Domenico Scala ist jetzt der starke Mann der Fifa
«Sepp Blatter sollte seinen Lohn offenlegen»

Domenico Scala muss eine schier unmögliche Aufgabe stemmen – den angeschlagenen Koloss Fifa reformieren.
Publiziert: 07.06.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:23 Uhr
Räumt bei der Fifa auf: Domenico Scala, zuvor bei Noble Biocare, Nestlé, Roche und Syngenta tätig.
Foto: EQ Images
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Von Peter Hossli

Letzten Dienstag um 14 Uhr klingelt bei Domenico Scala (50) das Telefon. «Kommen Sie nach Zürich», bestellt ihm der Generalsekretär der Fifa. «Der Präsident will Sie sehen.» Scala lässt den Kugelschreiber fallen. «Es war das erste Mal, dass Sepp Blatter mich zu sich rief», sagt er. «Es tönte dringend und ernst.» Um 15 Uhr ist er in Zürich. Unter vier Augen sagt ihm Fifa-Präsident Blatter (79), er gebe noch heute seinen Rücktritt vom Weltfussballverband bekannt. Scala sagt ihm nur: «Jetzt wickeln wir das alles korrekt ab.»

Das ist sein Job. Der Basler mit italienischen Wurzeln ist der starke Mann der angezählten Fifa. «Es ist meine Aufgabe, die Fifa und damit den Präsidenten zu überwachen.» Seit 2012 leitet der bullige Manager die Finanzkontrolle der Fifa, unabhängig per Mandat, nicht als Angestellter. Das ist ihm wichtig. «Ich bin per Sie mit Sepp Blatter, bei der Fifa bin ich mit niemandem per Du.»

Scala ist Blatters Berater in dessen schwierigsten Stunden. Und er plant die Wahl seines Nachfolgers. «In dieser Übergangsphase arbeite ich enger als zuvor mit Herrn Blatter zusammen.» Zuletzt sah er ihn am Donnerstag. «Er ist sehr aktiv», beschreibt Scala den Walliser. «Jeden Tag ist er um 7 Uhr im Büro, voller Lebensmut, die Leute bei der Fifa merken gar nicht, dass er den Rücktritt bekannt gegeben hat.» Bis im März will die Fifa den neuen Präsidenten wählen. Bis dann unterstützt Scala ihn bei den nötigen Reformen. Die dringendste? Die Vergabe der Weltmeisterschaften. Bisher taten das 25 Personen im Exekutivkomitee der Fifa. Künftig sollen es die 209 Mitgliedsländer tun. «Ein Land eine Stimme», fordert Scala, zuvor Chef beim Dentalunternehmen Nobel Biocare. «Transparenz heisst: Jeder sieht, welches Land für wen gestimmt hat.» Wird Schmieren dann einfach teurer? «Das sagen Zyniker», sagt Scala. «Dieses neue System wäre zwar keine Garantie gegen Korruption, aber es wäre transparenter und weniger bestechungsanfällig.»

«Fifa ist Blatters Leben»

Ist die Fifa eine mafiöse Organisation, wie deutsche und britische Medien oft schreiben? «Das ist Demagogie.» Scala erklärt: «Die Mafia begeht Kapitalverbrechen, Fifa-Funktionäre begingen bisher keine Kapitalverbrechen, hier geht es um Vermögensdelikte.» Wie korrupt ist die Fifa wirklich? Man müsse differenzieren. In Zürich residiere der Verein Fifa mit 400 Angestellten. Jedes Jahr organisieren sie 20 Turniere, alle vier Jahre die WM. «Das ist eine Maschine, die sehr gut läuft, mit seriöser Buchhaltung und einem Finanzbericht nach globalen Standards.»

Daneben stehe das Exekutivkomitee, «das politische Organ», so Scala. Zwielichtige Kerle wie Jack Warner (72) aus Trinidad und Tobago und der Amerikaner Chuck Blazer (70) sitzen darin. «Blatter kann dieses Gremium nicht bestellen, und er kann niemanden rauswerfen. Es gibt Leute, die es nutzen, um sich zu bereichern. Bedienen sich Blazer und Warner persönlich, schlägt sich das negativ auf den Ruf der Fifa nieder.» Für Scala ist daher klar: «Wer ins Exekutivkomitee will, sollte sich künftig strengen Prüfungen unterziehen müssen. Bei Verdacht untersuchen externe Firmen, Zweifel werden vor der Wahl öffentlich.»

