Der Flüchtlingszustrom nach Griechenland reisst nicht ab: Heute Morgen kamen mehr als 1350 Migranten in der Hafenstadt Piräus an, die in den vergangen Tagen von der Türkei zu den Inseln in der Ostägäis übergesetzt hatten. 1000 weitere werden im Laufe des Tages erwartet.
Für den griechischen Premier Alexis Tsipras ist die Situation unhaltbar: «Wir werden nicht akzeptieren, dass sich unser Land in ein Lager für menschliche Wesen verwandelt», sagte er.
Besonders erzbost ist Tsipras über die Österreicher. Heute hat Athen gar seine Botschafterin aus Wien zu Konsultationen nach Griechenland zurückgerufen. Es solle darüber beraten werden, «wie verhindert werden kann, dass die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten und Völkern gestört werden», hiess es in einer Erklärung.
Österreich hatte gestern zusammen mit neun Balkanstaaten – und unter Ausschluss Griechenlands – an einer Konferenz in Wien vereinbart, weniger Flüchtlinge an der mazedonisch-griechischen passieren zu lassen. Das sei «eine Schande», sagte er griechische Regierungschef. Schliesslich werde damit das vergangenen Donnerstag beschlossene gemeinsame Vorgehen aller EU-Ländern in der Flüchtlingskrise torpediert.
Angesichts der von Ländern entlang der Balkanroute angedrohten strikten Grenzkontrollen fürchtet Griechenland chaotische Zustände durch einen Rückstau von Flüchtlingen. «Griechenland wird keine einseitigen Massnahmen akzeptieren», sagte der griechische Innenminister Ioannis Mouzalas vor dem heutigen Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel.
«Griechenland wird es nicht hinnehmen, Europas Libanon zu werden.» Mouzalas drohte, auch Athen könne in der Flüchtlingskrise nicht abgestimmte Massnahmen ergreifen.
Das Innenministertreffen finde «in einem kritischen Moment» statt, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. «Die Einheit der Union und menschliche Leben stehen auf dem Spiel.» Er warnte vor «einsamen Initiativen, die nirgendwohin führen». Er hoffe, dass die Minister zu einem gemeinsamen Vorgehen zurückfinden würden.
Deutschland hat vor dem Gipfel noch das Asylrecht verschärft: Das Gesetz sieht beschleunigte Asylverfahren in Registrierzentren für Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive und Einschränkungen beim Familiennachzug vor.
Der luxemburgische Migrationsminister Jean Asselborn äusserte sich ebenfalls pessimistisch: «Wir haben keine Linie mehr, wir steuern irgendwie in die Anarchie hinein».
Vor allem entlang entlang der 530 Kilometer langen griechisch-mazedonischen Grenze spitzt sich die Lage zu. Mazedonien hält nur noch Syrer und Iraker für schutzbedürftig, andere Flüchtlinge lässt es nicht mehr ins Land. Hundere Migranten sind deshalb an Tankstellen und Motels im Grenzgebiet gestrandet. Einige von ihnen belagerten riegelten gestern eine Autobahn ab, um ihre Weiterreise zu erzwingen.
Man müsse sich eingestehen, dass die Flüchtlingskrise «ganz Europa überfordert hat», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga. «Wir haben in den letzten Monaten konstruktive Ansätze diskutiert, aber einzelstaatliche Massnahmen erschweren die Lösungssuche.»
Es gebe aber zwei Lichtpunkte, fügte Asselborn an. Der eine sei die angekündigte Waffenruhe in Syrien. «Das andere ist ein Einverständnis heute Nacht zwischen der NATO, Türkei und Griechenland, um sich besser koordinieren zu können.» (bau/sda)