Darum gehts
- Benedikt Weibel kritisiert deutsche Verkehrspolitik und Deutsche Bahn scharf
- Weibel sieht kollektives Versagen und eklatantes Defizit an Bahn-Sachverstand
- Pünktlichkeit im Fernverkehr: Deutsche Bahn 62 Prozent, Schweizer Bahnen 93 Prozent
Er war der mächtigste Bähnler der Schweiz – jetzt rechnet Benedikt Weibel (78) mit der deutschen Verkehrspolitik ab. Im Interview mit der «Zeit» zieht der frühere SBB-Chef und Westbahn-Verwaltungsratspräsident gnadenlos Bilanz: Die Deutsche Bahn? Ein Sanierungsfall! Das Management? Nicht geeignet! Er spricht von «kollektivem Versagen» und einem «eklatanten Defizit».
Die deutsche Wochenzeitung befragte Weibel dazu, weil die neue Regierung des designierten CDU-Bundeskanzlers Friedrich Merz (69) den Bahnverkehr wieder zuverlässig machen will. Als Vorbild gilt die Schweiz.
Grundlegende Probleme in Betrieb und Infrastruktur sind laut Weibel schlicht vernachlässigt worden. Die Deutschen sollten sich stärker am erfolgreichen Schweizer Modell mit Taktfahrplänen und konsequenter Netzoptimierung orientieren.
«Eklatantes Defizit an Bahn-Sachverstand»
Die Deutsche Bahn stehe schlecht da, sagt Weibel, «das ist schon ein Drama». Man habe bei der Bahn «die höchste Priorität in diesem Geschäft vernachlässigt, nämlich für die Infrastruktur Sorge zu tragen». Weibel schonungslos: «Das ist ein kollektives Versagen, das man wirklich sehr schwer begreift und für das auch der Eigentümer Verantwortung trägt.» Damit äussert er auch deutliche Kritik am deutschen Staat.
Die nun angedachte Generalversammlung? Für Weibel nur «eine Art Notwehr». «Jetzt ist es die erste Priorität, das Schienennetz wieder auf einen guten Stand zu bringen», sagt er zur «Zeit». Und weiter: «Die Bahn hat seit Jahren ihren operativen Betrieb nicht mehr im Griff. Und ich muss sagen, es gibt auch im Vorstand ein eklatantes Defizit an Bahn-Sachverstand.»
Interessant: Die Deutsche Bahn gilt als notorisch unpünktlich. 2024 kamen im Fernverkehr nur 62 Prozent der Züge rechtzeitig an. Die Pünktlichkeit in der Schweiz betrug 93 Prozent.
Die Schweiz sei ja auch viel kleiner, heisst es in Deutschland gerne und oft. Doch dabei muss man wohl eher von einem «Schweiz-Irrtum» sprechen. Diesen entlarvt Weibel in der «Zeit»: «Dass das die Sache leichter macht, ist ein alter Irrtum.» Pünktlichkeit sei «in kleinen räumlichen Verhältnissen schwerer zu erreichen, weil man weniger Zeit hat, Verspätungen auf der Strecke wieder aufzuholen». Und das Netz der SBB sei schon aufgrund der Berge «mindestens so komplex» wie das der Deutschen Bahn. «Trotzdem fahren in der Schweiz viel mehr Züge pro Netzkilometer als in Deutschland.»