Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn über Cyberattacken
«Ich hätte gern die deutschen Ärzte zurück»

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn über Cyberattacken, Fachleutemangel und das Verhältnis der Schweiz zur EU.
Publiziert: 13.01.2019 um 01:05 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2019 um 13:09 Uhr
Im Kampf um den CDU-Parteivorsitz unterliegt Jens Spahn (2. v. r.) Annegret Kramp-Karrenbauer. Er nimmt die Niederlage sportlich.
Foto: Keystone
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Christian Dorer

Das Gesundheitsministerium ist ein rechteckiger Klotz in Berlin Mitte. Jens Spahn kommt direkt aus der Kabinettssitzung und entschuldigt sich für die wenigen Minuten Verspätung. Er bittet in sein Büro: geräumig, hoch – und kalt. Die Heizung ist kaputt, sie werde aber noch am selben Nachmittag repariert, versichert seine Assistentin.

Hunderten deutschen Persönlichkeiten wurden persönliche Daten geklaut. Auch Ihnen?
Jens Spahn: Mir persönlich keine. Aber meine Handy-Nummer wurde bei Bekannten abgefischt und veröffentlicht.

Und jetzt werden Sie ständig 
angerufen?
Ich hatte viele Anrufe von Nummern, die ich nicht kenne. Aber da gehe ich ohnehin nicht dran. Deshalb hält sich der Schaden in Grenzen.

Ist es nicht peinlich, dass ein 20-Jähriger persönliche Daten von Dutzenden Prominenten stehlen kann?
Es handelt sich ja nicht um sehr geheime Daten. Sie wurden offenbar im Internet zusammengesucht, möglicherweise auch von Facebook-Accounts. Ich nehme das ernst, finde aber, dass gerade dieser Fall nicht dramatisiert werden sollte. Dass Passwörter wie «123456» geknackt werden, ist doch kein Beweis dafür, dass unsere staatlichen Sicherheitsstrukturen nicht funktionieren. Es sollte vielmehr für jeden Anlass sein, über die persönliche Absicherung seiner Daten nachzudenken. Viele verhalten sich im Netz so, als wenn sie ins Wochenende fahren, die Haustüre nicht abschliessen und sich dann wundern, wenn bei der Rückkehr etwas fehlt.

Alles dreht sich um Daten: auch im Gesundheitswesen. Ist es zum Guten oder zum Schlechten, dass immer mehr Gesundheitsdaten gesammelt werden?
Mehrheitlich zum Guten. Je mehr Daten verfügbar sind, desto besser kann geforscht und behandelt werden. Zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen: Da weiss ein 
Arzt in Bern per Mausklick, was seine Kollegen in Hamburg oder New York in einem ähnlich schwierigen Fall gemacht haben. In keiner Branche wird noch heute so viel gefaxt wie im Gesundheits-
wesen. Die Schweiz ist im Bereich der digitalen Patientenakte übrigens schon viel weiter als Deutschland.

Was, wenn Daten gestohlen 
und Krankenhäuser erpresst 
werden?
Es stimmt, 100 Prozent Sicherheit gibt es nicht. Aber die hat man auch heute nicht, zumal wenn Informationen per Fax ausgetauscht werden. Die Verschlüsselung der Daten ist entscheidend. Da müssen wir noch besser werden.

Dank Digitalisierung lassen sich einfacher individuelle Krankheitsbilder entdecken und individuell therapieren. Das ist teuer!
Nicht unbedingt. Denn die Medizin wird auch zielgenauer und effizienter. Wenn sich feststellen lässt, ob eine Therapie überhaupt anschlägt, bevor man 10'000 Euro für die Behandlung ausgibt, vermeidet dies Kosten.

Unter dem Strich steigen die 
Gesundheitskosten. Wie lässt sich das vermeiden?
In einer alternden Gesellschaft ist das nur schwer möglich. Dafür müssten wir das Versprechen aufgeben, die beste Medizin für alle zu bezahlen. Diese beste Medizin will sich unsere Gesellschaft aber leisten, und sie erhält auch einen hohen Gegenwert für ihr Geld. Das hat nicht jedes Land!

Am teuersten ist das letzte Lebensjahr. Wie viel darf die Verlängerung des Lebens kosten?
Das ist keine Frage von Kosten. Das ist vielmehr die Entscheidung jedes Einzelnen: Möchte ich wirklich in jeder Not- und Lebenslage, dass noch alle Maschinen angeworfen und alles medizinisch Mögliche an mir vorgenommen wird? Und wir sollten akzeptieren, dass Sterben auch zum Leben gehört. Heute wird das Thema Tod aus dem Leben verbannt. Organspende, Patientenverfügung, Pflege: Alles, was mit Sterben und Gebrechlichkeit zu tun hat, kommt gedanklich nicht vor.

