Christoph Blocher zur Lage der SVP
«Ein Motivationsschub ist nötig»

Der alt Bundesrat spricht über die Niederlagenserie seiner Partei – und darüber, wie er die Personenfreizügigkeit endgültig aushebeln will.
Publiziert: 05.06.2017 um 13:15 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:35 Uhr
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Gibt seiner SVP den Takt vor: Christoph Blocher (76).
Foto: Philippe Rossier
Interview: Simon MartI und Marcel Odermatt; Fotos: Philippe Rossier

Herr Blocher, das Ja des Volks zur Energiestrategie ist nur die jüngste Niederlage der SVP. Ist Ihre Partei aus der Spur?
Christoph Blocher:
Im Gegenteil. Grossartig, wie sich die SVP gegen diese verhängnisvolle Planwirtschaft gewehrt hat! Das gibt die Grundlage, sich auch in Zukunft glaubwürdig gegen dauernd höhere Abgaben für die Konsumenten, Mieter, Hauseigentümer, Autofahrer etc., etc. und für all die KMU zu wehren.

SVP-Präsident Albert Rösti hatte Mühe, überhaupt genügend Unterschriften zu sammeln.
Es war Röstis Meisterleistung, mit der SVP allein in praktisch nur sechs Wochen 68'000 Unterschriften hinzukriegen! Diese Glanzleistung macht ihm wohl keiner nach. Dann der alleinige Kampf der SVP für eine sichere, kostengünstige und saubere Energiever­sorgung und gegen die teure und unsichere planwirtschaftliche Strategie. 42 Prozent stimmten Nein. Leider nicht 51 Prozent. Nun stehen die Befürworter in der Verantwortung und sind verantwortlich für all die Verteuerungen und das Debakel, das folgen wird.

Vermissen Sie Röstis Vorgänger Toni Brunner, Ihren erklärten Liebling, an der Spitze der Partei?
Sicher haben wir Toni Brunner nicht von der Spitze gefegt. Er hätte auch ­einen hervorragenden Bundesrat abgegeben und dem Bürokratieverein im Bundeshaus die Stirn geboten. Doch er will einfach nicht. Er liebt seine Eringer-Kühe und ihre Kämpfe zu sehr (lacht).

Niederlagen hin oder her, bei Ihrer Partei läuft also alles rund?
Nie läuft in einer Partei alles rund. Aber die SVP tritt wie keine andere gegen Fehlentwicklungen wie den Sozialismus, den EU-Beitritt, die Masseneinwanderung, das Asylchaos, die dauernden Steuerabgaben und Gebühren sowie die Regulierungen an. Aber die Wahlerfolge der SVP in den vergangenen Jahren führen auch zu einer gewissen Bequemlichkeit in den eigenen Reihen. Ein Motivationsschub ist nötig.

Zurück zur Energiewende: Nach Ihrer Meinung sind FDP, CVP und die Wirtschaftsverbände Anhänger der Planwirtschaft.
Wie das Energiegesetz zeigt, trinken auch sie das süsse Gift des Sozialismus. «Nehmen ist seliger denn geben!» Auch im bürgerlichen und Wirtschaftslager.

Wie bürgerlich ist die Schweiz heute?
Solide Arbeit, Mut zum Sonderfall, bürgerliche Werte haben die Schweiz stark gemacht. Davon wird Abstand genommen. Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Für Geld sind viele anfällig, vor allem wenn andere bezahlen – sozialistische Kultur! Man gliedert sich bei den Profiteuren ein – auch in den bürgerlichen Parteien. Manchmal denke ich, die SVP ist die letzte bürgerliche Partei, wie die Energiestrategie zeigt.

Auch die Bauern, Ihre traditionellen Wähler, werden subventioniert.
Die Ziele der Landwirtschaft – eigene Nahrungsmittelproduktion, Landschaftserhaltung, keine Entvölkerung der Bergtäler, Verhinderung der Bodenvergandung, Pflege von Blumenwiesen sind nicht marktwirtschaftlich zu erreichen, wie auch eine militärische Landesverteidigung nicht marktwirtschaftlich zu erreichen ist. Wer diese Ziele billiger erreichen kann, soll dies zeigen! Es gibt aber keinen Grund, die ganze Energieversorgung bürokratisch, teuer und bevormundend zu organisieren. Sie führt ins Debakel, wie Deutschland beweist. Das Ganze bereitet Sorgen.