In einem Bereich nur unterscheide sich der Finanzbericht von börsenkotierten Firmen: die Löhne der Topverdiener sind geheim. Scala will es ändern. Die Gehälter gewählter Fifa-Organe müssten öffentlich sein. «Sepp Blatter sollte seinen Lohn offenlegen, genauso wie ich selbst.»

Ist Blatters Gehalt angemessen? Scala weicht aus, sagt, die Fifa sei ein komplexer globaler Konzern. Wer ihn führt, sei gefordert. Aber kassiert er verhältnismässig? «Ich kenne das Gehalt von Herrn Blatter, aber ich nenne keine Zahl, das obliegt dem Exekutivkomitee.» Noch ein Versuch: bezieht Blatter mehr oder weniger als der CEO einer Grossbank? «Kein Kommentar.» UBS-Chef Sergio Ermotti (55) erhält 11,16 Millionen Franken, CS-Chef Brady Dougan (55) 9,7 Millionen.

Einschneidender als Blatters Abgang sei die Verhaftung von sieben Fifa-Funktionären in Zürich. Die USA und die Bundesanwaltschaft untersuchen Korruption. Ist die Fifa kriminell? «Es gibt kriminelle Subjekte und kriminelle Handlungen – aber nicht der Schweizer Verein Fifa ist der Kern des Problems, sondern weltweit tätige Fussballfunktionäre», sagt Scala. Er habe «in den letzten zwei Jahren bei der Rechtseinheit Fifa keinen einzigen Fall von Korruption gesehen».

Und doch ist der Ruf der Fifa  miserabel. Was hat Blatter falsch gemacht? «Blatter ist als Chef in jeder Beziehung verantwortlich für die heutige Situation, auch für den wirtschaftlichen Erfolg der Fifa. Fussball ist erfolgreich, ist der wichtigste Sport der Welt.» Aber: «Schiebt man zu lange nötige strukturelle Reformen vor sich her, bleiben die Probleme. Irgendwann schlagen sie scharf zurück.»

Blatter habe Zeit verloren, um die Mehrheiten für seine Wiederwahl zu sichern. Zu sehr stellte er sich ins Zentrum. «Wahrgenommene Allmacht und tatsächliche Macht stimmen nicht überein», sagt Scala. «Da hat er wohl zu dick aufgetragen.»

Seit 1998 ist Blatter Präsident. Fifa-Funktionäre kleben an ihren Sesseln. «Die Fifa hat überlange Amtszeiten, überlange Amtszeiten führen zu Abhängigkeiten und letztlich zu Korruption.» Scala will Amtszeiten beschränken. «Mit Blutauffrischung kann die Korruption eher unterbunden werden.» Blatter versagte als Vorbild – und liess sich vor dem Rücktritt ein fünftes Mal wählen. «Ja, es ist richtig, Blatter hätte auf seine Wiederwahl verzichten sollen», so Scala. «Es stand mir aber nicht zu, ihm das zu raten, ich bin weder ein Wahlorgan noch Kandidat.» Amtszeitbeschränkung sieht er als Selbstschutz. «Menschen mit Macht machen sich oft kaputt, weil sie die Macht nicht abgeben können.» Künftig sei für den Fifa-Präsidenten ein Modell mit «dreimal vier Jahren» richtig, maximal zwölf Jahre. «Wenn ein Fifa-Präsident zwei oder drei Zyklen macht, ist das genug.»

Scala scheint zu wissen, wer neuer Präsident werden könnte. Er sagt es nicht, leitet die Wahlkommission, da will er neutral sein. «Integer muss er sein, ein guter Diplomat, er muss das Fussballgeschäft verstehen.» Schliesst er, Scala, aus, selbst Fifa-Präsident zu werden? «Ja!»

«Bild» berichtet, Blatter wolle Fifa-Ehrenpräsident werden. «Darüber habe ich nie mit ihm diskutiert», sagt Scala. Was will Blatter denn noch erreichen? «Ihm liegen der Fussball und die Fifa am Herzen, jetzt will er noch möglichst viel richtig machen. Die Fifa ist nicht 40 Jahre von Blatters Leben, die Fifa ist sein Leben.»

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