Die Energiestrategie und die Rentenreform – neben der Europapolitik sind es die zentralen Dossiers dieser Legislatur.
Doris Leuthard (CVP) hat ihr Mammutprojekt am Sonntag durchgebracht. 58 Prozent der Schweizer stimmten für die Energiewende und machten die einst als Atom-Doris verschrieene Aargauerin zur Sonnenkönigin.
Im September kommt das magistrale Lebenswerk von Alain Berset an die Urne: die Rentenreform, die eine Erhöhung des AHV-Alters für Frauen, eine Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen und eine 70-Franken-Erhöhung der AHV vorsieht. Dann zeigt sich, ob der SP-Bundesrat ebenso wie Leuthard einen Platz in den Geschichtsbüchern findet – oder ob er vor einem Scherbenhaufen steht.
Auch bei der Landesregierung geniesst das Prestigeprojekt, das im Parlament nur knapp durchkam, höchste Priorität. Nur einen Tag nach ihrem Strahlesieg eilt Leuthard Berset zu Hilfe. «Die Bundespräsidentin wird sich auch für die Reform der Altersvorsorge engagieren und im Rahmen ihrer Auftritte und Reden den Standpunkt des Bundesrats vertreten», erklärt ihre Sprecherin Annetta Bundi. Offenbar ist die Bundesrätin zu einem gewichtigen Beitrag bereit. Denkbar ist folglich, dass Leuthard in einer der offiziellen Radio- und TV-Ansprachen zur Abstimmung für die Vorlage werben wird.
SP und CVP federführend bei Grossprojekten
Die Ausgangslagen der beiden Monsterprojekte sind ähnlich: Wie in der Energiepolitik hat die Mitte-Links-Koalition aus SP und CVP der Altersvorsorge 2020 den Stempel aufgedrückt.
Dennoch gibt es einen gewichtigen Unterschied: Berset bläst ein viel kälterer Wind ins Gesicht, seine Gegnerschaft ist deutlich breiter aufgestellt als jene, die gegen Leuthard kämpfte. Neben der SVP wird diesmal auch die FDP vehement für ein Nein einstehen, ebenso die grossen Wirtschaftsverbände.
Während Leuthard auch Linksaussenparteien ins Boot holen konnte, die einen rascheren Atomausstieg befürworten, kämpfen linke Gruppierungen samt Juso bei der Rentenreform frontal gegen den SP-Bundesrat.
Berset und Leuthard sind gewiefte Taktiker
Kann sich der SP-Sonnyboy trotz dieser Widrigkeiten durchsetzen und mit der CVP-Stahlefrau gleichziehen?
Persönlich bringen sie ähnliche Voraussetzungen mit. Berset ist wie Leuthard im Volk beliebt. Im Politbarometer der «SonntagsZeitung» vom Januar 2017 war sie die beliebteste Frau, Berset der beliebteste Mann im Bundesrat. Dazu sind beide dossiersicher und engagiert. Und beide sind im Bundesrat Alphatiere, die über viel Charisma verfügen und geschickt Allianzen schmieden.
Ihre Erfolgsbilanz an der Urne kann sich ebenso sehen lassen. Leuthard hat als federführende Bundesrätin elf Abstimmungssiege errungen und zwei Niederlagen einstecken müssen. Berset kommt auf zehn Siege und eine Niederlage.
«Die Romandie hat Berset im Sack»
SP-Chef Christian Levrat ist selbstverständlich optimistisch, dass seinem Freund das Meisterstück gelingt: «Alain Berset ist mindestens so überzeugend wie Doris Leuthard», sagt er. Aber noch wichtiger als die Person sei der Inhalt einer Vorlage.
Und hier sieht Levrat weitere Parallelen: «Beide Reformen sind ausgewogen und werden breit getragen. Beide Reformen sind zukunftsgerichtet und beide sind unumgänglich. Genau wie bei der Energieversorgung ist auch bei den Renten Nichtstun keine Option, sonst droht eine Unterfinanzierung und unser ganzes Rentensystem gerät ins Wanken.»
CVP-Chef Gerhard Pfister rechnet mit einem harten Abstimmungskampf. «Noch härter als beim Energiegesetz», sagt er. «Mit Berset steht aber ein in allen Belangen starker Bundesrat an der Front.» Wie Doris Leuthard verfüge er über eine hohe Glaubwürdigkeit und eine sehr gute Ausstrahlung. «Die Romandie hat er praktisch schon im Sack, in der Deutschschweiz ist die Hürde höher.»