Die Reihen in der katholischen Kirche St. Mauritius in Dornach SO waren gut gefüllt. Gegen 600 Personen nahmen Abschied vom verstorbenen alt Bundesrat Otto Stich († 85). Er war letzte Woche im Altersheim Wollmatt friedlich eingeschlafen. Vor dem Altar war Stichs Sarg aufgebahrt, darauf ein herrlicher Strauss aus 250 Gladiolen – seinen Lieblingsblumen.
Gladiolen in Rot-Weiss, passend zu den Solothurner und Schweizer Farben. In der dritten Bankreihe sass Stichs Familie. Seine Kinder Matthias (48) und Angelika (37) umrahmten Ehefrau Trudi (82).
Gleich zu Beginn zeichnete Kirchgemeindeleiter Tobias Fontein das Bild des Menschen Stich. Einer, der sich nicht mit dem Wind drehte, der seinen Weg unbeirrbar ging. Authentisch, geradlinig, glaubwürdig. «Wo Otto Stich draufstand, war auch Otto Stich drin.» Fontein hob den Familienvater hervor, dem die gemeinsamen Momente mit der Familie so wichtig waren. Der am Samstag
im Dorf den Einkauf besorgte, um seine Familie sonntags selber zu bekochen. Und der im Ruhestand noch waschen und bügeln lernte. Offen sprach Fontein auch Stichs Demenzkrankheit an, die ihm in letzter Zeit immer stärker zu schaffen gemacht hatte. «Der Tod war für Otto Stich das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Weges.»
Als Freund der Familie würdigte SP-Ständerat Roberto Zanetti Stich. Dieser werde ihm und vielen Menschen wie folgt in Erinnerung bleiben: «Als mild lächelnder, aber immer engagierter Kämpfer für mehr soziale Sicherheit und mehr Gerechtigkeit.» Zu BLICK sagte Zanetti: «Otti war ein eigenwilliger, gemütlicher und total liebenswürdiger Mensch.» Und SP-Nationalrat Philipp Hadorn erinnert sich, wie er einst als Kantonsratskandidat dem Ex-Magistraten bei einer Veranstaltung begegnete. «Da ist ja dieser junge Hadorn, ich weiss schon, wer da kommt», sei Stich auf ihn zugetreten, und habe ihm gleich das Du angetragen: «Ich bin der Otti!»
Zahlreiche weitere Politiker erwiesen Stich gestern die letzte Ehre. Die Landesregierung war durch die Bundesräte Simonetta Sommaruga und Alain Berset vertreten. «Es war sehr berührend. Otto Stich war eine wichtige Persönlichkeit für unser Land», sagt Berset nach der Trauerfeier zu BLICK. Stich sieht er als Vorbild: «Er stand für eine gerechte Gesellschaft und die Schweiz ein und blieb stets nahe bei den Leuten.» Sie sei mit Stich zwar in vielem nicht gleicher Meinung gewesen, sagte Sommaruga. «Ich habe ihn aber geschätzt, weil er immer zu sich selbst und seinen Überzeugungen stand, auch wenn er dafür heftig kritisiert wurde. Er hat Rückgrat bewiesen, das hat mir imponiert.»
Auch sechs alt Bundesräte erwiesen dem Verstorbenen die Referenz: Ruth Dreifuss und René Felber (beide SP), Kaspar Villiger (FDP), Flavio Cotti und Arnold Koller (beide CVP). Und sogar Christoph Blocher (SVP). «Ich habe mit Stich gut zusammengearbeitet», sagte Blocher zu BLICK. Sie seien beide gegen den EWR und die EU gewesen, ebenso gegen die zweite Neat-Röhre. «Erst als ich selber Bundesrat wurde, haben wir uns eher entfremdet.»
Blocher tauschte seine Erinnerungen an den Verstorbenen mit den alt Nationalräten Rudolf Strahm und Helmut Hubacher aus. Letzterer, der als damaliger SP-Präsident wegen der Nicht-Wahl von Lilian Uchtenhagen seine Differenzen mit Stich hatte, zeigte sich versöhnlich: «Wir sind zwar nie persönliche Freunde geworden, aber wir haben eine Geschäftsgrundlage gefunden.»
Der populäre Otto Stich hatte seine Wurzeln nie vergessen. In Dornach war er aufgewachsen, in Dornach hat er als Gemeindeammann politisiert, Dornach war er auch als Bundesrat treu geblieben. «Er ging auf das Fussvolk zu. Er war im ganzen Dorf beliebt. Der Otti war einer der Guten», sagt ein pensionierter Arbeiter am Stammtisch im Restaurant Museum. «Er war einfach und gmögig.» In Dornach hat Stich nun seine letzte Ruhe gefunden.