Ärzte und Pfleger laufen Sturm gegen Abschaffung von Arbeitszeitkontrolle
«In der Intensivmedizin können Fehler tödlich sein»

Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin schlägt vor, die Arbeitszeit auf Intensivstationen nicht mehr zu erfassen. Von einer Lockerung dieser Schutzmassnahme für die Arbeitnehmer wollen Ärztevertreter und Gewerkschaften nichts wissen.
Publiziert: 22.01.2019 um 10:29 Uhr
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Auf den Intensivstationen sollen die Arbeitszeiten nicht mehr erfasst werden müssen. Das schlägt die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin vor.
Foto: Getty Images
Martina Tomaschett

Wird auf Intensivstationen bald noch mehr gearbeitet? Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) will die Arbeitszeit-Kontrollen auf Intensivstationen abschaffen. Patientenschützer sind alarmiert: Sie machen sich Sorgen um die Sicherheit der Patienten (BLICK berichtete).

Auch Ärztevertreter und Vertreter des Pflegepersonals sind empört: «Alarmiert» ist Stefan Giger (59). Der Generalsekretär des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) vertritt das Pflegepersonal.

Arrogante Forderung

«Gerade für das Pflegepersonal ist die Arbeitslast in den letzten Jahren immer grösser geworden», sagt Giger. So gross bereits, dass «fast niemand mehr Vollzeit arbeitet, um so wenigstens noch auf etwas Erholungszeit zu kommen». Es sei zwar die Aufgabe der SGI, die Interessen der Ärzte zu vertreten. Dass sie aber auch für das Pflegepersonal Forderungen stellen, sei «arrogant», ärgert sich der Gewerkschafter.

Auch Marcel Marti (47), stellvertretender Geschäftsführer des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO), kritisiert die SGI: «Von diesem Vorschlag halten wir gar nichts!» Gerade junge Ärzte müssten oft länger arbeiten als die gesetzliche Höchstarbeitszeit. «Ansetzen müsste man deshalb vielmehr bei der Respektierung des heutigen Arbeitnehmerschutzes», so Marti. Mit dem Verzicht auf jede Arbeitszeitkontrolle würde der Selbstausbeutung Tür und Tor geöffnet.

«Die Folge wären hohe Kosten für Krankheitsabsenzen und die Rekrutierung von neuem Personal», sagt Marti. Er verweist auf zahlreiche Studien, die belegen würden, dass Mitarbeitende bei höherer Arbeitsbelastung häufiger krank werden und es zu mehr Kündigungen kommt. Das sei kontraproduktiv, weil es in den Spitälern schon heute an Fachkräften mangele.

Kostenargument auf beiden Seiten

Doch auch SGI-Präsident Thierry Fumeaux (53), der den kontroversen Vorschlag gemacht hat, argumentiert mit den Kosten. Wolle man das Arbeitsgesetz einhalten und die Betreuung der Patienten sicherstellen, brauche es schlicht mehr Assistenzärzte. Chefärzte übrigens nicht – denn diese unterstehen nicht dem Arbeitsgesetz.

Fumeaux weist noch auf einen anderen Punkt hin: Weil die Assistenz- und Oberärzte ans Arbeitsgesetz gebunden seien, könnten sie nicht einen ganzen Dienst mit den Chefärzten leisten. Das gefährde die Qualität der Ausbildung. Für Marcel Marti ein Scheinargument: «Wir haben keine Rückmeldungen von unseren Mitgliedern, dass die Chefärzte wegen des Arbeitsgesetzes zu wenig Zeit für die Ausbildung des Nachwuchses haben.» Das Problem sei vielmehr, dass Assistenzärzte schon heute nur einen Drittel ihrer Zeit direkt den Patienten widmen können. «Den Rest verschlingt die Bürokratie.» Weiterbildung und Zeiterfassung seien eine Frage der Organisation und des Willens. «Die Assistenzärzte müssen von Anfang an Verantwortung übernehmen und haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte», sagt Marti.

«Gefährdet Patienten»

VPOD-Mann Giger ist überzeugt, dass die Qualität der Pflege ohne die Zeiterfassung leiden würde. Besonders gravierend: «In der Intensivmedizin sind die Patienten auf Gedeih und Verderben auf eine gute Pflege angewiesen.» Marti stimmt zu: «Ich muss es klar sagen: Die Abschaffung der Arbeitszeiterfassung gefährdet unsere Patientinnen und Patienten.» Untersuchungen würden zeigen, dass Leute, die die Ruhezeiten nicht einhalten, nicht nur sich selbst schaden, sondern dass auch für die Patienten ein erhöhtes Risiko bestehe. «In der Intensivmedizin können Fehler tödlich sein», warnt Marti.

Zusammen mit den Gewerkschaften drohen der VSAO und der VPOD mit dem Referendum, sollte das Parlament die Lockerung des Arbeitsgesetzes durchwinken.

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