2018 muss die Schweiz ihr Verhältnis zur EU klären. Die SVP hat schon mal die kriegerischen Vokabeln hervorgeholt und spricht von «EU-Diktatur». Die Schweiz sei dabei, ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Ihre Demokratie! Ihre Freiheit! Ihre Neutralität! Sie verkomme zu einer Kolonie des Brüsseler Absolutismus.
Aber will die Parlamentsmehrheit in Bern unser Land tatsächlich an fremde Mächte verschachern, unsere Identität ausradieren, uns der EU unterwerfen? Ist die Europäische Union wirklich der grösste Feind der Schweiz?
Den Jahreswechsel verbrachte ich in Riga, der Hauptstadt Lettlands. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen waren fünfzig Jahre lang der Sowjetunion unterworfen. Sie haben Kommunismus und Unterdrückung überlebt – und sich nach dem Ende des Kalten Krieges nichts sehnlicher gewünscht, als Mitglieder der EU zu werden. 2004 wurde ihr Wunsch erhört.
Als Schweizer Bürger war ich verblüfft zu sehen, wie die Letten Silvester feiern: Sie schwingen nicht nur ihre Landesfahnen, sondern ganz selbstverständlich auch das blau-gelbe Sternenbanner der EU. Die Menschen sind stolz auf ihr Land. Ebenso stolz sind sie auf die Europäische Union. Sie wissen: Dort Mitglied zu sein, macht ihr Land stärker, garantiert Wohlstand, Demokratie und Unabhängigkeit. Um an der europäischen Währungsunion teilzuhaben und den Euro zu bekommen, mussten sich die Letten einer harten Kur unterziehen, Renten- und Lohnkürzungen hinnehmen. Heute melden die drei baltischen Staaten das mit Abstand höchste Pro-Kopf-Einkommen aller Ex-Sowjetrepubliken – es liegt fast doppelt so hoch wie in Russland.
Im März brachte der spanische Politiker Esteban González Pons die Bedeutung der EU vor dem europäischen Parlament auf den Punkt: «Im Norden ist Europa vom Populismus bedroht. Im Süden durch die im Meer ertrunkenen Flüchtlinge. Im Osten von Putins Panzern. Im Westen von Trumps Mauer. In der Vergangenheit vom Krieg, in der Zukunft vom Brexit. Europa ist heute so allein wie nie. Trotzdem ist Europa die beste Lösung. (...) Europa ist die Aussöhnung von Franzosen und Deutschen. Europa ist für Spanien, Griechenland und Portugal die Rückkehr zur Freiheit. Europa ist das Ende des Kommunismus. Europa ist der Wohlfahrtsstaat, die Demokratie. Europa sind die Menschenrechte.»
Bei allen Mängeln, die man ihr vorwerfen kann: Die EU hat Europa dauerhaften Frieden gebracht, wirtschaftliche Prosperität und exakt dieselben Werte, für die auch die Schweiz steht.
Es gibt also keinen Grund, die Europäische Union zu verteufeln. Die Schweiz muss ihr nicht beitreten, aber sie sollte normale Beziehungen zu ihr unterhalten und sie als das respektieren, was sie ist: unser mit Abstand wichtigster Partner.
Wenn es dem Bundesrat unter dem neuen Aussenminister Ignazio Cassis 2018 gelingt, einen vernünftigen Rahmenvertrag zu vereinbaren, der diese Partnerschaft wahrt – aber auch die Souveränität der Schweiz: Dann wird 2018 zu einem guten Jahr.