Biologin Bianca Saladin (33) ist jetzt Corona-Detektivin in Zürich
Statt Wucherpflanzen bekämpft sie jetzt Viren

Im Kampf gegen das Coronavirus ist eine wichtige Waffe derzeit das Telefon. Dutzende sogenannte Tracer gehen Ansteckungsketten nach und rufen mögliche Infizierte an. Am Hörer sind unter anderen Biologinnen, Polizisten, Zivis und Schulpersonal.
Publiziert: 15.05.2020 um 23:01 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2020 um 20:50 Uhr
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Bianca Saladin (33) ist Biologin. Jetzt arbeitet sie als Tracerin.
Foto: Ramona Schelbert
Lea Hartmann

Bianca Saladin (33) ist normalerweise beim Kanton Zürich für die Bekämpfung eingeschleppter Pflanzen zuständig. Jetzt kümmert sich die Biologin am Telefon um Corona-Betroffene, die in Quarantäne ausharren.

Im Büro, in dem Saladin sitzt, sieht es aus wie in einem behelfsmässigen Callcenter. Auf den Pulten stehen Computer und Telefon, die Arbeitsplätze sind mit Trennwänden abgeschirmt und nummeriert, auf einer Flipchart vorne im Raum ist das Tagesprogramm notiert.

In den Räumlichkeiten am Flughafen Zürich betreibt die Polizei in Ausnahmesituationen das Nottelefon. Zuletzt hat man von hier aus 1998 die Angehörigen der Opfer des Swissair-Absturzes bei Halifax benachrichtigt. 22 Jahre später ist es die Contact-Tracing-Zentrale des Kantons.

Die Tracer leisten Detektivarbeit

Seit Anfang Woche müssen die Kantone wieder sämtliche Ansteckungsketten zurückverfolgen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Wie das die Kantone organisieren, ist ihnen überlassen. Vielerorts helfen Zivis oder Zivilschützer aus. Im Kanton Glarus wurden auch Mitarbeiter aus der Mediathek der Kantonsschule aufgeboten. In Zürich sind es wie Saladin unter anderen Mitarbeiterinnen aus der Baudirektion. Auch Ermittler der Kriminalpolizei und Polizisten, die sonst am Flughafen das Gepäck röntgen, wurden für das Contact-Tracing geschult.

Schliesslich hat der Job eines Tracers durchaus Ähnlichkeiten mit dem der Polizei – insbesondere in einem ersten Schritt. Da geht es darum, gemeinsam mit der infizierten Person herauszufinden, mit wem sie Kontakt hatte, und diese Personen aufzuspüren. Die Tracer informieren sie, dass sie sich die nächsten zehn Tage in Quarantäne begeben müssen. Nach einer Woche – wenn nötig, auch häufiger – wird ein Kontrollanruf getätigt.

Die Ruhe dürfte nicht von Dauer sein

An diesem Freitagmorgen sind im kargen Sitzungszimmer am Zürcher Flughafen nur sechs der gut zwei Dutzend Telefon-Nischen besetzt. Da es kaum Neuinfektionen gibt, haben die Tracer nicht viel zu tun. Noch nicht. Denn mit den Lockerungen dürften die Ansteckungen wieder steigen.

Von Arbeitsplatz Nr. 8 macht Saladin sich heute auf die Suche nach Kontaktpersonen. Aktuell sind es pro Corona-Fall meist nur eine Handvoll – während des Lockdowns waren die sozialen Kontakte bei vielen schliesslich überschaubar.

Saladin hat im Februar ihre Dissertation abgegeben. Sie, eigentlich bei der Baudirektion des Kantons angestellt, hat schon im März Ansteckungsketten abtelefoniert, bevor der Kanton die Nachverfolgung unterbrach. Inzwischen spult sie die Fragen schon fast im Schlaf ab. Husten Sie? Haben Sie eine Vorerkrankung? Leben Sie alleine?

Aber Saladin ist auch da, um zu erklären und zu beraten, zu beruhigen und Mut zuzusprechen. Gerade für eine Familie ist es nicht einfach, wenn alle Familienmitglieder, auch Kinder, zehn Tage lang ihr Daheim nicht mehr verlassen dürfen.

«Ich staune, wie viel Verständnis die Menschen haben»

Angesichts dessen sagt Saladin: «Ich staune, wie viel Verständnis die Menschen haben.» In den meisten Fällen reagierten die Leute positiv, wenn sie anrufe. Nur ein Teenager hatte so gar keinen Bock, mit Saladin zu telefonieren. Der 19-Jährige sei fast nicht ans Telefon zu bekommen gewesen, erzählt sie. Sie habe dann am nächsten Tag noch einmal angerufen, um zu kontrollieren, ob er sich jetzt wirklich an die verordnete Quarantäne halte.

Auch bei der Kollegin vis-à-vis ist gerade Fingerspitzengefühl gefragt. Sie ist ebenfalls Biologin und normalerweise für das Tigermücken-Monitoring im Kanton zuständig. Nun hatte sie einen Mann am Apparat, der sich testen lassen sollte. Doch er will nicht zum Arzt. Die Tracerin bespricht die Situation mit der Teamleiterin, Ärztin Flavia Lopetrone (41). «Sag nochmals, es werde sehr empfohlen, und versuche herauszufinden, was seine Gründe sind», rät diese. Denn zum Testen zwingen können die Corona-Detektive ihn nicht.

Die Tracerin wird deshalb nochmals zum Telefon greifen und versuchen, den Mann mit Argumenten zu überzeugen. Sie wie auch Saladin werden noch einige Wochen in der Tracing-Zentrale aushelfen. Längerfristig will der Kanton Zürich die Arbeit dann einer externen Firma überlassen. Damit sich die Biologinnen wieder um die Tigermücken und Wucherpflanzen im Kanton kümmern können.

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