Editorial von Reza Rafi
Eine politische Fahrlässigkeit

Ausgerechnet nach dem Nein zur Begrenzungsinitiative reden Politiker den Rahmenvertrag tot. Worauf stützen sie sich eigentlich?
Publiziert: 03.10.2020 um 23:51 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2020 um 10:34 Uhr
Reza Rafi, Stv. Chefredaktor SonntagsBlick
Foto: Anja Wurm
Reza Rafi

Eine lieb gewordene Gewohnheit von Schweizer Politikern feiert fröhliche Urständ: das Totsagen des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU. Dessen Mängel sind, von der Unionsbürgerrichtlinie bis zum Lohnschutz, bereits ausgiebig seziert worden; dennoch garantiert das Ritual noch immer Schlagzeilen.

Letzte Woche gelang dies Gerhard Pfister, dem CVP-Präsidenten, um den Inlandjournalisten einen eigenartigen Kult betreiben. Keiner wird andächtiger porträtiert, begleitet und gespürt als der Zuger. Pfister, der konservative Schöngeist. Pfister, eine Art helvetisch verschnittener Philosophenkaiser des Parlaments.

Vielleicht spielt sein Zaudern mit dem christlichen C eine Rolle, vielleicht sein Doktortitel («Die Studie versucht zu zeigen, dass Peter Handkes Werke mehrheitlich inadäquat rezipiert werden, weil moderne Theorien der Ästhetik in der zeitgenössischen Literaturkritik nur eine untergeordnete Rolle spielen», heisst es über seine Dissertation).

Nun hat also auch Pfister die Leblosigkeit des «InstA» festgestellt. «Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes ist toxisch», sagte er den Tamedia-Zeitungen, die Souveränitätsfrage bemühend. Nur: Worauf stützt er sein Urteil eigentlich? Toxisch, dies zur Erinnerung, ist beispielsweise der Grüne Knollenblätterpilz. Oder eine Überdosis Zuger Kirsch. Die Chancenlosigkeit des Abkommens hingegen ist eine Bundesberner Hypothese, der durch ständige Wiederholung das Schicksal einer selbst erfüllenden Prophezeiung droht.

Bis heute hat sich das Stimmvolk nie zu dem Vertrag geäussert. In europapolitischen Abstimmungen folgte es, mit zwei Ausnahmen 1992 und 2014, stets dem Bundesrat. Am Sonntag schickte es die SVP-Begrenzungs-Initiative ebenso bachab wie zuvor die Selbstbestimmungs-Initiative. Dass Meinungsmachern wie Pfister nach einem derart klaren Verdikt nichts Konstruktiveres einfällt, ist eine politische Fahrlässigkeit.

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