Deutscher Botschafter über das Rahmenabkommen mit der EU
«Die Haltung von Cassis gefällt mir»

Norbert Riedel (57) vertritt als Diplomat Deutschland in Bern. Er erläutert die Schwierigkeiten seiner Landsleute mit der Acht-Tage-Regel und erklärt, warum der Bundesrat nicht auf den Brexit warten sollte.
Publiziert: 19.08.2018 um 21:11 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2018 um 21:52 Uhr
Interview: Simon Marti und Pascal Tischhauser

Herr Botschafter, deutsche Gewerbetreibende kritisieren die flankierenden Massnahmen. Haben sie unseren Lohnschutz nicht begriffen?
Norbert Riedel: Das ist ein Missverständnis. Auch für Deutschland und die Europäische Union gilt der Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Kleine Unternehmen aber sagen, dass sie wegen einzelner Vorgaben nicht in der Schweiz tätig sein können. Das empfindet man als ungerecht.

Sie meinen die Acht-Tage-Regel.
Die ist ein Problem. Ebenso die Pflicht, Kaution leisten zu müssen. Wenn ein deutscher Unternehmer in der Schweiz nicht kurzfristig eine Reparatur vornehmen kann, ist das eine Benachteiligung unserer Firmen.

Die Gewerkschaften sind überzeugt, diese Frist sei notwendig.
Mir hat noch niemand erklärt, warum es genau acht Tage sein müssen.

Wenn die Flankierenden ein so grosses Hindernis darstellen, warum sind derart viele europäische Firmen dennoch hier tätig?
Wir wissen nicht, wie viele Aufträge dadurch verhindert werden, aber ich betone: Es profitieren beide Seiten von diesem Austausch – und beide Seiten würden von ­einem Rahmenabkommen profitieren. Das geht bei der aktuellen Diskussion verloren.

Ist der Vorteil eines Rahmen-abkommens für die EU nicht grösser als für die Schweiz?
Ach, das höre ich in der Schweiz oft. Mir gefällt die Haltung von Bundesrat Iganzio Cassis. Er sagt: Man kann vieles machen oder nicht machen. Aber man muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Heute spricht die Welt von Handelskriegen, da ist es doch umso wichtiger, dass sich die Schweiz und die Europäische Union aufei­nander zubewegen.

Tun sie das? In der Schweiz hofft man, dass die EU nach dem Brexit kompromissfähiger sein wird.Wir wissen nicht einmal, wie dieser Brexit aussehen wird. Mir scheint, unter Herrn Juncker ist das Verständnis für die Schweiz in der EU-Kommission sehr ausgeprägt. Ich würde nicht davon ausgehen, dass dies später mit einer neuen Kommission gleich oder besser sein wird.

Sie betonen das gute Verhältnis zwischen Berlin und Bern. Seit Brüssel der Schweiz die Börsenäquivalenz verweigert hat, gilt das nicht mehr für die Beziehungen zur EU. Geht man so mit Freunden um?
Deutschland setzt sich klar dafür ein, dass der Schweiz die Börsenäquivalenz unbefristet gewährt wird. Die Entscheidung, dies mit den Vertragsverhandlungen zu verbinden, ist dem politischen Rahmen geschuldet. Den Unmut der Schweiz in diesem Punkt kann ich nachvollziehen.

In Bern hatte man lange das Gefühl, dass der grosse Nachbar in Brüssel inoffiziell auch für die Schweizer Interessen eintritt. Dieses Gefühl ist heute anders.
Der Goodwill gegenüber der Schweiz ist uneingeschränkt vorhanden. Deutschland wird die Schweiz immer darin unterstützen, dass sie ihre Position zu Gehör bringen kann. Wir können aber nicht unsere eigene Position – und das ist die der EU – zugunsten der Schweiz zur Seite schieben. Was sich geändert hat, ist die Vielzahl der Herausforderungen für Deutschland. Vom Brexit über Libyen und Syrien bis zur Euro- und zur Migrationskrise.

Das heisst?
Wir sind stark gefordert. Da kann der Eindruck entstehen, dass wir nicht genügend Zeit haben für enge Freundschaften. Aber diese Freundschaft zur Schweiz besteht. Auch wenn wir wissen: Jedes Land verfolgt seine Interessen. Wie gesagt, wir sind uns nahe. Aber wir sind nicht dieselben.

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