Ärztin Solange Peters zur Abschiebung von kranken Kindern
«Diese Ausschaffungen verschlechtern die Überlebenschancen»

Nach schockierendem Fall: Ärztin Solange Peters hat einen offenen Brief an Justizminister Beat Jans mitunterzeichnet. Darin fordert ein Netzwerk von Medizinern, dass vor Dublin-Ausschaffungen der Gesundheitszustand der betroffenen Personen geprüft wird.
Publiziert: 21.05.2025 um 19:52 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2025 um 11:54 Uhr
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Solange Peters hat schon Abschiebungen von Patienten erlebt.
Foto: CYRIL ZINGARO

Darum gehts

  • Ärztin kritisiert Abschiebungen kranker Asylsuchender und fordert mehr Menschlichkeit
  • Solange Peters spricht über Fälle von Krebspatienten mit gefährdeten Überlebenschancen
  • Enorme Unterschiede in der Verfügbarkeit von Krebsbehandlungen zwischen europäischen Ländern
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Camille Krafft

Der Fall von Gildas (11) bewegt die Schweiz. Trotz schwerer Krankheit wurde er mit seiner Familie nach Kroatien abgeschoben. Nach einem öffentlichem Aufschrei durfte er zurück (Blick berichtete). 

Jetzt zeigt sich: Gildas ist kein Einzelfall, wie Solange Peters sagt. Sie leitet die Abteilung für medizinische Onkologie am Universitätsspital Lausanne und ist Präsidentin der Vereinigung Oncosuisse. Sie hat einen offenen Brief unterschrieben. Das Ziel: Die Verletzlichkeit einer Person soll bei der Beurteilung einer möglichen Rückführung stärker berücksichtigt werden. Sie spricht hier in ihrem eigenen Namen.

Blick: Solange Peters, waren Sie direkt mit der Abschiebung von Patienten konfrontiert?
Solange Peters:
Ja, wir haben Fälle in der Onkologie. Insbesondere gibt es eine Person, die während ihrer laufenden Behandlung zurückgeschickt werden soll. Ihr Krebs ist äusserst aggressiv. Diese Rückführung wird ihre Überlebenschancen eindeutig verschlechtern, da sie eine Unterbrechung ihrer Therapie zur Folge hat. Darüber hinaus gibt es dort keine wirksamen modernen Behandlungsmöglichkeiten für ihre Therapie, die unbedingt fortgesetzt werden muss. Wir haben mit Hilfe eines Juristen mehrfach argumentiert, konnten diese Entscheidung jedoch nicht verhindern. Glücklicherweise sind solche Fälle selten. Aber es gibt sie.

Es gibt also Dublin-Abschiebungen, die das Leben von Menschen gefährden?
Wenn es um Onkologie geht, geht es um Leben und Tod. Diese radikalen Abschiebungsentscheidungen sind umso schockierender, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Betroffenen marginal ist. Denn die Auswirkungen auf das Leben der Patienten sind immens.

Wie gross sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern, die das Dublin-Abkommen unterzeichnet haben, was die Verfügbarkeit von Krebsbehandlungen angeht?
Es gibt enorme Unterschiede. Es wurden Studien über die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Behandlungen durchgeführt. Die Diskrepanzen zwischen allen westeuropäischen Ländern wie Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Italien oder Spanien sind bereits immens. Mit osteuropäischen Ländern wie Kroatien, Slowenien oder Rumänien sind sie unermesslich.

Das Staatssekretariat für Migration versichert jedoch, dass die medizinische Versorgung für Personen, die im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeschickt werden, garantiert ist.
In der Onkologie gibt es Krebs und Krebs. Wenn eine Frau zum Beispiel an begrenztem Brustkrebs erkrankt ist, benötigt sie eine Hormontherapie, also eine Pille, die sie fünf oder zehn Jahre lang täglich einnehmen muss. Dies ist eine Behandlung, die in ganz Europa und darüber hinaus verfügbar ist. Wenn eine Person hingegen eine dieser neuen Immuntherapien oder zielgerichteten Behandlungen benötigt, von denen so viel gesprochen wird und die fast alle unsere Patienten erhalten, wird sie in ihrem Heimatland wahrscheinlich nicht in den Genuss dieser Behandlung kommen.

Haben Sie das Gefühl, dass den Ärzten nicht zugehört wird?
Ich bin davon überzeugt, dass wir den Ärzten vertrauen müssen. Es gibt keinen Grund zu lügen. Ärzte haben den hippokratischen Eid abgelegt, der das Wohl des Patienten, Fairness und Freundlichkeit an die erste Stelle setzt. Wenn sie der Meinung sind, dass die Person in der Schweiz bleiben sollte, muss sie unbedingt bleiben können.

Abgesehen davon, dass die Ärzte nicht angehört werden, was ist für Sie an diesen Abschiebungen untragbar?
Gegen den Willen von einem Land ins andere zu ziehen, ist bereits eine schreckliche menschliche Krisensituation. Wenn dann noch eine Krebsdiagnose gestellt wird, kommt die Notwendigkeit einer schweren Behandlung hinzu, die immer dringend ist. Die finanziellen Auswirkungen in Bezug auf diese Patienten in der Aufnahmesituation sind angesichts der Gesamtkosten im Gesundheitswesen minimal. Was mich schockiert, ist der Mangel an Menschlichkeit, der hinter diesen Entscheidungen steht. Jemanden zum Tode zu verurteilen, wenn man das beste Gesundheitssystem der Welt geniesst, ist ein Eingeständnis von Egoismus, das nicht meinen Werten entspricht. Und es sollte auch nicht zu den Werten der Schweiz als Gastland gehören.

Wenn man diese Menschen hier behält, um sie zu behandeln, führt das nicht zu Medizintourismus?
Ich glaube, dass es keinen Medizintourismus gibt. Oder wenn es ihn gibt, ist er sehr klein. Wenn Sie aus einem Schengen-Land in die Schweiz kommen, müssen Sie das aus eigener Tasche bezahlen, weil Sie keine Versicherung haben. Was die aussereuropäischen Migranten betrifft, die eine Behandlung benötigen, so spricht man in der Schweiz von einigen wenigen Patienten pro Monat oder Jahr. Die Menschen kommen zunächst aus Asylgründen hierher, und es stellt sich heraus, dass einige von ihnen gesundheitlich leiden. Gefahr zu schreien und Panik zu schüren, indem man ein Massenphänomen beschreibt, ist nicht nur verlogen, sondern auch hinterhältig und in meinen Augen abstossend.

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