Kaum ein Künstler mischt sich so engagiert in die Schweizer Politik ein wie Lukas Bärfuss – auch nach den Flüchtlingstragödien im Mittelmeer hat er sich wieder zu Wort gemeldet. Beim Kaffee in der Bundesstadt erklärt der Schriftsteller, was ihn an seinem Heimatland stört. Warum er trotzdem gerne nach Hause kommt. Und was hinter der Aktion «Wunsch-Schloss» steckt, bei der er sich als Juror betätigt.
SonntagsBlick: Herr Bärfuss, sind Sie ein Träumer?
Lukas Bärfuss: Ein sehr intensiver sogar. Träume gehören zu den stärksten Geschichten. Packend, emotional, überraschend. So möchte ich auch schreiben. Was aber mein Leben betrifft, bin ich durchaus pragmatisch.
Sie sitzen in der Jury eines verträumten Projekts, des «Wunsch-Schlosses», das Wünsche der Bevölkerung in Sachen Wirtschaft an die Politik formuliert. Da gehört ja eine gehörige Portion Utopie dazu.
Das hoffe ich. Aber es geht um mehr: das Gespräch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu fördern. Das wollte ich unterstützen. Gerade weil die Initianten aus der Wirtschaft kommen und nicht zu meinen üblichen Kreisen gehören.
Die Politik soll auf die Wirtschaft hören, ist das Ihre Wahlempfehlung für den Herbst?
Beim «Wunsch-Schloss» kann jeder mitmachen. Jede gute Idee wird beachtet, egal, woher sie kommt. Aber natürlich steht Wirtschaftspolitik im Kern unseres Zusammenlebens. Wer bekommt wie viel vom Kuchen? Zu viele müssen sich heute mit Krümeln begnügen. Wenn jährlich 70 Milliarden Franken beinahe steuerfrei vererbt werden, dann ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten.
Zugleich schreiben Sie in Ihrem neuen Buch, die Demokratie mache Sie müde.
Die Demokratie ist mir wertvoll. Es gab nicht viele Abstimmungen, die ich seit meinem 18. Lebensjahr verpasst habe. Müde macht mich ein gewisser sorgloser Umgang mit ihr. Diskutiert werden Nebensächlichkeiten. Und die entscheidenden Dinge werden zu oft ohne Debatte entschieden. Etwa die Herausgabe der Steuerdossiers an die USA. Oder der 54-Milliarden-Kredit an die UBS. Alles ohne politische Diskussion.
Wir haben einen anderen Verdacht: Sie haben einfach zu oft verloren an der Urne.
Ich war häufig bei den Verlierern, ja. Das ist zwar unangenehm, aber grundsätzlich kein Problem.
Auch nicht, als die Masseneinwanderungs-Initiative angenommen wurde?
Darum geht es nicht. Volksinitiativen sollten das letzte, nicht das erste demokratische Mittel sein. Und schon gar nicht Marketing-instrumente der politischen Parteien. Denn egal, wie man die einzelnen Ergebnisse bewertet, muss man doch zugeben: Viele der Volksinitiativen schaffen mehr neue Probleme als sie alte lösen.
Wie wollen Sie das verhindern?
Zum Beispiel, indem man das Quorum von 100000 Unterschriften dem Wachstum der Bevölkerung anpasst. Aber das wird nicht passieren. Initiativen eignen sich zu gut zur Polarisierung. «Wir gegen die anderen». Das schafft Aufmerksamkeit, aber es löst keine Probleme.
Dennoch setzen Sie sich nach der Flüchtlingstragödie just in die «Arena». Gefällt es Ihnen unter Politikern?
Das kommt doch sehr auf die Politiker an! Als mich die Anfrage erreichte, war ich mit meiner Familie im Urlaub. Und zwar ausgerechnet am Mittelmeer. Das Wasser war furchtbar kalt, und es fiel mir schwer, alles auszublenden und einfach die Ferien zu geniessen. Da zog ich es vor, in die Sendung zu gehen.
Sie nannten bei Ihrem Auftritt die Flüchtlinge Helden. Die Reaktionen waren durchzogen.
Es gibt viel Wut und Frustration in unserer Gesellschaft. Viele haben Angst um ihre Existenz. Schriftsteller sind manchmal der Katalysator, aber nie der Grund für diese Wut.
Sie stellen aber auch Forderungen, die die Politik nie erfüllen kann. Etwa wenn Sie verlangen, die Schweiz soll alle Flüchtlinge aufnehmen.
Es geht mir nicht nur um die Flüchtlinge. Es geht mir auch um uns. Die Ungleichheit in dieser Welt können wir auf Dauer nur mit Gewalt aufrechterhalten. Mit Abschottung und Vertreibung. Das aber widerspricht unseren Grundwerten. Und deshalb wird sich diese Gewalt gegen uns wenden.
Bei all Ihrer Kritik: Sind Sie gerne Schweizer?
Was man nicht ändern kann, sollte man besser lieben lernen. Ich fahre gerne weg, aber fast noch lieber komme ich jeweils wieder nach Hause.
Worauf freuen Sie sich?
Auf meine Liebsten. Auf meine Bibliothek, wieder selber kochen zu können. Die Freiheit, unterwegs zu sein, ist schätzenswert. Aber nur, wenn man wieder nach Hause zurückkehren kann.
Können Sie uns erzählen, wie es dazu kam, dass Sie in Ihrer Jugend auf der Strasse lebten?
Darüber werde ich lieber schreiben (lacht). Was ich sagen kann, ist: Das Wetter hat eine andere Bedeutung. Wenn die Sonne scheint, ist man nie alleine. Erst mit dem Regen und der Kälte kommt die Einsamkeit.
Wenn Sie für Ihre Familie am Herd stehen, wie stellen Sie sich die Zukunft Ihrer Kinder vor?
Vor ihnen stehen grosse Aufgaben. Materiell wird es den kommenden Generationen kaum besser gehen. Sie werden das Glück anders definieren müssen. Die demografische Entwicklung wird unsere Gesellschaft von Grund auf verändern. Unser Verhältnis zur Arbeit, den Generationenvertrag. Auch ein Thema, das in der Schweiz kaum diskutiert wird.
Dann werden Sie wohl schon im Altersheim sitzen.
Mir wäre eine Bank auf einem belebten Platz lieber. Man könnte mich morgens hinschieben und abends wieder abholen. Die grossflächige Kasernierung unserer Alten ist ein Skandal. Aber sie beweist nur, wie wenig unsere Gesellschaft mit Menschen anfangen kann, die aus der Produktion ausgeschieden sind.