BLICK: Sie sind derzeit auf kleiner Club-Tournee. Haben Sie die grossen Bühnen satt?
Sina: Nach dem Grossaufgebot bei der letztjährigen Duette-Tour kommt mir die Intimität der kleinen Bühnen gerade recht. In der Triobesetzung tönen die Songs ganz neu. Und wir spielen an lauschigen Orten, die ich bisher nicht kannte: in Türmen, Stuben und Theatern.
Sie gelten seit 20 Jahren als das Walliser Vollblutweib. Gefällt Ihnen das noch?
Ich war früher die Rocklady mit der Löwenmähne. Diese Attribute stimmen sicher nicht mehr. Mit meiner eigenen Geschichte hat sich in den letzten 20 Jahren auch die Musik verändert. Rock ist das nicht mehr, eher eine Mischung aus Pop- und Singer/Songwriter-Musik.
Hatten Sie je Nachteile, weil Sie eine Frau sind?
Am Anfang meiner Karriere war mein Umfeld zu 99 Prozent männlich. Das war aber überhaupt kein Nachteil. Allerdings hätte ich gern Frauen in der Band gehabt. Instrumentalistinnen, Tonmeisterinnen, Produzentinnen gabs damals aber wenige. Ich weiss noch, dass mich als 17-Jährige ein Manager drängte, einen Knüppelvertrag für den ESC zu unterschreiben. Mein Vater hat dann interveniert. Wenn man jung ist und Erfolg haben will, kann es gefährlich sein, den falschen Leuten zu vertrauen.
Weil man als Frau Musik schnell mal mit Sex verkaufen muss?
Sex verkauft. Das war schon immer so. Ich verstehe aber nicht, dass Mädchen in der Popmusik oft als Lust - und Sexobjekte dargestellt werden. Warum räkelt sich eine Sängerin halb nackt auf einem Auto? Was hat das mit dem Song zu tun? Natürlich werden die jungen Fans über solche Bilder beeinflusst und ahmen die Stars nach.
Sie wollen wie Rihanna und Miley Cyrus sein.
Letzthin habe ich das Video von Rihanna und Shakira gesehen und war erstaunt, dass sich diese erfolgreichen Frauen so plump über Erotik verkaufen. Genau diese zwei haben das bestimmt nicht nötig. Wenn Frauen selbstbewusst ihren Körper präsentieren, ist das okay. Aber in diesem Video wird alles sexualisiert. Das überschreitet meine Grenze der körperlichen Ästhetik.
Sind Sie Feministin?
Mir gefällt das Wort nicht. Es vermittelt immer noch das Bild von Frauen, die mit selbstgestrickten Pullis auf die Strasse gehen und nach Gleichberechtigung rufen. Natürlich gibt es Themen, für die wir Frauen kämpfen müssen. Beispielsweise dafür, dass wir endlich für den gleichen Job gleich viel verdienen!
Sie haben einmal gesagt, Sie wären gerne Mutter geworden. Doch es hat nicht sollen sein. Heute sind Sie stolzes Gotti. Sehen Sie in Ihrer Nichte Elina die junge Sina?
Elina wohnt mit meiner Schwester im Wallis, wir sprechen so oft wie möglich per Videochat miteinander. Sie hat eine starke Stimme, die sie einsetzt, wenn ihr etwas nicht passt. Das war offenbar auch bei mir so. Manchmal singe ich ihr auf den Anrufbeantworter. Eine Art musikalisches Tagebuch.
Schreiben Sie bald Kinderlieder?
Die gibt es schon! Die Kinder in meinem Umfeld werden zur Weihnacht oder am Geburtstag damit beschenkt.
Sie sind 47 und sehen toll aus. Was ist Ihr Schönheitsgeheimnis?
Ich sehe aus wie 47, und das ist okay. Ich bewege mich oft an der frischen Luft, schlafe auch gern und viel. Das Fitnessstudio ist nichts für mich. Vor kurzem habe ich aber Qigong entdeckt, das entspannt die knirschenden Glieder. Und sobald das Wasser 14 Grad hat, findet man mich im Hallwilersee, quasi vor meiner Haustür.
Haben Sie schon mal überlegt, sich mit Botox ein paar Falten wegmachen zu lassen?
Ja, über diese Themen macht man sich in gewissen Lebensphasen Gedanken. Aber was mehr als ein halbes Jahr in der Zukunft liegt, ist mir zu abstrakt. Fragen Sie mich in zehn Jahren nochmals.
Was ist das Schöne am Altern?
Meine Stimme wird interessanter, sie hat Patina bekommen. Und ich gehe anders mit ihr um. Früher wollte ich so hoch wie möglich springen und zeigen, was ich kann. Heute ist mir Virtuosität weniger wichtig, und ich lasse auch mal eine Aufnahme stehen, wenn nicht jeder Ton stimmt. Dann macht Älterwerden relaxter. Das tut mir und meinem Wesen ganz gut. Ich frage mich heute seltener, ob anderen gefällt, was ich mache. Und ich fühle mich sehr wohl in meinem Körper. Aber klar: Heute rächt sich jede kurze Nacht und jedes Glas Wein.
Wollen Sie auch mit 70 noch auf der Bühne stehen?
Ich werde immer sicherer und besser in meinem Job. Wieso also nicht? Die Schweiz kennt es bisher einfach nicht, dass Musiker öffentlich altern. Polo Hofer ist ja unser erster Rockstar-Pensionär. Aber es gibt ein paar schöne Vorbilder, Sängerinnen wie Marianne Faithfull oder Bonnie Raitt. Die hören auch nicht einfach auf, nur weil sie ins Rentenalter kommen.