Eine Ariella Kaeslin stellt sich nicht einfach mal locker für ein Foto hin. Das kann sie gar nicht. Sie tut es mit sichtbarer Körperspannung – von den Fingerspitzen bis in den kleinen Zeh. Ihre Finger spreizt sie wie damals, als sie noch im glänzenden Turndress und mit streng zurückgebundenem Haar vor dem Sprungpferd stand – am Anfang der Mattenbahn, die ihre Bühne war.
Seit drei Jahren ist Ariella Kaeslin (26) pensioniert. Mit 23 Jahren gab sie ihren Rücktritt vom Spitzensport. Bis dahin antwortete sie auf die Frage, wer sie sei, ohne Zögern: «Ich bin Ariella, Kunstturnerin, und trainiere 30 Stunden pro Woche.»
Mit dem 11. Juli 2011, dem Tag ihres Rücktritts, wurde die einfache Frage plötzlich existenziell: «Ich fragte mich, wer ich ohne das Kunstturnen bin.»
Kaeslin hatte sich bewusst für eine Sportart entschieden, die dem Körper alles abverlangt und dennoch nie das grosse Geld bringen würde. In einer Randsportart wie dem Kunstturnen hat man auch mit vielen Erfolgen nie ausgesorgt.
Das Geld, das sie als Turnerin verdiente, reichte für zwei Jahre. «Reich werden wollte ich nie, nur gut. Viel Geld zu haben, wäre langweilig», sagt sie. Deshalb habe sie nochmals eine Ausbildung in Angriff genommen. Existenzängste hat sie nie verspürt. «Eher Angst, was ich mit meiner Existenz mache.»
Heute wirkt Kaeslin jung, suchend, offen für eine Welt, die ihr noch immer etwas fremd, etwas zu laut ist. Wir sitzen auf dem Dampfschiff «Unterwalden» im Luzerner Hafen, vor dem ausladenden Kultur- und Kongresszentrum KKL, es regnet.
Zurzeit holt sie die Matura nach – besonders gerne lernt sie bei Schifffahrten auf dem Vierwaldstättersee. Daneben trainiert sie Nachwuchs-Eiskunstläuferinnen und eine Kunstturnerin. Nächsten Sommer will sie die Matura machen, dann Sport studieren.
Turnen war für Kaeslin kein Beruf – es war ihr Leben. Als Vierjährige begann sie, als 13-Jährige zog sie aus dem Elternhaus ins nationale Leistungszentrum der Kunstturner nach Magglingen BE, mit 21 gewann sie ihren ersten grossen Titel.
2009 wurde sie Europameisterin im Pferdsprung. Dafür erhielt sie 20 000 Franken Preisgeld. Martina Hingis erhielt als 15-Jährige für ihren ersten Sieg in Wimbledon rund 690 000 Franken.
Erfolge brachten Kaeslin öffentliche Wahrnehmung und Sponsorengelder. Aufwand und Ertrag hätten aber «niemals» im Verhältnis gestanden. Und so feierte sie ihre Titel höchstens mit einem «mega feinen Znacht», das war ihr Lohn. Schliesslich musste sie sonst dauernd Kalorien zählen. Ihr Wettkampfgewicht lag zwischen 55 und 60 Kilo. Noch immer zeichnen sich ihre Muskeln in den engen Jeans ab. «Am besten war ich, als ich am schwersten war», sagt sie.
«Ich war stolz, dass ich etwas grösser und schwerer war als die anderen und wollte beweisen, dass man mit Rundungen Höchstleistungen erbringen kann.» Der BLICK nannte sie «Schätzchen der Nation», drei Mal in Folge wurde sie zur Sportlerin des Jahres gewählt. Nie machte sie ihr Lebensglück vom Kontostand abhängig. In der ersten Klasse kaufte sie sich mit ihren zwei Franken Sackgeld bei der Zahnhexe ein Zahnbürsteli. Obwohl ihr Vater als Zahnarzt sicher Hunderte gehabt hätte.
Glück, das seien für sie schöne Erlebnisse mit Freunden, mit der Familie und – sie sagt es besonders eindringlich – die Gesundheit. Gross waren die Entbehrungen über die Jahre, nie gab es einen Tag ohne Schmerzen, oft weinte sie vor Erschöpfung. Im Sommer vor ihrem Rücktritt litt sie an einer ungeklärten Virusinfektion. Geschwächt trat sie bei der Weltmeisterschaft 2010 in Rotterdam an und sprang trotzdem auf den vierten Platz.
Sie glaubte, und diese Naivität nimmt man ihr ab, dass sie «zwei, drei Wochen» nach dem Rücktritt wieder top-fit sein werde. «Denkste! Es braucht Jahre, bis man sich von einem solchen Riesending erholt hat.»
Heute wohnt sie mit einer früheren Turnerkollegin in Luzern in einer WG und hat sich mit der Schülerin Ariella angefreundet. «Am Anfang hatte ich Mühe, wieder vorne anzufangen.» Sie war in ein Leben zurückgekehrt, in dem viele ihrer Freunde im Studium oder berufstätig waren. Ab und zu habe sie gedacht, «ach Mann, hätte ich doch ein normales Leben gehabt! Aber je weiter das Turnen weg ist, desto positiver sind die Erinnerungen.»
Jetzt hat sie es, das normale Leben. Sie geht von Bord, muss weiter. Lernen.
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