Was genau bereitet Ihnen Sorgen?
Die zunehmende Abwendung von den bürgerlichen Werten! Die zahlreichen Linken in den «bürgerlichen» Parteien sind ein Problem.

Wie kam es dazu?
Durch Übermut und Grössenwahn. Mit dem Ende des Kalten Krieges verloren auch Bürgerliche Herz und Verstand. Die Linken sowieso. Pubertäre Träumer nehmen zu: Abschied von Eigenverantwortung und zunehmende Bequemlichkeit. Man will die Schweiz an die EU anketten und in die EU treiben. Es ist die Preisgabe des Erfolgsmodells Schweiz. So ein Seich – schauen Sie sich doch all den Chabis auf dieser Welt einmal an!

Wo sehen Sie Ihren Platz, wenn die etablierten politischen Lager ins Rutschen geraten?
Gegensteuer geben gegen linke Entwicklungen, nicht nur gegen linke Parteien. Die historische Leistung der SVP ist es eben gerade, Themen aufzunehmen, die von anderen Parteien nicht aufgegriffen werden. Eben die Verteidigung schweizerischer Werte, Verhinderung der Masseneinwanderung und des Asylmissbrauchs, Kampf gegen steigende Abgaben, gegen Bürokraten und gegen die Abzockergesellschaft im Bundeshaus. Niederlagen müssen in Kauf genommen werden, auch wenn uns der BLICK und der SonntagsBlick dann zur Sau machen! Ich vertrete nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung.

In der Europafrage inzwischen schon. Noch 15 Prozent wollen in die EU. Ihre Mehrheit wird jährlich grösser.
In der Bevölkerung ja – aber nicht im Bundeshaus. Ich trat gegen die EU-Ankettung an, als die Classe politique und die Classe économique und die Me­dien geschlossen dafür waren. Heute merkt das die Bevölkerung: Zur Schweiz stehen ist erfolgreicher. Bei den Politikern gehts etwas länger.

Warum wollen Sie jetzt die Personenfreizügigkeit kündigen?
Mit dem Rechtsanspruch aller EU-Ausländer, in der Schweiz ohne Einschränkung tätig zu sein, können Sie die Masseneinwanderung und ihre negative Wirkung nicht eindämmen. Obwohl Volk und Stände die Abschaffung klar verlangten, setzen sich die Verfassungsbrecher im Parlament ­darüber hinweg. Staatsstreichartig entreisst man den Bürgern die Macht. Jetzt packen wir das Unheil an der Wurzel!

Die Kündigungs-Initiative würde im Falle einer Annahme umgesetzt?
Mit einer Fassung, an der die Schlaumeier im Bundeshaus nicht vorbeikönnen, ist dies zu hoffen. Nur: Eine Kündigung allein genügt nicht. Sonst kündigen sie in Bundesbern das Abkommen, um gerade ein neues Abkommen abzuschliessen und um die Masseneinwanderung wieder zu gewährleisten.

Am 24. Juni diskutieren die SVP-Delegierten über das Volksbegehren. Wie muss die Initiative demnach aussehen?
Mindestens ist das bestehende Abkommen mit der EU zu beseitigen, neue sind zu verhindern und die Zuwanderungsbedingungen müssen in der Hand der Schweiz liegen und dürfen nicht aus der Hand gegeben werden. Nur so kann die Masseneinwanderung gestoppt werden.

Sie werden dieses Jahr 77 Jahre alt ...
Oh, habe ich ganz vergessen – vielleicht eine Folge des Gedächtnisschwundes (lacht).

Erlauben Sie uns die Frage, Herr Blocher: Stimmt eigentlich etwas mit Ihrem Auge nicht? Ihr rechtes Brillenglas spiegelt ein wenig.
Ich habe infolge eines kleinen Augenmuskeldefekts eine Sehstörung. Dies kann durch diese Brille korrigiert werden, aber es dauert einige Monate.

Zum Schluss: Planen Sie eigentlich noch die Lancierung Ihrer Sonntagszeitung?
Im Moment nicht.

Woran liegt das?
Zurzeit stecken die Sonntagszeitungen wie alle Medien in einer Krise. Fernsehwerbung, Internet, Online reduzieren die Einnahmen der Zeitungen, die Zahl der Abonnenten ist rückläufig, weil viele sich mit Online begnügen. Mal schauen, wo die Entwicklung hinläuft. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben.

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