«Kinder können nicht eingesperrt werden»
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Oberste Bildungsdirektorin:«Kinder können nicht eingesperrt werden»

Die oberste Bildungsdirektorin Silvia Steiner zur Corona-Situation an den Schulen
«Es ist völlig klar, dass die Eltern besorgt sind»

Der oberste Bildungsdirektorin Silvia Steiner wehrt sich im Interview mit Blick gegen den Vorwurf, dass die Kantone zu wenig für den Schutz der Kinder tun. «Wir lassen die Gemeinden und Schulen nicht im Stich», versichert sie.
Publiziert: 10.09.2021 um 01:36 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2021 um 16:55 Uhr
Die Zürcher Regierungsrätin Silvia Steiner ist Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz.
Foto: PD
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Interview: Lea Hartmann

Die Situation ist für Lehrpersonen wie Eltern schwierig. Tausende Schülerinnen und Schüler mussten wegen Covid-Ausbrüchen in den vergangenen Wochen in Quarantäne. Taskforce-Chefin Tanja Stadler (40) spricht von einer «ausgeprägten Ansteckungswelle» unter Kindern und Jugendlichen – und stimmt in den Chor derjenigen ein, die mehr Schutzmassnahmen an Schulen fordern.

Die Kritik richtet sich an die Kantone, die für das Schulwesen zuständig sind. Und damit an die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner (64). Die Mitte-Politikerin ist Präsidentin der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Sie hätte in dieser Funktion eigentlich die Aufgabe, die Kantone gegen aussen zu vertreten, wenn es um ihr Corona-Management an Schulen geht.

Doch Steiner duckt sich. Während die Gesundheitsdirektoren mit geeinter Stimme sprechen und sich der oberste Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (46, Mitte) nicht scheut, klar Stellung zu beziehen, war EDK-Präsidentin Steiner in den vergangenen Wochen öffentlich kaum präsent. Erst nach mehrfacher Anfrage erhielt Blick die Gelegenheit, ein kurzes Interview mit der obersten Bildungsdirektorin des Landes zu führen.

Blick: Die Zahl der Corona-Fälle an Schulen explodiert. Experten, Lehrpersonen, viele Eltern und nicht zuletzt auch Bundesrat Alain Berset fordern die Kantone zum Handeln auf. Braucht es Verschärfungen?
Silvia Steiner:
Aktuell nicht. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Der Kanton Zürich hat das repetitive Testen hochgefahren, 60 Prozent der Schulgemeinden machen mit. Wir haben Schutzkonzepte, ein schuleigenes Contact Tracing und das Ausbruchstesten. Das finde ich beachtlich. Man muss bedenken, dass es auch die Schulen und Eltern belastet – zum Beispiel, wenn die Testresultate positiv sind und ganze Klassen in Quarantäne müssen. Wir müssen jetzt lernen, mit dem Virus umzugehen und den Alltag damit zu bewältigen. Wir müssen nicht nur die nächsten zwei Wochen regeln, sondern die kommenden Herbst- und Wintermonate.

Sie wollen zurück zur Normalität – doch der Bundesrat hat eben erst beschlossen, die Zertifikatspflicht auszuweiten. Müsste man dann nicht auch bei den Schulen handeln? Schliesslich können Kinder unter zwölf Jahren noch nicht geimpft werden.
Das ist tatsächlich ein Problem. Wir müssen davon ausgehen, dass die Impfung für Kinder frühestens nächstes Jahr kommt. Im Moment müssen wir deshalb den Fokus auf lokale Ausbrüche legen und diesen lokal begegnen. Die Viruslast ist nicht quer über die Schweiz gleich verteilt. Wenn es in Wetzikon zu einem Ausbruch kommt, muss man dort schnell und mit strengen Massnahmen reagieren. Aber es macht keinen Sinn, dann gleichzeitig auch in Schlieren eine Maskenpflicht anzuordnen. In allen Kantonen besteht für Schulen die Möglichkeit, repetitiv zu testen.

Viele Eltern sorgen sich um die Gesundheit ihrer Kinder, sie werfen den Behörden vor, die Schulkinder zu wenig zu schützen.
Die Schulen setzen sich jeden Tag dafür ein, dass die Kinder möglichst gut geschützt sind, aber auch einen normalen Schulalltag haben. Es ist völlig klar, dass die Eltern besorgt sind. Das finde ich auch verständlich. Schliesslich sind sie verantwortlich für ihre Kinder. Aber Kinder können nicht eingesperrt werden. Sie können überall mit dem Virus in Kontakt kommen, auch draussen beim Fussballspielen oder an einem Geburtstagsfest. Wir sind als Gesellschaft gemeinsam gefordert, die Kinder zu schützen.

