Nach Polit-Entscheid
Richter fassen Raser nun sanfter an

Ein Raser im Tessin erhält statt einer Freiheits- eine Geldstrafe. Das Bundesgericht bestätigt das Urteil des Appellationsgerichts, das der neuen Regelung seit Oktober 2023 entspricht.
Publiziert: 14.10.2024 um 12:02 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2024 um 18:16 Uhr
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Die Gerichte erhalten bei Raserdelikten mehr Ermessensspielraum. (Symbolbild)
Foto: Kantonspolizei Wallis

Auf einen Blick

  • Raser im Tessin erhält bedingte Geldstrafe statt Freiheitsstrafe
  • Bundesgericht bestätigt das Urteil des Appelationsgerichts
  • Neue Regelung seit Oktober 2023 gibt Gerichten mehr Spielraum
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Noch vor einem Jahr hätte den Mann ein schärferes Urteil erwartet. Ein im Tessin erwischter Raser erhält statt der erstinstanzlich ausgesprochenen bedingten Freiheitsstrafe nur noch eine bedingte Geldstrafe. Das Bundesgericht bestätigt dieses Urteil des Appellationsgerichts. Es entspricht der im Oktober 2023 in Kraft getretenen neuen Regelung.

Es ist das erste Mal, dass das Bundesgericht ein Entscheid nach der neuen Regelung gefällt hat. Diese sieht – nach einigem Hin und Her im Parlament – zwar vor, dass Raserdelikte künftig auch weiterhin mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Fahrausweisentzug von zwei Jahren rechnen müssen. Wie der Bundesrat damals aber mitteilte, haben die Gerichte seither mehr Spielraum, um die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und unnötige Härten zu vermeiden.

Ersttäter können mit Geldstrafe bestraft werden

Im konkreten Fall war der Lenker mit Vollgas auf der Autobahn A2 unterwegs: mit 188 km/h auf dem Tacho, obwohl nur 100 erlaubt waren. Ein klarer Fall von Raserei. Doch anstatt hinter Gitter zu gehen, kam er mit einer bedingten Geldstrafe davon. So entschied das Tessiner Appellationsgericht im vergangenen November. 180 Tagessätze anstelle der erstinstanzlich verhängten zwölf Monate auf Bewährung. Die Busse wurde sogar verdoppelt – von 500 auf 1000 Franken. 

Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde beim Bundesgericht ein, doch dieses bestätigte das Strafmass. Es betonte, dass die neue Regelung den Richtern bei Ersttätern mehr Spielraum lässt und keine zusätzlichen mildernden Gründe für deren Anwendung erforderlich sind. 

Voraussetzung dafür ist, dass sie in den letzten zehn Jahren keine schweren Verkehrsdelikte begangen haben. Mit dem Spielraum können die Gerichte milder urteilen, wenn keine groben Verstösse vorliegen.

Parlament krebste zurück

Eigentlich wollte das Parlament noch weitergehen, den Raser-Artikel massiv aufweichen und die Mindeststrafe für Raser ganz abschaffen. 2022 stimmten National- und Ständerat dafür, die Mindeststrafe aus dem Gesetz zu streichen und den obligatorischen Führerscheinentzug auf zwölf Monate zu senken. Schliesslich sei nicht jeder Temposünder gleich ein Raser, so die Argumentation. Die Gegenseite sprach von einem Sieg der Autolobby. Und davon, dass man dem Rasertatbestand damit die Zähne ziehen würde.

Doch der Gegenwind war heftig: Die Stiftung Roadcross, die Unfallopfer vertritt, drohte mit dem Referendum. Die Empörung war gross. Auch Blick warnte damals vor zu weitreichenden Lockerungen. Mit Erfolg: Ein knappes Jahr später haben es sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier anders überlegt. Sie krebsten zurück.

Die Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis für Raser bleibt. Es gibt aber Ausnahmen, Gerichte können seit vergangenem Oktober auch milder urteilen: einerseits für Personen, die keinen Eintrag im Strafregister haben wegen Verletzung der Verkehrsregeln. Und andererseits, wenn man «aus achtenswerten Gründen» viel zu schnell gefahren ist. Zum Beispiel, wenn ein Mann seine Frau, die in den Wehen liegt, mit Karacho ins Spital fährt.

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