BLICK: Herr Aussenminister, wie haben Sie vom Brexit erfahren?
Didier Burkhalter: Ich war schon ganz früh am Morgen online – und habe die Entwicklungen auf Schweizer Newsportalen verfolgt. Die Entwicklung in Richtung Austritt hat sich früh abgezeichnet.
Hatten Sie mit der britischen Regierung Kontakt?
Ich habe Aussenminister Philip Hammond und David Lidington, dem Beauftragten für EU-Fragen, je ein SMS geschickt – aber von beiden noch nichts gehört. Die sind jetzt natürlich sehr beschäftigt.
Was haben Sie in diesen SMS geschrieben?!
Das ist geheim (lacht). Ich habe betont, die Schweiz wolle und werde in Zukunft konstruktiv mitarbeiten. Und dass die jetzige Situation verlange, dass wir gemeinsam gute Lösungen für unsere Bevölkerungen finden.
Haben Sie auch Ihr Bedauern über das Votum ausgedrückt?
Nein! Das ist eine britische Entscheidung, die ich nicht werte. Ich möchte auch nicht, dass meine britischen Kollegen ihre Beurteilung über Schweizer Abstimmungen abgeben.
Ist der Brexit der Anfang vom Ende der EU?
Nein, das glaube ich nicht. Die EU wird nicht auseinanderbrechen. Sie war Garant für Stabilität und Frieden in Europa. Und wird es weiterhin bleiben. Wichtig scheint mir, dass die Staaten Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Beispielsweise lösen die Globalisierung und Migration Ängste aus. Darauf braucht es Antworten. Die Geschichte Europas des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, dass es sehr gefährlich wird, wenn die Menschen Angst haben. Jetzt müssen die europäischen Staaten die Kultur des Respekts in der Demokratie pflegen. Die Brexit-Kampagne war sehr heftig – und hat mit dem Tod von Jo Cox sogar zu einer Tragödie geführt. Nun gilt es, das Verdikt zu akzeptieren und die Minderheit einzubinden.
Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die Schweiz?
Es gibt derzeit viele Probleme auf der Welt. Nun ist eine weitere Unsicherheit dazugekommen. Für das Schweizer Verhältnis zur EU ändert sich nichts: Wir streben bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative weiterhin eine einvernehmliche Schutzklausel mit der EU an.
Die Chancen auf einen Deal mit der EU sind doch jetzt auf null gesunken?
Nicht unbedingt. Vielleicht steigt nach dem Brexit in der EU auch die Bereitschaft für pragmatische Lösungen bei Fragen der Migration. Wir sind gewillt, nun weiterzuverhandeln. Und noch im Sommer eine Lösung zu finden. Denn eine Lösung ist im Interesse der Schweiz und der EU. Auch wenn die EU nun grössere Probleme hat – sie hat dennoch ein Interesse, ein Problem mit der Schweiz zu lösen. Daran ändert der Brexit nichts.
Nun könnte die Schweiz die Schutzklausel doch problemlos auch einseitig einführen. Die EU wird jetzt kaum die Energie aufbringen, vehement dagegen vorzugehen.
Die einseitige Schutzklausel ist und bleibt Plan B. Weil die Rechtssicherheit in der Schweiz darunter leiden könnte. Deshalb wollen wir eine Lösung mit der EU.
Der Fahrplan bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative bleibt also genau gleich bestehen?
Von uns aus schon, ja.
Auch der von der Schweiz angestrebte EU-Rahmenvertrag dürfte in der Prioritäten-Hierarchie der EU weit nach hinten rutschen.
Dies ist ein mittel- bis langfristiges Projekt. Und kein kurzfristiges. Ähnliche Fragen stellen sich nun auch für Grossbritannien: Welche Abkommen strebt es als baldiger Drittstaat mit der EU an? Und wie werden diese Abkommen überwacht?
Könnten die Schweiz und Grossbritannien Partner werden bei weiteren Verhandlungen über bilaterale Verträge mit der EU?
Dies ist nicht ausgeschlossen. Die Schweiz muss aber auch proaktiv und konstruktiv ihre Beziehungen mit Grossbritannien neu regeln – etwa den Handel, Zölle, Luftverkehr und vieles mehr.