Wie stehen Sie zum Tod?
Persönlich möchte ich am Lebensende nicht künstlich ernährt werden. Aber das muss jeder für sich entscheiden, am besten mit ­einer Patientenverfügung.

Die Schweizer Spitäler und 
Heime müssten schliessen 
ohne deutsche Ärzte und Pflegerinnen ...
... ich hätte sie gerne zurück.


Ärgern Sie sich, dass Deutschland Fachleute für die Schweiz ausbildet?
Ärgern nicht. Ich kann sie ja verstehen. Die Schweiz ist ein schönes Land. Aber klar ist, dass diese Fachleute in Deutschland fehlen. Bei uns arbeiten dann polnische Ärzte, die wiederum in Polen fehlen. Das kann so nicht richtig sein. Deshalb sollten wir darüber nachdenken, ob wir die Abwerbung von Fachleuten aus bestimmten Berufsgruppen innerhalb der EU nicht neu regeln müssen. Und das, ohne die Freizügigkeit in Europa grundsätzlich infrage zu stellen. Entsprechende Abkommen gibt es bereits in der WHO. Das könnte Vorbild sein.

Sie könnten der Schweiz eine Rechnung für die Ausbildung der ausgewanderten deutschen Ärzte stellen.
Das gäbe eine schöne Überschrift für den SonntagsBlick. Aber nein: Das ist nicht mein Plan.

Herr Spahn, sind Sie überhaupt noch zufrieden in Ihrem Job als Gesundheitsminister?
Ja klar, warum nicht?

Sie wollten CDU-Vorsitzender werden.
Das war ja keine Entweder-oder-Bewerbung.

Wie gross ist die Enttäuschung, dass Annegret Kramp-Karrenbauer das Rennen gemacht hat?
Es war ein fairer Wettbewerb, der der Partei und dem Land gutgetan hat. Wenn wir in diesem Geist die nächsten Monate angehen, dann haben alle gewonnen.

Wie stark hat es Ihnen bei konservativen Christdemokraten 
geschadet, dass Sie homosexuell sind?
Die Frage beschäftigt mich nicht. Denn die Realität sieht anders aus. Selbst die Bürge­rinnen und Bürger im katholischen, ländlich geprägten Münsterland haben mich schon fünf Mal mit gutem Ergebnis in den Bundestag gewählt. Aber wenn es immer noch Menschen geben sollte, die Vorbehalte haben, dann ist das deren Problem und nicht meines.

Sie sind erst 38. Wieso sind Sie so früh dran?
Man muss die Gelegenheiten nutzen, um gestalten zu können. Und dafür braucht man ein Amt. Wären Sie heute Chefredaktor, wenn Sie immer gesagt hätten, das hat noch Zeit?

Macron in Frankreich, Kurz in 
Österreich. Wieso leben wir in der Zeit der jungen Politiker?
Das hat nichts mit der Jugend zu tun. Es gibt in jedem Land spezifische Gründe für den Aufstieg von Personen. Sebastian Kurz wäre nie Bundeskanzler geworden, wenn die ÖVP nicht vor der Frage gestanden hätte: Niedergang oder Total­erneuerung? Macron wäre nicht Präsident, wenn François Fillon keinen Skandal gehabt hätte und die Sozialisten völlig pulverisiert worden wären. In den USA ist der Trend mit den über 70-jährigen Trump und Pelosi allerdings gegenläufig.

Wird die aktuelle Regierung 
Merkel bis zu den Wahlen 2021 halten?
Klar! Die vergangenen 15 Monate waren die intensivsten seit der Wiedervereinigung: der Umbruch im Parteiensystem, eine gescheiterte Regierungsbildung, erneute Koalitionsverhandlungen, die Krise in der Union. Wir müssen jetzt zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich auf uns verlassen können.

Sie kritisieren Angela Merkel immer mal wieder, gleichzeitig ist sie Ihre Chefin. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihr?
Bestens! Kritik ist ja auch nicht per se schlecht. Sie muss nur konstruktiv sein: Frau Merkel und ich schätzten die Zuwanderung im Jahr 2015 unterschiedlich ein, und ich hätte in der Flüchtlingsfrage anders 
reagiert. Zudem haben wir ­einen unterschiedlichen Politikstil. Gleichzeitig arbeiten wir aber seit Jahren in verschiedenen Funktionen gut zusammen.

Und zu Kramp-Karrenbauer?
Ebenfalls gut! Uns verbindet der gemeinsame Willen, 2019 zu einem erfolgreichen Jahr zu machen. Dabei hilft, dass wir fair um den Parteivorsitz gestritten haben. Wir haben nicht gegeneinander gekämpft, sondern für unterschiedliche Profile. Und sie hat gewonnen.

