Er gilt als unabhängig, bescheiden und kompetent: Samuel Tanner (62), Fürsprecher, SP-Mitglied, stellvertretender Direktor der Steuerverwaltung des Bundes (ESTV). «Er sieht sich als Staatsdiener, der seine Arbeit macht und schaut, dass möglichst wenig betrogen wird», sagt Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm (SP).
Seine Arbeit machte der Stadtberner Tanner auch, als er vor der Unternehmenssteuerreform II (USTR II) warnte. Da würden neue Schlupflöcher geschaffen. Die Warnungen wurden ignoriert, Tanner faktisch kaltgestellt (im BLICK). Jetzt weiss man, dass wegen der USTR II bisher 880 Milliarden Franken Dividenden steuerfrei ausbezahlt werden können.
«Tanner ist ein topseriöser Verwaltungsjurist mit sehr viel Erfahrung. Nicht nur bei der USTR II, auch bei früheren Revisionen pochte er darauf, Entscheide aufgrund von sauberen Grundlagen zu fällen», sagt Ex-SP-Nationalrat André Daguet.
Nach dem Studienabschluss 1979 arbeitete Tanner bei der Berner Steuerverwaltung, dann bei der Revisionsgesellschaft Revisuisse. 1991 holte ihn SP-Bundesrat Otto Stich zur ESTV. Seit 1995 ist Tanner Chef des Bereichs direkte Steuern und Stellvertretender Direktor. 1999 bewarb er sich für die Stelle des ESTV-Direktors. «Der rote Tanner steht vernünftigen Lösungen im Weg», soll Gerold Bührer, ehemals Präsident der FDP und des Wirtschaftsverbands Economiesuisse, einmal gesagt haben.
Finanzminister Kaspar Villiger (FDP) nahm nicht den soliden Tanner, sondern Urs Ursprung (SVP). Der Rest ist bekannt: Mitte 2012 setzte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf Ursprung wegen des Millionenskandals ab. Auch weil Ursprung in der ESTV ein korruptionsanfälliges Klima zugelassen habe.
Jetzt sucht Widmer-Schlumpf einen neuen ESTV-Chef. Tanner wäre für Beobachter der Richtige, um der ESTV wieder zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Gerade weil mit der USTR III eine neue heikle Reform ansteht, bei der es um Milliarden geht.
«Herr Tanner hat sich nicht um die Nachfolge des Direktors ESTV beworben», sagt ESTV-Sprecher Thomas Brückner. Aber ablehnen würde der Staatsdiener eine Wahl kaum. Freunden hat Tanner gesagt: «Ich brauche das eigentlich nicht mehr, ich werde bald pensioniert. Aber wenn sie mich noch zum Direktor machen wollen, okay.»