Nach jahrelangem Gezerre wurde die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP im Dezember mit einem Gesetz konkretisiert. Dabei hat das Parlament alles getan, um eine Verletzung der Personenfreizügigkeit und einen Konflikt mit der EU zu vermeiden – weswegen die SVP von der Nichtumsetzung des Verfassungsauftrags spricht.
Umso erstaunlicher, dass dasselbe Parlament die Personenfreizügigkeit nun mit einem neuen Entscheid aufs Spiel setzt: Die Staatspolitischen Kommissionen beider Räte (SPK) haben nämlich einer Standesinitiative des Kantons Tessin zugestimmt, nach der jeder Zuwanderer künftig einen Strafregisterauszug vorlegen muss, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten.
EU wird das nicht akzeptieren
Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit erlaubt die Überprüfung des Strafregisters jedoch nur in begründeten Verdachtsfällen. «Einen Strafregisterauszug von allen zu verlangen, kommt einer systematischen Kontrolle gleich, die gemäss Freizügigkeitsabkommen nicht gestattet ist», sagt denn auch der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri.
Wie die EU auf «systematische Kontrollen» reagieren würde, sei nicht voraussehbar. Fluri warnt jedoch: Bei einer schweizweiten Regelung wäre eine «harsche Reaktion hochwahrscheinlich».
Selbst der Bündner SVP-Nationalrat Heinz Brand, der den Strafregisterauszug für Zuwanderer befürwortet, sagt: «Eine solche Regelung würde die Personenfreizügigkeit wieder zu einem zentralen Thema machen. Die EU hat dem Vernehmen nach bereits signalisiert, dass sie diese Bestimmung nicht akzeptieren wird.»
Schwere Verwerfungen mit Italien
Einen Vorgeschmack darauf, was drohen könnte, liefert das Tessin: Der Südkanton verlangt seit knapp zwei Jahren einen Strafregisterauszug von allen Zuwanderern und Grenzgängern. Das hat schwere Verwerfungen mit Italien ausgelöst. So weigert sich der südliche Nachbar, verschiedene für die Schweiz vorteilhafte Abkommen zu unterzeichnen.
Das hat die SPK-Mitglieder aber nicht davon abgehalten, die Schraube anzuziehen. Die Mehrheit von SVP und CVP ist der Meinung, das Freizügigkeitsabkommen dürfe die Schweiz nicht hindern, geeignete Massnahmen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit zu ergreifen.
64 negative Entscheide
«Die Erfahrungen im Tessin zeigen, dass die Einforderung des Strafregisterauszugs berechtigt ist», so SPK-Präsident Brand. Tatsächlich haben seit der Einführung der Massnahme 350 Registerauszüge Vorstrafen enthalten. In 64 Fällen waren diese so gravierend, dass den Ausländern der Aufenthalt verweigert wurde. «Wer will schon, dass ein verurteilter Mörder im Nachbarhaus einzieht?», fragt der Tessiner CVP-Nationalrat Marco Romano.
Die Angst vor der EU hält Romano für unbegründet, denn das Vorweisen eines Strafregisterauszugs sei rein sicherheitspolitisch motiviert und diskriminiere niemanden. Auch jeder Nationalratskandidat müssen einen vorlegen.
Nur das Tessin hat ein Problem
«Die Personenfreizügigkeit ist leider zu einem Dogma geworden», sagt er. «Wenn wir immer vorauseilenden Gehorsam zeigen, können wir bald nichts mehr allein entscheiden.» Umso enttäuschter sei er von der FDP, die die Initiative seines Kantons nicht mitgetragen habe.
Das wiederum will Fluri nicht gelten lassen: «Ausser dem Tessin will kein anderer Kanton solche Massnahmen. Wenn die CVP hier auf diesen Zug aufspringt, dann nur, weil Machtgebärden gegenüber der EU derzeit populär sind», sagt er. Das habe man schon bei der Masseneinwanderungs-Initiative gesehen, als neben der SVP nur die CVP auf eine Umsetzung gedrängt habe, die die bilateralen Beziehungen in Frage gestellt hätte.