BLICK: Frau Gössi, Herr Pfister, willkommen zur Rentenschlacht am Morgarten. Haben Sie die Hellebarden parat?
Petra Gössi: Parat und einsatzbereit.
Gerhard Pfister: Zum Glück ist eine Schlacht nicht das Gleiche wie eine Auseinandersetzung über eine Abstimmungsvorlage.
Das müssen Sie ja sagen – als Zuger wären Sie damals bei den Verlierern gewesen, Frau Gössi hingegen bei den siegreichen Schwyzern.
Pfister: Wir haben damals eine typische Zuger Lösung gefunden – und nach der Niederlage schnell die Seite gewechselt und später das Schlachtdenkmal auf Zuger Boden errichtet.
Nun, wir erhoffen uns wenigstens eine Redeschlacht. Der grösste Zankapfel sind 70 Franken mehr AHV. Warum braucht es die, Herr Pfister?
Pfister: Ganz einfach: Weil die Erhöhung des Frauenrentenalters und die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule zu einer Rentensenkung führen würden. Dafür braucht es eine Kompensation.
Frau Gössi, dagegen kann man doch nichts haben?
Gössi: Die 70 Franken sind keine Kompensation, sondern ein AHV-Ausbau, von dem nur wenige profitieren. Den Bedürftigen nützen die 70 Franken nichts, denn um diesen Betrag werden ihre Ergänzungsleistungen gekürzt. Alle anderen müssen vor allem zahlen: Die heutigen Rentner erhalten die 70 Franken nicht, finanzieren sie aber über die Mehrwertsteuer, die Jungen zusätzlich über höhere Lohnbeiträge. Am Ende des Tages haben alle weniger im Portemonnaie.
Pfister: Hören Sie doch auf, immer vom Ausbau der AHV zu reden. Die Beiträge der Arbeitgeber sind seit 40 Jahren nicht mehr gestiegen, da liegt eine moderate Erhöhung drin. Entscheidend ist, dass das Rentenniveau insgesamt ungefähr gleich bleibt. Und dazu reicht es nicht, in der zweiten Säule zu kompensieren.
Gössi: Doch, das funktioniert! Der AHV-Ausbau mit der Giesskanne ist einfach der falsche Weg.
Pfister: Auch die Senkung des Umwandlungssatzes erfolgt über die Giesskanne. In der zweiten Säule findet derzeit eine massive Umverteilung statt: Die Jungen zahlen 1,3 Milliarden an die Renten der Pensionierten.
Gössi: Diese Umverteilung muss aufhören, da sind wir uns einig. Aber nicht, indem man jetzt von der zweiten in die erste Säule umverteilt. Das ist nicht bezahlbar und ein Schritt Richtung Volksrente, wie sie die Linke will. Das wäre verheerend, denn es würde das Ende des bewährten Drei-Säulen-Systems bedeuten. Dass die CVP da mitmacht, enttäuscht mich.
Warum hat die CVP nicht Hand geboten zu einem Ausgleich in der zweiten Säule, Herr Pfister?
Pfister: Weil längst nicht alle eine zweite Säule haben! 500'000 Frauen haben keine Pensionskasse. Nur über die AHV erhalten diese eine spürbare Rentenverbesserung.
Gössi: Dass eine Frau ein Jahr länger an der Kasse stehen muss, nur damit ein Manager 70 Franken mehr AHV bekommt, die er gar nicht braucht, ist nicht fair. Die FDP wollte die Kompensation in der zweiten Säule so ausgestalten, dass Teilzeitarbeitende profitiert hätten. Es gibt ja auch keine Rentenkürzung in der zweiten Säule, aber das angesparte Kapital muss wegen der steigenden Lebenserwartung auf einen längeren Zeitraum verteilt werden. Das ist reine Mathematik.
