«Die Wohnwagen sind unsere Tradition, unsere Kultur»
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«Wunsch meines Lebens»:Alfred Werro will mehr Standplätze

Alfred Werro (66) kämpft für seine Lebensweise
«Wir sind nicht Fahrende – wir Jenischen sind Zigeuner!»

Alfred Werro ist Jenischer und kämpft um Sichtbarkeit. Obwohl rund 30'000 Jenische in der Schweiz leben, wissen viele nicht einmal, dass es sie gibt. Werro will das ändern. Er fordert mehr Raum und Rechte. Wir haben Werro besucht.
Publiziert: 02.06.2025 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2025 um 08:16 Uhr
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Alfred Werro ist Jenischer. Er erzählt, wie das Leben in der Schweiz als Angehöriger einer Minderheit aussieht.
Foto: Siggi Bucher

Darum gehts

  • In der Schweiz leben ungefähr 30'000 Jenische, Alfred Werro ist einer von ihnen
  • In der Vergangenheit erlebten sie Bedrohung, Verfolgung und Vernichtung
  • Auch heute noch sind die Jenischen mit vielen Herausforderungen konfrontiert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Es ist ein milder Frühlingstag auf der Stadionbrache beim Hardturm in Zürich. Wer sich zwischen den grünen Flächen hindurchbewegt, steht plötzlich mitten in einer Wagenburg. Angeführt wird sie von einem grossen Festzelt. Rund 70 Wohnwagen – in der jenischen Sprache «Scharotl» genannt – fächern sich darum herum auf. Eigentlich ein Ort, an dem man geschäftiges Treiben erwarten würde.

Doch zu hören ist einzig die warme, aber bestimmte Stimme von Alfred Werro (66). Werro, auf dem Platz bekannt als Popi, ist Jenischer – und damit Teil einer national anerkannten Minderheit. Als Präsident des Zigeuner-Kultur-Zentrums will er Brücken schlagen. Und der sesshaften Bevölkerung die jenische Kultur näherbringen.

Wie Roma und Sinti pflegen auch die Jenischen eine nomadische Lebensweise. Zwar sind viele mittlerweile ganz oder teilweise sesshaft – doch rund 2000 bis 3000 Jenische ziehen in den warmen Monaten noch immer durch die Schweiz. Die Vorurteile ihnen gegenüber seien leider hartnäckig, sagt Werro: «Gerade bei den Älteren heisst es immer noch, dass Zigeuner stehlen und kriminell wären.»

Zigeuner, Fahrende oder Jenische?

Das Wort «Zigeuner» gilt bis heute als Schimpfwort. Vielleicht ist es Alfred Werro gerade deshalb so wichtig, diesen historisch belasteten Begriff zurückzuerobern und ihm eine jenisch geprägte Bedeutung zu geben.

Popi haut die flache Hand auf den Tisch. «Ich stehe dazu, was ich bin», sagt er. Mit der verallgemeinernden Bezeichnung «Fahrende», wie sie viele Institutionen und Stiftungen verwenden, kann er nichts anfangen. «Jeder Marktfahrer, jeder Velofahrer, jeder Oldtimer-Fahrer, alle zusammen sind Fahrende. Das hat doch nichts mit uns zu tun. Wir sind nicht Fahrende, wir Jenischen sind Zigeuner!»

Das Wort trage er mit Stolz – nicht trotz, sondern wegen seiner Geschichte. Denn «Zigeuner» stehe auch für Verfolgung, Vertreibung und die systematische Ermordung von Roma, Sinti und Jenischen. Würde man diesen Begriff aus dem Zusammenhang mit der jenischen Kultur streichen, sagt Werro, würde man auch einen Teil ihrer Geschichte einfach ausradieren.

«Wir haben keinen Platz in der Schweiz»

Klar ist auch: Seit 1995 hat sich die Situation der Schweizer Jenischen deutlich verbessert. Als offiziell anerkannte nationale Minderheit hat der Bund die Verpflichtung übernommen, die Jenischen zu fördern und ihnen die Pflege ihrer Kultur zu ermöglichen. Besonders zentral sind dabei die Schaffung und der Erhalt von Stand- und Durchgangsplätzen. Denn ohne diese ist eine nomadische Lebensweise über Gemeinde-, Stadt- und Kantonsgrenzen hinweg kaum möglich.

Trotz politischer Versprechen bleibe die Lage aber schwierig, kritisiert Werro: «Wir haben keinen Platz in der Schweiz.» Wie prekär die Situation tatsächlich ist, zeigt der jüngste Standbericht der Stiftung Zukunft Schweizer Fahrende. Demnach fehlen 80 bis 90 Stand- und Durchgangsplätze. Doch damit ist es nicht getan. In der Praxis, erzählt Werro, gebe es ganz andere Hürden.

Viele der vorhandenen Plätze seien für die jenische Lebensweise ungeeignet. Oft würden sie rund um die Uhr überwacht, es brauche An- und Abmeldungen, teils seien sogar Schranken installiert. «Wir brauchen das nicht. Wir sind keine Touristen, wir gehen nicht campen, wir wollen wohnen», sagt Werro verärgert. Die jenische Kultur lebe von der Freiheit – davon, zu kommen und zu gehen, wann und wie man will.

Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen

Popi wünscht sich mehr Verständnis. Und er wünscht sich, dass der Bund und die Kantone endlich zuhören und die Jenischen einbeziehen. «Wir haben eine andere Kultur, und die soll auch respektiert werden. Schliesslich respektieren wir ihre Kultur auch.»

Was der Bund anbietet und was die Jenischen tatsächlich brauchen, gehe oft aneinander vorbei, sagt er. Standplätze brauche es nicht irgendwo im abgelegenen Jura oder in einer x-beliebigen Gemeinde. «Die jungen Leute müssen geschäften können, und auf dem Land geht das nicht mehr.» Deshalb brauche es Plätze in Zürich, Basel, Bern oder Genf – Städte, in denen sich gute Handelsmöglichkeiten bieten.

«Was ich mir wünsche, für die jenische Kultur und für die Jungen, wären Durchgangsplätze in Grossstädten. Und viele, viele, viele Winterquartiere», sagt Werro. Dafür kämpft der Präsident des Kulturzentrums seit Jahren. Und obwohl er sich weiterhin stark engagiert, ist ihm die Erschöpfung anzumerken.

«Wir zahlen Steuern, Krankenkasse, machen Militär. Es gibt keinen Unterschied zwischen Ihnen und mir. Nur unsere Kultur. Und unsere Kultur zu erhalten, ist schwer. So schwer!» Eine echte Begegnung auf Augenhöhe – gerade mit dem Bund und den Kantonen – wäre für Werro ein Anfang.

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