Darum gehts
- ARD-Serie «Naked» thematisiert Sexsucht aus weiblicher Perspektive
- Regisseurin Bettina Oberli betont Authentizität, aber Sexsucht bleibt Tabuthema
- Serie enthält über 30 Sexszenen, die sorgfältig mit Intimacy-Koordinatorin geplant wurden
Ab Anfang Oktober ist in der ARD-Mediathek die sechsteilige Miniserie «Naked» zu sehen. Sie erzählt die Geschichte von Marie (gespielt von Svenja Jung, 32) und Luis (Noah Saavedra, 34), die sich an einer Kostümparty kennenlernen. Doch die junge Liebe wird bald überschattet.
«Naked» ist die erste deutsche Serie, die sich mit Sexsucht und ihren Auswirkungen auf das ganze Umfeld eines Paars befasst, auch aus weiblicher Optik. Regie geführt hat die in Zürich lebende Bernerin Bettina Oberli (52). Dass diese Sucht immer noch ein Tabuthema ist – die WHO anerkennt sie erst seit 2019 als Krankheit –, erklärt sich Oberli mit der «negativeren und dunkleren Wahrnehmung» im Vergleich zu anderen Suchtverhalten.
«Es geht nur noch um den nächsten Kick»
«Das Thema ist sehr schambehaftet, und man hat weniger Mitleid mit Menschen, die darunter leiden, als bei Alkohol und anderen Drogen.» Dazu kommt, dass vom ersten Moment an auch weitere Menschen involviert sind.
Aber die Dynamik sei die gleiche wie bei anderen Suchtkrankheiten. «Die Reise, die das junge Paar durchläuft, ist klassisch: Zuerst merkt Marie nichts. Dann fliegt Luis' Verhalten plötzlich als problematisch auf, sie ist geschockt, und es kommt zum zwischenzeitlichen Bruch. Daraufhin redet sich Marie ein, dass sich Luis bei ihr ändern kann und sie ihm zu helfen vermag. Was natürlich nicht funktioniert. Marie passt sich an und beginnt, Dinge zu tun, die sie gar nicht will, um ihn zu halten. Das sind klassische Muster bei Suchtthemen. Nur findet Sexsucht noch mehr im Verborgenen statt», sagt Oberli zu Blick.
Die Drehbücher stammen von der Berliner Autorin Silke Eggert (46). «Sie sind nicht autobiografisch, aber sehr authentisch. Eggert weiss, wovon sie spricht. Das Thema ist nicht aufgesetzt und nicht reisserisch erzählt. Beim Lesen der Bücher konnte ich die Figuren an Orte begleiten, wo rasch klar ist, dass ihr Verhalten absolut nichts mehr mit Lust zu tun hat. Sie sind in einem schwarzen Loch, nichts ist genug. Es geht nur noch um den nächsten Kick.»
Für die Regie angefragt wurde Oberli auch dank der guten Resonanz auf ihre Serie «37 Sekunden» über die mögliche Sexualstraftat eines Rockmusikers, die vor zwei Jahren bei der ARD lief. «Vorbehalte hatte ich zuerst nur, weil ich mir eigentlich vorgenommen hatte, nach drei, vier Jahren harter Arbeit zwischenzeitlich etwas kürzerzutreten. Ich steckte damals gerade in der Endphase zur SRF-Serie ‹Neumatt› und freute mich auf eine Pause», sagt Oberli.
«Aber ich fand die Bücher so stark und hatte die Möglichkeit, einen tollen Cast zusammenzustellen, darunter mit Johanna Bantzer und Martin Vischer auch Akteure aus der Schweiz. Ich konnte den Kameramann Julian Krubasik und die Editoren selber bestimmen und die Serie hier schneiden.»
Sexszenen nicht zum Selbstzweck
Was Oberli ebenfalls bewusst war: In «Naked» gibt es naturgemäss viele Sexszenen, über 30 sind es. «Und es musste bei jeder einen zwingenden Grund haben, warum wir sie in der Serie lassen. Einfach zum Selbstzweck zeigen, dass jemand Sex hat, finde ich total langweilig. Wir mussten jeweils den Kern freilegen. Was wird genau per Sex verhandelt oder kommuniziert? Sexszenen können ein interessantes Erzählmittel sein, wenn man die Kräfteverhältnisse der Handelnden zeigen kann. Die Art und Weise, wie sie zueinander stehen, und in welchen Machtstrukturen sie sich bewegen. Solche Szenen repräsentieren das Nonverbale in einer Beziehung.»
Entscheidend war die Zusammenarbeit mit der belgischen Intimacy-Koordinatorin Philine Janssens (43). «Ich wollte sie bei jeder Aufnahme dabei haben. Es ist mir wichtig, Schauspielerinnen und Schauspieler gerade in den fragilen Momenten zu schützen. Es gab viele Vorbesprechungen mit Philine. Was wollen wir genau zeigen und was sind die körperlichen Abläufe, wenn zum Beispiel Verlustangst thematisiert wird? Und sie schickte mir dann vorab stilisierte Skizzen mit Vorschlägen, damit das Technische sauber geklärt war. So war dann auch eine möglichst behutsame und stimmige Umsetzung ohne Unklarheiten möglich.»
In der ARD-Mediathek ab Mittwoch, 1. Oktober. FSK-Freigabe ab 16 Jahren. Lineare Ausstrahlung: ARD, ab Freitag, 3. Oktober, 23.45 Uhr.