Was muss passieren, damit Europa gegenüber Asien und den USA nicht in Rückstand gerät?
Wir müssen mehr investieren! Europa hat einst mit Erfolg Airbus gegründet, um Boeing etwas entgegenzusetzen. Genauso braucht es jetzt ein europäisches Stanford für künstliche Intelligenz. Nicht kleckern, sondern klotzen: Europa müsste dafür zwei Milliarden Euro in die Hand nehmen. Schauen Sie nach ­China: Dort werden gerade 1000 Professoren für künstliche Intelligenz eingestellt!

Und die meisten Tech-Start-ups entstehen in den USA. Ist das noch aufholbar?
Facebook werden wir nicht aufholen. Aber vielleicht könnte Europa das «Facebook der Maschinen» entwickeln, also Maschinen, die miteinander kommunizieren. Oder wir als Europäische Union nehmen uns zum Ziel, den Krebs zu besiegen. Wir brauchen Ziele, die nicht nur bis morgen reichen, sondern in die 2020er-, 2030er-Jahre weisen.

Haben die Menschen in Europa noch genug Biss dazu?
Das ist tatsächlich ein Problem. Uns geht es seit zehn Jahren sehr gut, das WEF hat Deutschland sogar auf Platz drei der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt gesetzt. Es besteht die Gefahr, dass wir uns zu sehr darauf ausruhen. Die Erinnerung an 2005 ist weg, als es fünf Millionen Arbeitslose gab. Ich möchte nicht, dass es uns zuerst wieder schlecht gehen muss, bevor wir reagieren.

Die Schweiz steht im Clinch mit der EU wegen des Rahmenvertrags. Kommts noch zu einer guten Lösung?
Mit der Schweiz haben wir eine gute Grundlage, die jetzt neu verhandelt wird. Aber natürlich muss es, wie im privaten Leben, einen Unterschied machen, ob man Teil der Familie ist oder nur gute Nachbarn.

Ihr Tipp: Wie soll sich die Schweiz gegenüber der EU verhalten? Hart bleiben oder nachgeben?
Ein Tipp aus Berlin käme in der Schweiz bestimmt nicht gut an! Ich wünsche mir, dass es eine sachliche Diskussion gibt. Und prinzi­piell gilt: Für eine Einigung braucht es guten Willen und die Bereitschaft beider Seiten von der Maximalforderung abzuweichen.

In der Schweiz braucht es aber auch immer die Mehrheit des Volkes.
Das stimmt. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die grosse Mehrheit der Schweizer freies Reisen und freies Handeln schätzt. Man kann aber nicht alle Vorteile nutzen, ohne sich an bestimmten Stellen aufs gemeinsame Regelwerk einzulassen.

Deutschland hat sich in der Vergangenheit immer wieder in der EU-Kommission für die Schweiz eingesetzt. Warum jetzt nicht mehr?
Fürs Gesundheitsministerium teile ich diesen Eindruck nicht. Wir haben kulturelle Gemeinsamkeiten, wir haben gemeinsame Interessen und wir teilen die gleiche Sprache. Ich unterstütze die Schweiz. Aber natürlich ist es für uns am wichtigsten, dass die 27 EU-Länder zusammenbleiben. Deshalb könnten wir nicht auf Kosten der anderen 26 Länder der Schweiz einen Vorteil verschaffen. 

Persönlich

Gesundheitsminister Jens Spahn (38) ist das jüngste Mitglied der deutschen Regierung. Der gelernte Bankkaufmann und Politikwissenschaftler wurde als 22-Jähriger Bundestagsabgeordneter der CDU. In der Flüchtlingskrise 2015 wurde er zum grössten parteiinternen Gegenspieler von Bundeskanzlerin Merkel. 


Er gilt als Hoffnungsträger innerhalb seiner Partei mit Potenzial bis zum Bundeskanzler. ­Einen Dämpfer erlitt seine Karriere im Dezember, als er im Kampf um den Parteivorsitz gegen Annegret Kramp-Karrenbauer verlor. Spahn ist seit gut einem Jahr mit 
seinem Lebenspartner verheiratet.  

Gesundheitsminister Jens Spahn (38) ist das jüngste Mitglied der deutschen Regierung. Der gelernte Bankkaufmann und Politikwissenschaftler wurde als 22-Jähriger Bundestagsabgeordneter der CDU. In der Flüchtlingskrise 2015 wurde er zum grössten parteiinternen Gegenspieler von Bundeskanzlerin Merkel. 


Er gilt als Hoffnungsträger innerhalb seiner Partei mit Potenzial bis zum Bundeskanzler. ­Einen Dämpfer erlitt seine Karriere im Dezember, als er im Kampf um den Parteivorsitz gegen Annegret Kramp-Karrenbauer verlor. Spahn ist seit gut einem Jahr mit 
seinem Lebenspartner verheiratet.  

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