Erfolgsautor Boualem Sansal über den Islam
«Europa spielt in der Welt keine Rolle mehr»

In seinem neuen Buch «2084. Das Ende der Welt» zeichnet der algerische Schriftsteller Boualem Sansal ein düsteres Bild der Zukunft westlicher Gesellschaften. Der Islamismus werde Oberhand gewinnen und den Westen unterjochen. Sansal hat auch eine klare Meinung zur Schweizer Islampolitik.
Publiziert: 04.06.2016 um 19:50 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 07:35 Uhr
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Boualem Sansal, Autor des Buches «2084. Das Ende der Welt»
Foto: AFP
Interview: Guido Felder

Boualem Sansal, Sie kritisieren den Islam öffentlich. Darf man das überhaupt?
Boualem Sansal: Man kritisiert, um etwas zu verstehen, um etwas zu verbessern oder um zu helfen. Man kritisiert nicht, um zu beleidigen oder zu zerstören. Ich kritisiere nicht den Islam an sich, sondern seine oft boshafte Auslegung.

Was heisst für Sie boshafte Auslegung?
Es gibt viele Muslime, die sich unter dem Vorwand der Religion alles unterordnen wollen. Der Islam, der jegliche Vermittlung zwischen Mensch und Gott verbietet, muss aber Privatsache bleiben. Der öffentliche Raum muss neutral sein, weil er allen gehört.

Im Kanton Baselland weigern sich zwei muslimische Knaben, ihrer Lehrerin die Hand zu geben. Die Schulbehörden zwingen sie nun dazu. Was halten Sie davon?
Islamisten sind Meister der Manipulation. Wenn man sie machen lässt, missbrauchen sie die Freiheit; wenn man sie einschränkt, beklagen sie sich lautstark über Rassismus und Islamophobie. Sie verbreiten den Extremismus gerade auch über Kinder, weil man gegen diese kaum etwas unternehmen kann, ausser sie zu tadeln. Ich empfehle den Schulbehörden, eine breite Debatte auszulösen, damit die Bevölkerung sensibilisiert wird, Islamisten erkennt und sie meldet.

Was halten Sie vom Minarettverbot, das in der Schweiz beschlossen worden ist?
Es bringt nichts. Mo­scheen und Zitadellen baut man in den Köpfen der Menschen, was schlimmer ist. Vielmehr muss man die immer stärker werdenden extremen islamischen Strömungen bekämpfen. Das Verbot von religiösen Symbolen bewirkt das Gegenteil: Es stärkt extreme Tendenzen und nährt Diskussionen über deren Opferrolle. Es gibt auch dem Islamhass und dem Rassismus Auftrieb.

Mit der Flüchtlingswelle kommen viele Muslime nach Europa. Wie muss Europa mit den Migranten umgehen, wie muss man sich hier vor Extremismus schützen?
Im Vordergrund steht die humanitäre Hilfe, die wir diesen Menschen in Not leisten müssen. Dann geht es darum, ihnen bei der Rückkehr und beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen. Wenn die Flüchtlinge lange Zeit nicht nach Hause zurückkehren können, muss man ihnen den Flüchtlingsstatus anerkennen und sie unter den Schutz der Vereinten Nationen stellen.

Was halten Sie von der Willkommenspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel?
Es ist humanitäre Pflicht, Flüchtlinge in einem geordneten Rahmen aufzunehmen. Es ist kein Wettbewerb des Lächelns und der schönen Erklärungen, die zur Folge haben, dass Länder untereinander böse gegen gute Flüchtlinge austauschen. Wenn man die Flüchtlinge als Ware behandelt, darf man sich nicht wundern, wenn sie wütend werden und sich Kontrollen entziehen.

Muss man sich darauf einstellen, dass noch viel mehr Muslime nach Europa kommen?
Die Lage in der arabischen Welt ist katastrophal. Man muss sich tatsächlich darauf einstellen, dass der Strom unkontrollierbar wird. Es besteht ein hohes Risiko von Chaos in Europa und der arabischen Welt.

Wie kann man das stoppen?
Sicher nicht mit Grenzsperren. Die Krise muss durch enge Zusammenarbeit der USA und Russlands angegangen werden. Zuerst muss der «Islamische Staat» militärisch zerschlagen werden. Dann braucht es politische Unterstützung, um Wahlen in Syrien durchzuführen. Anschliessend muss man Länder wie Syrien, den Irak, die Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten, Israel, Jorda­nien, den Libanon, den Iran und die Palästinenser an einen Tisch bringen, um eine Lösung für den ganzen Nahen Osten zu finden.

Die Freude war gross, als der Arabische Frühling ausgerufen wurde. Doch statt Freiheit herrschen nun Chaos und Unterdrückung. Wünschen Sie sich Gad­dafi und Saddam Hussein zurück?
Das ist weder möglich noch wünschenswert. Es gibt nur langfristige Lösungen: Man muss helfen, dass sich die zerstrittenen Gruppierungen mit Kompromissen finden. Es braucht viel Geduld, um einen Rechtsstaat aufzubauen.

Was kann Europa da bewirken?
Bei diesem Spiel ist Europa nicht gefragt. Es hat weder Glaubwürdigkeit noch Berechtigung. Europa hat zu lange gezaudert und zu spät gehandelt. Man muss beachten, dass Europa in der Welt keine Rolle mehr spielt. Alles, was es tun muss, ist zuerst einmal die eigenen Probleme lösen.

Träger des Friedenspreises

Boualem Sansal (66) ist der bekannteste frankofone Schriftsteller Afrikas. Geboren in Algerien, ist er in einer islamischen Gesellschaft aufgewachsen, betrachtet sich aber als

säkular. 2011 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Preisrede hielt der Innerschweizer Autor Peter von Matt. In «2084. Das Ende der Welt», das nun auch auf Deutsch

erscheint, warnt Sansal vor dem aufkommenden Islamismus. Dessen Anhänger wollen laut Sansal den Westen besiegen, indem sie ihn dazu bringen, sich selbst zu spalten. Die

Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen in Deutschland hält er für gefährlich: «Deutschland war komplett naiv. Und langfristig ist Deutschland das Land, das am meisten bedroht ist. Es ist aufgrund der Kriegserfahrung eine extrem tolerante Gesellschaft. Das wird ausgenützt.» 

Algerischer Autor Sansal erhält den Friedenspreis
Algerischer Autor Sansal erhält den Friedenspreis
sda

Boualem Sansal (66) ist der bekannteste frankofone Schriftsteller Afrikas. Geboren in Algerien, ist er in einer islamischen Gesellschaft aufgewachsen, betrachtet sich aber als

säkular. 2011 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Preisrede hielt der Innerschweizer Autor Peter von Matt. In «2084. Das Ende der Welt», das nun auch auf Deutsch

erscheint, warnt Sansal vor dem aufkommenden Islamismus. Dessen Anhänger wollen laut Sansal den Westen besiegen, indem sie ihn dazu bringen, sich selbst zu spalten. Die

Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen in Deutschland hält er für gefährlich: «Deutschland war komplett naiv. Und langfristig ist Deutschland das Land, das am meisten bedroht ist. Es ist aufgrund der Kriegserfahrung eine extrem tolerante Gesellschaft. Das wird ausgenützt.» 

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