Darum gehts
- Tourismus in den Alpen: Herausforderungen und Chancen für die Zukunft
- Experte betont Wichtigkeit von Kultur und Austausch mit Einheimischen
- Grindelwald: Infrastruktur überlastet, viele Wohnungen sind Zweit- oder Airbnb-Unterkünfte
So idyllisch wie in Ernen sehen die Berge nicht überall aus. In Grindelwald etwa trampeln sich die Touristen gegenseitig auf die Füsse – andernorts geht es fast schon allzu beschaulich zu und her.
Die SRF-Moderatorinnen Mona Vetsch und Kathrin Hönegger gehen in einer TV-Doku der Frage nach: Wie sieht die Zukunft im «Sehnsuchtsort Alpen» aus – und wie kann Heimat dem Tourismus trotzen?
Antworten hat auch Prof. Stefan Forster, Tourismus-Experte an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).
TELE: Früher griff man zum Pinsel, heute zum Handy. Seit wann zieht es uns überhaupt in die Berge?
Stefan Forster: Die Sehnsucht nach der Alpenlandschaft ist die Grundlage des Tourismus. Während der Aufklärung wurde Natur romantisiert. Daraus entstanden im 19. Jahrhundert etwa die Kurhäuser und der SAC. Vorher galten die Berge eher als bedrohlich. Diese positive Wahrnehmung hält bis heute an – verstärkt durch Corona.
Also gehts nur um die Landschaft?
Sie ist wichtig, aber nicht alles. Touristen suchen auch Kultur und Austausch mit Einheimischen – das Authentische, das vielerorts kaum noch zu finden ist.
Reden wir über Grindelwald.
Das Dorf gehört zur Schweizer Tourismusgeschichte. Entscheidend waren die Eiger-Nordwand und die damals sichtbaren Gletscher. Schon die ersten Gäste fanden den Kontrast zwischen wilder Bergwelt und lieblicher Kulturlandschaft überwältigend. Früher reisten die Leute wegen Gesundheit und Alpinismus – heute steht das Berg-Spektakel im Vordergrund. Doch dieser industrielle Tourismus stösst an Grenzen.
Zum Beispiel?
Heute erleben wir einen Kulturclash: Werte und Normen arabischer und asiatischer Gäste unterscheiden sich von unseren. Früher reisten sie in Gruppen – heute oft individuell mit Mietwagen. Das belastet die engen Täler zusätzlich. Die Infrastruktur ist überlastet. Dazu kommt: Einheimische finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Viele Wohnungen sind Zweit- oder Airbnb-Unterkünfte. Folge: Abwanderung.
Warum geht das alles so schnell?
Wegen der Jungfrau- und Schilthornbahn. Sie bringen zwar Gäste und Jobs, schaffen aber Abhängigkeiten. Die Bahnen sind mächtig – Politik fordert zu selten klare Regeln ein. Ökologische Kollateralschäden werden verdrängt: Ökonomie statt Ökologie. Zwar gibt es Umweltprojekte, doch zu wenig konsequent.
Gibt es bessere Beispiele?
Ja. Am Oeschinensee oder im Alpstein versucht man, Besucherströme zu lenken. Eine Patentlösung fehlt aber. Schweiz Tourismus setzt mit «Travel better» auf neue Ansätze: Neben Hotspots werden auch Orte beworben, die unter Abwanderung leiden.
Gleichzeitig zieht es seit Corona mehr Teilzeitbewohner in Bergdörfer. Eine Chance?
Man muss sie integrieren. Oft engagieren sich gerade diese Leute für Dorfläden oder Kulturprogramme – sie sorgen für lebendige Lebensräume.
Was ist mit Braunwald?
Das autofreie Braunwald hat Potenzial, kämpft aber mit Abwanderung, überhandnehmenden Zweitwohnungen, schwindenden Skiliften und sogar Hangrutschungen. Eine Patentlösung gibt es nicht. Jedes Dorf hat andere Voraussetzungen.
Gibt es trotzdem Hoffnung für den Alpenraum?
Ja. Entscheidend ist, das Einzigartige zu erkennen – Kultur und Natur sind die Trümpfe. Der Landschaftspark Binntal zeigt, wie eine periphere Region Gäste und Einheimische zusammenbringt. Ohne Tourismus geht es kaum. Aber er muss integriert sein – mit Bevölkerung, Kultur und Landwirtschaft. Während Grindelwald in der Pandemie stillstand, boomten kleine Orte mit sanftem Tourismus.
Wie stehts mit Nachhaltigkeit?
Sie ist überall Pflicht: Anreise, Verhalten der Gäste, Austausch mit Einheimischen, ökonomische Effizienz – nur mit Balance bleibt der Alpenraum lebenswert. Sonst zerstört man die Landschaft, vergrämt die Einheimischen und ist nur noch Kulisse und Disneyland.
Sie sehen also nicht nur schwarz?
Gar nicht. Gerade periphere Räume haben Potenzial. Es gibt viele Beispiele, wo man Stabiles aufbaut – mit Kultur, mit Naturpärken, ohne Rambazamba. Nicht um viel Geld zu verdienen, sondern um attraktive Lebensräume für alle zu schaffen.
Aber das ist doch nicht ganz billig?
Ja, aber Geld ist meist nicht das Problem, sondern ob genug Kraft da ist, diese Projekte zu stemmen. Ob es ideelle Unterstützung gibt: regionalpolitische und touristische Förderprogramme. Gesellschaftliche Solidarität ist essenziell, wenn die Sehnsucht nach dem Alpenraum auch künftig gestillt sein will.