaraffen aus dem ganz alten Bern eingraviert. Mag sich alles rundherum in heller Aufregung verändern, besonders dieses Züri – Bern bleibt Bern. Geng wie geng, nume nid gsprängt (ausser vor der Reitschule).
Friede den Schrebergärten, Krieg den Palästen!
Die Stadt genügt sich selbst. Hopp YB, hopp SCB, einmal im Jahr Zibelemärit und dann und wann ein neuer Song von Patent Ochsner. Was will man mehr? «Bälpmoos, schpick mi furt vo hie» ist die inoffizielle Hymne der Berner. Sie ahnen zwar, dass sie es in ihrer Behäbigkeit nie tun werden, doch allein den Gedanken daran finden sie mutig.
Wer das kleine Glück pflegt, träumt gerne gross. Friede den Schrebergärten, Krieg den Palästen! Warum also nicht den Bonzen das Geld wegnehmen und die Welt gerechter, solidarischer, nachhaltiger, im weitesten Sinn bernischer machen? Besonders dann, wenn man wie in der Beamtenstadt Superreiche nicht einmal aus der Ferne kennt und die Nachbarn und Freunde beim Staat angestellt sind wie man selbst.
Die linke Anderthalbfarbigkeit ist erdrückend
Bern hat als einzige Schweizer Gemeinde, neben dem 34-Seelen-Dorf Schelten, die Erbschaftssteuer-Initiative angenommen. 50,75 Prozent Ja (national: 78,3 Prozent Nein). Die Bundesstadt, die sich nicht Hauptstadt nennen darf und sich trotzdem als Nabel der Welt sieht, stimmt eklatant an der Schweizer Mehrheit vorbei. Wenig überraschend versammelten sich die Juso am Abstimmungssonntag im Berner Kulturzentrum Progr, sie feierten das Debakel wie einen Triumph. Bern bietet Weltfremden ein Heimatgefühl.
In der Stadt ist man stolz darauf, ausserhalb wundert man sich schon nicht mehr. Bern ist eben nicht die «Gelateria di Berna», die eine grosse Auswahl an Glacesorten führt. Bern bietet nur Rot-Grün. Das rechteste Mitglied der Stadtregierung ist eine Grünliberale. Einst gab es den bürgerlichen Filz, der war auch übel. Aber Filz wird nicht besser, wenn er die Couleur wechselt und nach Moralinsäure müffelt. Seit Jahren herrscht erdrückende linke Anderthalbfarbigkeit. Dass dieses Milieu in Endlosschleife dominiert, ist keine politische Zwangsmassnahme. Die Einheimischen wollen es so. Äuä de scho.
In der WG namens Bern lebt es sich gäbig
Die Stadt Bern ist zur WG geworden. Manchmal streitet man sich darüber, wer das Joghurt im Kühlschrank schon wieder hat verschimmeln lassen. Aber dass es bio-vegan sein muss, darüber herrscht Konsens. Noch ausdiskutiert werden muss, ob städtische Abgabestellen für Gratis-Joghurts angebracht wären. Über der Wohnungstür steht: Nehmen macht seliger denn Geben.
Wer hier lebt, lebt gäbig. Wer kurz hereinschaut, geht gern ein Haus weiter.