Pfister: Man kann sich schon auf die Mathematik berufen. Nur: Was Sie vorschlagen, lag schon auf dem Tisch – und ist vom Volk immer wuchtig versenkt worden. Seit 20 Jahren kommen wir bei der Altersvorsorge nicht vom Fleck. Die Erfahrung zeigt: In sozialen Fragen kommt man an der Linken nicht vorbei. Deshalb haben wir Hand zu einem fairen Kompromiss geboten.
Wie soll eine Reform ohne die Linke gelingen, Frau Gössi?
Gössi: Darum geht es nicht. Wir waren ja zu Konzessionen bereit. Wir haben beispielsweise angeboten, dass die Minimalrenten deutlich angehoben werden. Das hätte auch viel Geld gekostet, aber davon hätten wirklich jene profitiert, die darauf angewiesen sind. Doch die jetzige Reform wurde von SP und CVP im Hinterzimmer des Ständerats gemacht ...
... zusammen mit FDP-Ständerätin Christine Egerszegi.
Gössi: Egerszegi hat aber nicht die Haltung der FDP vertreten. In jedem Fall wurde dort abgemacht, dass die CVP-SP-Mehrheit im Ständerat kein Jota von ihrem Hinterzimmer-Päckli abweicht. Wir hatten keine Chance, mit Vorschlägen durchzudringen. Wir hätten mit 69.99 Franken kommen können und SP/CVP hätten das abgelehnt. Das kann man nun wirklich keinen Kompromiss nennen.
Pfister: Blödsinn. Es gab keinen Hinterzimmer-Deal. Seit zwei Jahren liegt alles auf dem Tisch und wurde breit diskutiert. Die Vorlage ist ein Kompromiss – das zeigt ja schon die Gegnerschaft von SVP/FDP auf der rechten Seite und der äusseren Linken. Wir dürfen die direkte Demokratie nicht vergessen: Ohne Kompromiss hat eine Reform keine Chance.
Gössi: Das Volk hat vor einem Jahr deutlich Nein zur AHV-plus-Initiative gesagt. Und dennoch kommt Mitte-links jetzt mit einem AHV-Ausbau.
Pfister: Die AHV-plus-Initiative war radikal – und wurde darum abgelehnt. Die ausgewogene Rentenreform kann man damit nicht vergleichen.
Gössi: Doch. Sie führt dazu, dass die AHV im Jahr 2035 mit einem jährlichen Defizit von sieben Milliarden Franken schlechter dasteht als heute. Diese Reform ist ein Brandbeschleuniger. Das kann man doch nicht ernsthaft machen!
Pfister: Dass die Lage 2035 desaströs sein wird, gilt nur, wenn bis dahin keine weiteren Reformschritte eingeleitet werden. Milliardenlöcher sind auch nicht im Sinn der CVP. Deshalb haben wir die FDP-Variante abgelehnt, welche die AHV viel früher in Gefahr gebracht hätte.
In einem Punkt sind Sie sich zumindest einig: Diese Reform alleine reicht nicht. Wie geht es weiter nach einem Ja?
Pfister: Mit einem Ja erreichen wir eine Stabilisierung des Rentensystems über die nächsten zehn Jahre hinaus. Uns bleibt damit genügend Zeit zu schauen, was es nach 2035 für die Sicherung dieser Stabilität braucht. Im Moment will ich mich noch nicht auf weitere Massnahmen festlegen.
Sie drücken sich um eine konkrete Antwort. Auch die CVP visiert doch ein höheres Rentenalter an.
Pfister: Ich verschliesse mich dieser Diskussion überhaupt nicht und schliesse auch nichts aus. Ich halte es aber für eine Unsitte, bevor man vom Volk grünes Licht für den ersten Schritt erhalten hat, bereits den zweiten Schritt einzuleiten.
Was folgt auf ein Ja, Frau Gössi?
Gössi: Bei einem Ja fehlt die langfristige Sicherung des Systems. Dann müssen die Befürworter aufzeigen, wie sie diese sicherstellen wollen. Mit dieser Reform wird Rentenalter 67 nicht reichen, um die Löcher in der AHV zu stopfen. Oder man muss die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöhen, das spürt jeder direkt im Portemonnaie.
