Lange Wartelisten bei Psychotherapeuten
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Lange Wartelisten für Therapie:Corona macht auch die Psyche kaputt

Corona macht auch die Psyche kaputt
Lange Wartelisten bei Psychotherapeuten

Corona schlägt auf die Psyche. Das merkt auch eine Basler Praxis, die psychiatrische und psychologische Behandlung anbietet – auf der Warteliste stehen 350 Namen. Doch die Pandemie verschärft nur bestehende Probleme, sagt Inhaber Joseph Selinger.
Publiziert: 14.12.2020 um 06:45 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2020 um 07:29 Uhr
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Isolation und wenig Tagesstruktur ist schlecht für die Psyche.
Foto: keystone-sda.ch
Gianna Blum

Angstzustände. Depressionen. Existenzsorgen. Die Corona-Krise hat nicht nur verheerende Folgen für die Wirtschaft und Spitäler, sondern auch für die Psyche. Letzte Woche fand auf Initiative des Bundesamts für Gesundheit (BAG) eigens ein Aktionstag zum Thema statt (BLICK berichtete). Laut dem Sorgenbarometer der Credit Suisse ist die Pandemie zuoberst auf der Liste der Schweizer Bevölkerung.

Das merken auch Psychiater und Psychotherapeuten. Seit dem Sommer hat die Nachfrage zugenommen, insbesondere was Depressionen und Angstzustände betrifft. Das erlebt auch die Praxis Qurateam in Basel – nach eigenen Angaben eine der grössten in der Nordwestschweiz mit zwei Standorten. «Etwa die Hälfte meldet sich wegen Angstzuständen und Depressionen – vorher war das etwa ein Drittel», sagt Inhaber Joseph Selinger (48), selbst Arzt und Psychotherapeut.

Warteliste mit 350 Namen

Wegen der vielen Anfragen hat Qurateam ein eigenes Tool programmieren lassen, das die Anmeldungen entgegennimmt und sortiert. So gibt es zwei Wartelisten: Eine mit den Patienten, die innert Wochen auf einen Termin hoffen können, und eine zweite, weniger verbindliche. Und auf dieser Liste stehen aktuell laut Selinger etwa 350 Interessenten. «Wir geben diesen Leuten Tipps, wo sie sich weiter umschauen können», sagt er. Denn sonst könne es bis zu einem Jahr dauern, bis wieder ein Therapieplatz frei sei – trotz Ausbau der Kapazitäten.

Dieser «Patientendruck», wie Selinger es nennt, hat sich zwar in der Corona-Krise verschärft. Neu ist er aber nicht. Schon vor Corona war die Warteliste lang. Denn Qurateam ist eine der Praxen mit sogenannten delegierten Psychotherapeuten, die als Angestellte unter Aufsicht von Psychiatern arbeiten. In diesem Fall nimmt auch die Grundversicherung die Kosten. Anders ist der Fall bei selbständigen Psychotherapeuten: Sie dürfen nicht via Kassen abrechnen, die Patienten und Patientinnen müssen die Kosten selbst berappen. Anders als Psychiater braucht es für die Psychotherapie kein Medizinstudium, wohl aber ein Psychologiestudium plus mehrjährige Weiterbildungen.

«Eine Tragödie»

«Es ist absurd», so Selinger. Psychiatrische Praxen platzten aus allen Nähten – während gleichzeitig selbständige psychologische Psychotherapeuten durchaus Plätze frei hätten. Nur übernimmt da eben die Krankenkasse die Rechnung nicht. «Das ist eine menschliche Tragödie», findet er. Jemand, der beispielsweise mit einer Depression zu kämpfen habe, sei kaum in der Verfassung, Dutzende Praxen für eine Alternative abzutelefonieren. «Da werden viele Patienten in chronische Krankheitsverläufe getrieben, weil sie nicht rechtzeitig Betreuung bekommen.»

Laut dem Berufsverband der Psychologen (FSP) müssen seit dem Sommer etwa 70 Prozent ihrer Mitglieder Patienten abweisen. Besserung soll ein Systemwechsel auf das sogenannte Anordnungsmodell bringen, bei dem die Psychotherapeuten selbst abrechnen dürfen, was die FSP seit Jahren fordert. Gesundheitsminister Alain Berset (48) hat dafür eigentlich offene Ohren. Letztes Jahr hat er einen Vorschlag in die Vernehmlassung geschickt, mit dem das heutige Delegationsmodell ersetzt werden soll.

Nun muss Berset entscheiden

Während die Ärztegesellschaft FMH den Wechsel ablehnt, haben sich die Versicherer offen gezeigt, etwa der Krankenkassenverband Santésuisse. Krach gibt es aber zum Beispiel bei der Frage, wer denn Psychotherapie verschreiben darf. Berset hätte das gerne jedem Arzt erlaubt, was wiederum für Santésuisse nicht infrage kommt – der Verband warnt in diesem Fall vor einer Mengenausweitung und Kostenexplosion.

Die Vernehmlassung ist seit über einem Jahr abgeschlossen. Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist eine angepasste Regelung in Vorbereitung – es fehlt nur noch Bersets Entscheid. Doch bis der kommt, könnte es dauern: Beim BAG, das seit dem Februar voll mit Corona beschäftigt ist, ist von den «nächsten Monaten» die Rede.

Den Psychotherapeuten geht unterdessen die Geduld aus. So sagt FSP-Sprecher Philipp Thüler: «Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass der Bundesrat sich derart Zeit lässt.»

Damit es uns allen besser geht

Viele Menschen in der Schweiz leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der Corona-Krise. Deshalb initiiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Aktionstag «Darüber reden. Hilfe finden». Er findet am 10. Dezember 2020 statt.

Die Hilfsorganisationen Pro Mente Sana, Dargebotene Hand, Pro Juventute, Pro Senectute, Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz widmen sich gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren den verschiedensten Aspekten des Themas psychische Gesundheit. Menschen in schwierigen Situationen sollen so Solidarität erfahren und über konkrete Hilfsangebote informiert werden. Der Tag sensibilisiert auch die Gesamtbevölkerung dafür, im Umfeld aufmerksam zu sein und Hilfe zu leisten.

BLICK macht dieses wichtige Thema zum Schwerpunkt und berichtet vor, während und nach dem Aktionstag ausführlich darüber.

Weitere Informationen unter https://bag-coronavirus.ch/hilfe/

Viele Menschen in der Schweiz leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der Corona-Krise. Deshalb initiiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Aktionstag «Darüber reden. Hilfe finden». Er findet am 10. Dezember 2020 statt.

Die Hilfsorganisationen Pro Mente Sana, Dargebotene Hand, Pro Juventute, Pro Senectute, Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz widmen sich gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren den verschiedensten Aspekten des Themas psychische Gesundheit. Menschen in schwierigen Situationen sollen so Solidarität erfahren und über konkrete Hilfsangebote informiert werden. Der Tag sensibilisiert auch die Gesamtbevölkerung dafür, im Umfeld aufmerksam zu sein und Hilfe zu leisten.

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