Der Entscheid war zwar sachlich falsch, aber politisch nachvollziehbar: Zu diesem Schluss kam im vergangenen Jahr eine Administrativuntersuchung, die sich der Aufarbeitung des Entscheids von Bundesrat Guy Parmelin widmete, das Projekt zur Beschaffung eines neuen Systems zur bodengestützten Luftverteidigung (Bodluv) auf Eis zu legen.
Die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments sind allerdings anderer Meinung. Heute stellten sie ihren Bericht zur Bodluv-Affäre vor, der von der Kommission des Ständerats deutlich, von jener des Nationalrats knapp angenommen wurde. Darin halten sie fest: Der Sistierungsentscheid vom 22. März 2016 war nicht nur sachlich, sondern auch politisch «nicht nachvollziehbar».
Der GPK-Bericht hätte eigentlich schon vor einem Monat präsentiert werden sollen. Doch wegen massiver Differenzen zwischen den GPK-Mitgliedern war die Pressekonferenz im Dezember im letzten Moment abgesagt worden.
Parmelin hatte kein Vertrauen
Nun aber konnten sich die Kommissionmitglieder auf einen Bericht einigen. Parmelin habe angegeben, dass er sich von den Projektverantwortlichen nicht angemessen informiert gefühlt und Bedenken in Bezug auf das Projekt gehabt habe, heisst es darin.
Aus Sicht der GPK waren Parmelin und seine Mitarbeitenden aber angemessen informiert. Doch offenbar vertraute der Bundesrat den Informationen nicht. Ein Grund dafür war gemäss dem Bericht, dass dieser sein Amt erst wenige Wochen zuvor angetreten hatte.
Ein anderer waren die Indiskretionen: Medien hatten berichtet, dass die Projektgruppe den Kauf von Fliegerabwehrsystemen plante, die die definierten Anforderungen nicht erfüllten. Aus dem Bericht geht etwa hervor, dass Parmelin am Vortag des Entscheids von der Sendung «Rundschau» mit Informationen zu Bodluv konfrontiert wurde, die er nach eigenen Angaben selbst nicht kannte.
Aber auch die Projektverantwortlichen machten Fehler
Insgesamt untergruben die Vorgänge offenbar das Vertrauensverhältnis zwischen Parmelin und den Projektverantwortlichen. Diese werden in dem Bericht nur leise kritisiert. Die Verwaltung sei sich oft zu wenig bewusst, dass auch technische Fragen - im konkreten Fall die Leistungseinschränkungen - politisch bedeutsam sein könnten, heisst es etwa. Auf potenzielle Probleme und Risiken sei Parmelin zu wenig hingewiesen worden.
Und trotzdem: Die Umstände würden den Departementsvorsteher nicht von der Pflicht entbinden, sich vor einem Entscheid umfassend über mögliche Konsequenzen zu informieren. Nach Ansicht der GPK hätte Parmelin aktiv offene Fragen klären lassen und mit den Verantwortlichen Rücksprache halten müssen. Stattdessen habe er den Entscheid «alleine und unabhängig getroffen».
GPK empfiehlt Wiederaufnahme der Evaluation
Problematisch ist gemäss dem Bericht auch der Zeitpunkt des Projektabbruchs. Demnach gab es keinen Anlass für einen sofortigen Entscheid. Am Ende der Evaluationsphase hätten gesicherte Angaben zu den Kosten und den Fähigkeiten der ausgewählten Systeme vorgelegen. Auf dieser Basis hätte Parmelin im September 2016 über Weiterführung oder Abbruch des Projekts entscheiden können.
Nun aber wurden 20 Millionen Franken ausgegeben, ohne dass brauchbare Daten zu den getesteten Systemen vorliegen. Der mit der Beschaffungsvorbereitung beauftragten Firma Thales musste etwa die gleiche Summe gezahlt werden, die bei Abschluss der Evaluation fällig geworden wäre. Parmelin habe mit der Sistierung nicht dafür gesorgt, eine unkontrollierte Kostenentwicklung zu stoppen, heisst es in dem Bericht.
Um die Ausgaben zu retten und aus dem bisherigen Arbeiten doch noch einen Nutzen zu zu ziehen, empfehlen die GPK dem Bundesrat, die abgebrochene Evaluation rasch fortzusetzen. Im Rennen sind noch das deutsche System IRIS-T, das nicht allwettertauglich sein soll, sowie das britische System CAMM-ER, das eine zu geringe Reichweite hat. Mit der Beschaffung beider Systeme (Zwillingsvariante) gedachten die Projektverantwortlichen, die jeweiligen Mängel auszugleichen.
VBS-Chef will sich nicht äussern
Darüber hinaus verlangen die GPK vom Bundesrat einen Bericht zur Frage, wie voreilige Entscheide von Departementsvorstehern vermieden werden können. An Parmelin ergeht die Empfehlung, sich künftig an die vorgesehenen Entscheidungsprozesse zu halten und seine Entscheide auf einer sachlich fundierten Grundlage zu treffen.
Parmelin wollte sich am Freitag nicht zu dem Bericht äussern. Dieser sei an den Bundesrat gerichtet, der darüber diskutieren werde, teilte das Verteidigungsdepartement VBS mit. Vorher werde sich Parmelin nicht dazu äussern. (SDA/lha)