Starten Sie einen neuen Anlauf für ein höheres Rentenalter?
Gössi: Dann ist zuerst einmal die Linke in der Pflicht. Wir haben im Parlament eine AHV-Schuldenbremse diskutiert und wieder Abstand davon genommen, weil sie jetzt nicht mehrheitsfähig ist.
Und wie sieht der Plan B der FDP bei einem Nein aus?
Gössi: In einem ersten Schritt muss die AHV reformiert werden, mit der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 und einer begrenzten Mehrwertsteuererhöhung. In einem zweiten Schritt müssen wir die zweite Säule konsolidieren. Also den Umwandlungssatz senken und innerhalb der zweiten Säule für Kompensationsmassnahmen sorgen.
Pfister: Mit einer solchen Aufteilung würden wir den Fehler wiederholen, der die letzten 20 Jahre eine Reform verunmöglicht hat. Zudem kommt das Referendum von links! Ein Nein am 24. September ist damit ein Nein zum höheren Frauenrentenalter, zur höheren Mehrwertsteuer und zum tieferen Umwandlungssatz.
Gössi: Letztes Jahr hat das Stimmvolk Nein zur AHV-plus-Initiative gesagt. Wenn es am 24. September wieder Nein sagt, ist das ein Nein zum AHV-Ausbau! Dieses Verdikt muss auch die Linke respektieren. Die Linke will ja auch nicht, dass unsere Altersvorsorge bankrott geht.
Pfister: Frau Gössi vergisst, dass das Stimmvolk erst 2010 die Senkung des Umwandlungssatzes mit über 70 Prozent massiv abgelehnt hat.
Gössi: Alleine mit der Senkung des Umwandlungssatzes will ich ja auch nicht vors Volk. Sie muss zwingend mit Kompensationsmassnahmen innerhalb der zweiten Säule kombiniert werden. Das bedeutet höhere Abzüge bei Arbeitnehmern wie auch Arbeitgebern – aber man spart dabei für sich selbst! Dazu wird auch die Linke Hand bieten.
Pfister: Das schätze ich ganz anders ein. Ihr Problem ist zudem nicht nur die Linke: Die Arbeitgeber wettern schon jetzt wie wahnsinnig gegen höhere Abzüge. Es ist völlig ausgeschlossen, dass sie nach einem Nein zu noch höheren Abzügen Hand bieten. Das Parlament wird Jahre brauchen, um sich auf eine mehrheitstaugliche Vorlage zu einigen. Eine bessere Vorlage als jetzt ist in einem vernünftigen Zeitrahmen nicht realisierbar.
Wenn die CVP – wie einst die Zuger am Morgarten – die Seite wechselt, lässt sich mit FDP und SVP doch rasch eine neue Vorlage zimmern.
Pfister: Im Parlament sind die Mehrheitsverhältnisse vielleicht einfacher. Aber man kann die Rechnung nicht ohne das Volk machen! Ich sehe schlichtweg keinen Plan B, wenn nicht einmal der jetzige Kompromiss mehrheitsfähig ist.
Bis zur Abstimmung bleiben zweieinhalb Monate – und schon jetzt fliegen die Fetzen. Das wird der bürgerlichen Zusammenarbeit schaden.
Gössi: Leider ist die CVP in dieser Frage kein verlässlicher bürgerlicher Partner ...
Pfister: ... für uns die FDP ebenso wenig.
Gössi: Es wird bestimmt der emotionalste Abstimmungskampf der letzten Jahre. Wichtig ist dabei, dass Anstand und Respekt gewahrt werden. Wenn gezielt gegen Personen geschossen wird, lässt sich das nicht mehr so rasch kitten.
Pfister: Bei dieser Reform haben wir fundamental andere Ansichten. Der Ton ist nicht giftiger, aber sicher direkter geworden. Dass es das Verhältnis langfristig trübt, glaube ich aber nicht. Die Gemeinsamkeiten zwischen FDP und CVP sind dafür zu gross.