Sie widersprechen Gesundheitsminister Alain Berset, der mehrfach klargemacht hat, dass er die Kantone in der Pflicht sieht. Hat er ein falsches Bild von der Situation an den Schulen?
Ich habe Bundesrat Berset nicht widersprochen. Ich habe einfach gesagt, dass das Schulwesen in der Zuständigkeit der Kantone liegt. Diese entscheiden mit den lokalen Behörden, welche Massnahmen nötig sind. Ich finde es schwierig, wenn man den Schulen strengere Vorgaben machen möchte, als zum Beispiel für Erwachsene im Freizeitbereich gelten. Wie begrüssen im Kanton Zürich auch das repetitive Testen an den Schulen. Man muss sehen, dass das Testen für die Schulen einen ziemlichen Aufwand bedeutet. Aber wir fahren das weiter hoch.

Wie wollen Sie das tun?
Um mehr Schulen zum Testen zu bringen – und auch, um die Eltern zu entlasten –, wollen wir im Kanton Zürich für Schulen, die repetitiv testen, die Quarantäneregelung lockern. Wir hoffen, dass ein entsprechender Entscheid bald gefällt wird.

Was für Erleichterungen sind konkret geplant?
Die Idee ist, dass bei einem positiven Pooltest nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne müsste. Kinder und Schulen, die an repetitiven Tests teilnehmen, sollten grundsätzlich von der Quarantäne befreit sein.

Obwohl die Lage an Schulen immer dramatischer wird, hört man von der EDK seit Wochen nichts. Wäre es nicht Ihre Aufgabe als EDK-Präsidentin, sich nicht nur um die Situation in Zürich zu kümmern?
Wir haben überall steigende Zahlen – nicht nur an den Schulen. Die Erziehungsdirektoren stehen in ständigem Austausch und gleichen die Massnahmen ab. Da ändert es nicht viel, ob ich jetzt jeden zweiten Tag im Fernsehen zu sehen bin oder nicht.

Staatsrechtler Rainer J. Schweizer machte in einem Interview mit der «Republik» klar, dass die Kantone für den gesundheitlichen Schutz der Schulkinder verantwortlich sind. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr?
Ich sehe das staatsrechtlich anders. Im Kanton Zürich sind die Gemeinden für das Volksschulwesen zuständig. Doch wir lassen die Gemeinden und die Schulen nicht im Stich. Wir unterstützen sie zum Beispiel mit klaren Vorgaben, individuellen Beratungsangeboten oder indem wir zum Beispiel die Abläufe für das repetitive Testen vereinfachen.

Viele Eltern fühlen sich aber im Stich gelassen. Was sagen Sie diesen?
Ich habe absolutes Verständnis, schliesslich sind sie die eigentlichen Schutzherren ihrer Kinder. Eine direkte Kommunikation zwischen Schule und Eltern ist immer die beste Basis, um gemeinsam Lösungen zu finden. Man kann die Verantwortung nicht einfach auf die Schule schieben. Wir alle sind gefordert. Eltern, Schulen, Lehrer, die Kantone – wir alle müssen am gleichen Strick ziehen, damit wir die Situation in den Griff bekommen.

Von der Polizei zur Politik

Silvia Steiner (64, Mitte) ist seit 2015 Zürcher Regierungsrätin und steht der Bildungsdirektion vor. Seit vier Jahren präsidiert sie zudem die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren. Vor ihrer politischen Karriere war Steiner Staatsanwältin und Chefin der Stadtzürcher Kriminalpolizei. Die in Zürich aufgewachsene Politikerin ist verwitwet und hat zwei Kinder.

Silvia Steiner (64, Mitte) ist seit 2015 Zürcher Regierungsrätin und steht der Bildungsdirektion vor. Seit vier Jahren präsidiert sie zudem die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren. Vor ihrer politischen Karriere war Steiner Staatsanwältin und Chefin der Stadtzürcher Kriminalpolizei. Die in Zürich aufgewachsene Politikerin ist verwitwet und hat zwei Kinder.

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