Absurdes Schutzkonzept für Initiativkomitees
«Bundesrat tritt die Volksrechte mit Füssen!»

Ab 1. Juni dürfen Komitees für Volksinitiativen und Referenden wieder Unterschriften sammeln. Allerdings mit einem Schutzkonzept, das kaum Erfolg verspricht. Eine Verlängerung der Sammelfrist lehnt der Bundesrat ab. «Ein Hohn», meinen die Komitees.
Publiziert: 28.05.2020 um 14:34 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2020 um 08:22 Uhr
Der Bundesrat – hier Gesundheitsminister Alain Berset, Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und Bundesrätin Karin Keller-Sutter (v.l.) – hat die Sammelfristen für Initiativen und Referenden wieder in Kraft gesetzt.
Foto: keystone-sda.ch
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Sermîn Faki

Wegen der Corona-Krise erliess der Bundesrat am 21. März einen Sammelstopp für alle Volksinitiativen und Referenden. Nun, zwei Monate später, hebt er ihn wieder auf. Ab dem kommenden Montag, 1. Juni, können die zahlreichen Komitees wieder auf die Jagd nach Unterschriften gehen, die Sammelfrist läuft dann ganz regulär weiter.

Eine dringliche Bitte von zehn Komitees, die Frist um sechs Monate zu verlängern oder die Anzahl der benötigten Unterschriften zu halbieren, lehnte der Bundesrat am Mittwoch ab. «Die Sammelfristen sind in der Verfassung festgelegt. Sie zu verlängern, würde bedeuten, via Notrecht eine Verfassungsgrundlage zu verletzen», sagt Bundesratssprecher André Simonazzi (52) zur Begründung. Der Bundesrat dürfe einer solcher Forderung gar nicht nachkommen.

«Bundesrat muss Volksrecht schützen»

«Ich bin masslos enttäuscht», so Nicolas A. Rimoldi (25), Kampagnenleiter des Initiativkomitees für ein E-Voting-Moratorium zu BLICK. «Das Initiativrecht ist das Herzstück der direkten Demokratie. Der Bundesrat muss die Volksrechte schützen. Stattdessen tritt er sie fahrlässig mit Füssen.»

Der Bundesrat hingegen stellt sich auf den Standpunkt, dass es keine Verlängerung der 18 Monate langen Sammelfrist für Volksinitiativen brauche – denn das Sammeln sei ja wieder möglich. Es gebe sogar ein eigenes Schutzkonzept.

Zwei Meter Abstand beim Unterschriftensammeln

Doch das ist einigermassen absurd. So müssen die Sammler nicht nur den Zwei-Meter-Abstand zu den Passanten einhalten. Sie müssen auch für eine Unterlage sorgen, damit die Passanten keine Klemmbretter anfassen müssen. Auch Desinfektionsmittel sollen bereit stehen sowie Hände und Stifte regelmässig desinfiziert werden.

«Offenbar mussten die Bundesräte noch nie Unterschriften sammeln», schimpft Rimoldi, der Mitglied der Jungfreisinnigen ist. «Das Schutzkonzept ist wohl gut gemeint, es verunmöglicht aber das Sammeln. Man kann nicht mit zwei Metern Abstand sammeln!»

Man müsse auf Menschen zugehen, sich Passanten fast in den Weg stellen, um sie zu einer Unterschrift zu bringen. Zudem würden erfahrungsgemäss vor allem ältere Menschen unterschreiben. «Ich will keine Senioren gefährden», so Rimoldi.

Initiativen würden «gekillt»

Unter diesen Voraussetzungen, fürchtet er, würde die Volksinitiative gegen das E-Voting nie bis zum 23. November – so lange hat das Komitee Zeit – zustande kommen. «Wir haben zwei Jahre an der Initiative gearbeitet. Und nun wird es sehr, sehr schwer, das Ziel zu erreichen.»

Vielen anderen Komitees dürfte es ebenso gehen. Auf Twitter jedenfalls machen viele ihrem Ärger Luft. «Sehr undemokratisch, wie hiermit Initiativen gekillt werden», enerviert sich etwa David Herzog, Präsident der Zürcher Piratenpartei.

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Und der Zürcher Grünliberale Felix Huber schreibt: «Jeder, der einmal Unterschriften gesammelt hat, weiss, es braucht die engen Stellen, damit man Leute abfangen und ansprechen kann.»

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Keller-Sutter verteidigt Entscheid

Was Rimoldi besonders auf die Palme bringt: Dass die Landesregierung für ihr Nein zur Verlängerung der Sammelfrist just die Verfassung bemüht. «Zwei Monate lang hat der Bundesrat durch die Einschränkung der Grundrechte die Bundesverfassung geritzt», sagt er. «Dass er nun die Verfassung als Entschuldigung vorschiebt, ist ein Hohn.»

Justizministerin Karin Keller-Sutter (56) bestätigte gestern zwar, dass der Bundesrat – gestützt auf Notrecht – vorübergehend gewisse Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit eingeschränkt habe. «Aber auch im Notrecht gilt die Verfassung immer noch. Man kann sie nicht aushebeln», verteidigte sie den Entscheid.

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