Bundesgericht erlaubt Immobilienbesitzern mehr Rendite
Werden jetzt die Mieten teurer?

Das Bundesgericht lockert die Rendite-Beschränkung für Immobilienbesitzer. Das sind schlechte Nachrichten für Mieterinnen und Mieter.
Publiziert: 16.11.2020 um 15:09 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2020 um 15:13 Uhr
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Natalie Imboden vom Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband befürchtet, dass mancherorts die Mieten steigen könnten.
Foto: Keystone
Lea Hartmann

Das Urteil des Bundesgerichts lässt beim Mieterverband die Alarmglocken schrillen: Das höchste Gericht hat entschieden, dass Immobilienbesitzer neu mehr Rendite machen dürfen. Das könnte zu Mietaufschlägen führen.

Auslöser für den Entscheid ist ein Mietstreit im Kanton Waadt. 2190 Franken plus Nebenkosten für eine 4,5-Zimmer-Wohnung – das fanden die Neumieter viel zu teuer. Ihre Vormieter hatten knapp 200 Franken weniger zahlen müssen. Sie klagten gegen die Miete und bekamen Recht. Die Vermieterin, eine Pensionskasse, musste den Mietzins massiv senken: auf 900 Franken. Dagegen zog die Kasse vors Bundesgericht.

Mehr Spielraum für Vermieter

Vermieter dürfen in der Schweiz nicht unbegrenzt Gewinn scheffeln. Die zulässige Nettorendite ist begrenzt. Wie viel genau erlaubt ist, ist allerdings nicht gesetzlich festgelegt. Stattdessen orientierte man sich bisher an Urteilen des Bundesgerichts aus den 80er und 90er Jahren.

Nun ändert das Bundesgericht seine Praxis und erlaubt den Vermietern bei der Festlegung des Mietzinses mehr Spielraum. Eine Leitplanke, an der sich Vermieter zu orientieren haben, ist der Referenzzinssatz. Bisher durfte der Ertrag den Referenzzinssatz um nicht mehr als 0,5 Prozent übersteigen. Neu dürfen es bis zu 2 Prozent sein, wenn der Referenzzinssatz 2 Prozent oder weniger beträgt. Auch beim investierten Eigenkapital – einem zweiten Faktor, anhand dessen die Nettorendite berechnet wird – rechnet das Bundesgericht neu aus Vermietersicht grosszügiger.

«Hürden für Klagen werden höher»

Die Praxisänderung hat zur Folge, dass die Kläger aus dem Kanton Waadt nun doch mehr Miete zahlen müssen. Das Bundesgericht erhöht den Mietzins für die 4,5-Zimmer-Wohnung von 900 auf 1390 Franken.

Aber auch für andere Mieterinnen und Mieter in der Schweiz hat das Urteil Konsequenzen. «Die Hürden für Klagen gegen missbräuchliche Mieten werden so höher», sagt Natalie Imboden (50), Generalsekretärin des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz. Sie befürchtet ausserdem, dass Vermieter die neue Rechtssprechung ausnutzen und die Mieten erhöhen. «Ein Vermieter, der das Maximum an Gewinn herausholen will, wird den Mietzins gegen oben anpassen», sagt sie.

Schon heute sind viele Mieten eigentlich illegal. Vermieter profitieren davon, dass man aktiv gegen Wuchermieten klagen muss. Das trauen sich nur sehr wenige. Imboden glaubt, dass einige Vermieter sich nun trauen könnten, noch mehr draufzuschlagen.

Der Grund sind die sinkenden Zinsen

Das Bundesgericht begründet die Anpassung mit den stetig sinkenden Zinssätzen auf Hypotheken. Damit sinkt auch der daran gekoppelte Referenzzinssatz. Die Entwicklung habe dazu geführt, dass mittlerweile sehr niedrige Mieterträge resultierten, schreibt das Bundesgericht. Diese stünden «in keinem angemessenen Verhältnis zur Nutzung betreffender Wohnungen». Gerade für Pensionskassen, die mit dem Gewinn aus ihren Anlagen Renten zahlen müssen, seien die Gewinne zu klein. Folgt man dieser Begründung, haben höhere Mieten auch etwas Positives – zumindest für die grosse Mehrheit der Bevölkerung, die in einer Pensionskasse versichert ist.

Der Mieterverband aber findet die Begründung der höchsten Richterinnen und Richter «absurd und hochgradig politisch». Es gebe überhaupt keinen einleuchtenden Grund, weshalb die Mieten steigen sollten, während die Zinsen sonst sehr tief seien.

Parlament will Gesetz ändern

Die Praxisänderung des Bundesgerichts könnte allerdings vom Parlament bald gestützt werden. Ein Vorstoss des Waadtländer FDP-Nationalrats und Präsident der kantonalen Immobilienkammer Olivier Feller (46) ist derzeit hängig. Er fordert, dass man genau das ins Gesetz schreibt, was das Bundesgericht jetzt entschieden hat. Der Nationalrat hat vergangenes Jahr bereits Ja zum Vorschlag gesagt – gegen den Willen von SP, Grünen, GLP und Teilen der CVP.

Im Dezember entscheidet der Ständerat. Der Mieterverband hat bereits angekündigt, das Referendum zu ergreifen, sollte die Gesetzesänderung durchkommen. Ein Nein zum Gesetz wäre aus Sicht des Verbands derweil ein Zeichen ans Bundesgericht, die Rechtssprechung wieder zu ändern und den Vermietern wieder engere Schranken zu setzen.

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