Schriftsteller Franz Hohler über die Klimaproteste und die Zukunft seiner Enkel
«Als Jugendlicher war ich nicht so mutig wie Greta»

Franz Hohler spricht über die Bedeutung kindlicher Fantasie und sagt, warum ihn sein junges Publikum bis heute inspiriert.
Publiziert: 09.11.2019 um 23:21 Uhr
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Aktualisiert: 11.11.2019 um 09:08 Uhr
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Franz Hohler im Arbeitsraum in seinem Haus in Zürich-Oerlikon.
Foto: Thomas Meier
Interview: Katja Richard

Er gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Schweiz, jahrelang machte er Sendungen im Schweizer Fernsehen. Franz Hohler (76), auch als Kabarettist und Liedermacher bekannt, empfängt SonntagsBlick zu Hause in Zürich-Oerlikon, erzählt von seinen Enkelkindern und davon, was ihm Sorgen bereitet.

Warum sind Kinder ein wichtiges Publikum für Sie?
Franz Hohler: Ich habe für schon für Kinder geschrieben, bevor ich selber welche hatte. Als ich Vater und Grossvater wurde, hat sich das intensiviert. Ihr Humor erfreute mich schon immer, Kinderlachen gehört zu meinen Lieblingsgeräuschen. Kinder sind dabei, sich die Welt zu erschaffen. Ihr Weltbild ist noch nicht gefestigt wie das von uns Erwachsenen. Darum sind sie offen für Fantastisches und Unwahrscheinliches. Sie haben kein Problem, wenn Tiere sprechen oder wenn ein Baum woanders hinspaziert. Alles, was das System der Erwachsenenwelt nicht einhält, stösst bei Kindern auf grosse Sympathie.

Wie viel hat das mit Ihrem eigenen kindlichen Geist zu tun?
Ich habe die Türe zu meinem eigenen Kinderzimmer nie ganz zugemacht. Der Blickwinkel von Kindern entspricht meinem eigenen Bedürfnis, mir diese Fantasie zu bewahren und in Welten einzutauchen, die hinter der Realität sind. Das ist dort, wo alles möglich ist. Ich bekomme auch viele Reaktionen von Kindern, etwa auf meine Verse in «Es war einmal ein Igel». Aus Schulen landen dann ganz viel ähnliche Verse über Tiere bei mir, da hat es skurrile, witzige und geniale Sachen dabei. Der Austausch mit diesem besonderen Publikum ist eine Bereicherung für mich, die Kinder sind wie ein literarischer Partner für mich.

Nächste Woche feiert das Stadttheater in Bern Premiere mit dem Kindermärchen «Cengalo, der Gletscherfloh», eine Botschaft an die Kinder zur Klimakrise?
Mit Botschaften ist es immer etwas gefährlich. Ich will ja keine Geschichten erzählen, die von Anfang an eine klare Moral haben oder in denen man etwas lernen soll. Die Erzählung soll für sich selber stehen, interessant sein und letztendlich das Publikum unterhalten und inspirieren. Aber keine Geschichte ist losgelöst von einem Sinn.

Worum geht es denn beim Gletscherfloh?
Hauptfiguren sind zwei Flohfamilien, die im Gletscher wohnen. Sie merken, dass etwas nicht stimmt mit ihrem Zuhause. Die eine Floh-Familie kümmert das nicht, die anderen sind besorgt. Dazwischen stehen die Kinder, die Fraktion, die den Erwachsenen sagt, dass sie jetzt etwas unternehmen müssen, ist die stärkste im Stück. Ein Stück weit ist das ein Spiegel der Klimajugend, die von uns etwas einfordert.

Sie haben selber Enkel, hören die noch Märchen oder sind sie schon am Streiken?
Sie sind 7 und 2½ Jahre alt. Derzeit sind wir noch beim Geschichtenerzählen.

Wenn die mal so alt sind wie heute Sie, wird unsere Welt eine andere sein. Bereitet das Ihnen Sorgen?
Ja, das macht mir Sorgen. Allein die Prognosen der Glaziologen sind sehr ernüchternd, die rechnen nicht damit, dass sich die Gletscher erholen werden, die Schmelze geht weiter. Das bedeutet, dass meine Enkel dort, wo einst das ewige Eis war, nur noch Geröllhalden sehen werden – und vielleicht noch ein Zipfel Eis. Man könnte sagen, dass das nur ein optischer und gefühlsmässiger Verlust ist. Aber es ist weit mehr. Es zeigt, dass sich das ganze Klima erwärmt und dadurch auch ein Wassermangel eintritt. Wir sind dank den Gletschern das Wasserschloss von Europa, das ändert sich bereits jetzt. Etliche SAC-Hütten, die früher ihr Wasser von einem Firnfeld beziehen konnten, müssen es jetzt per Helikopter hochfliegen lassen. So wie die Hörnlihütte unter dem Matterhorn.

Was bedeutet das für Ihre Enkel?
Dass unsere Welt unwohnlicher wird. Der Natur ist das wahrscheinlich egal, aber uns Menschen nicht, wir sind ja auch ein Teil davon. Die nachfolgenden Generationen müssen schauen, wie sie damit klarkommen. 1973 habe ich die Ballade «Der Weltuntergang» geschrieben, die trage ich heute noch an Schulen bei den älteren Semestern vor. Dort ist alles drin, was heute passiert. Die Meeresspiegel steigen mit der Erderwärmung. Meine Ballade endet mit dem Krieg um die letzten verbleibenden Flecken Erde. Da spitzen die Schüler dann schon die Ohren und können kaum glauben, dass diese Ballade 46 Jahre alt ist. Es wird offenbar, dass die Warnungen zu wenig Wirkung hatten. Wenn uns die ganz junge Generation ein Versagen vorwirft, hat sie völlig recht.

Sie haben gegen AKW und das Waldsterben protestiert. Angenommen, Sie wären heute 16, wären Sie eine Greta?
Da müsste ich jetzt wohl Ja sagen (lacht). Ich war aber als Jugendlicher nicht besonders mutig, und ich habe mich nicht als so radikal in Erinnerung, aber es war auch eine andere Zeit. Damals überlegte ich mir, den Militärdienst zu verweigern, meldete mich dann aber zur Sanitäter-RS, ein Mittelweg. Letztendlich wurde ich dann für untauglich erklärt, weil ich in meiner Kindheit eine schwere Krankheit hatte.

Was halten Sie von Greta?
Sie ist grossartig. Ihr ist etwas gelungen, das weder die Grünen, WWF, Greenpeace und auch Leute wie ich nicht geschafft haben. Da kommt dieses Mädchen, setzt sich hin und streikt, und plötzlich ist daraus eine Riesenbewegung entstanden. So etwas kann man nicht planen, sie hat sich das nicht ausgesucht, damit sie weltberühmt wird. Sie hat keine einfache Rolle, und manchmal mache ich mir auch Sorgen um sie. Da steht sie vor der Uno-Vollversammlung und redet den Politikern völlig undiplomatisch ins Gewissen. Ich finde das sehr respektabel, und es ist wichtig, dass jemand die Regeln bricht und die Dinge beim Namen nennt.

Sind Märchen von einem Gletscherfloh und Klimakrise nicht auch belastend für Kinder?
Es geht nicht darum, Pessimismus zu verbreiten, gerade kleinen Kindern gegenüber. Aber sie sind ja nicht ahnungslos, spätestens Anfang Primarschule hören sie von der Klimaproblematik. Angst kann man durchaus thematisieren, das tue ich im «S Gspänscht im schottische Schloss». Ein kleines Gespenst soll lernen, wie man den Menschen das Fürchten beibringt, und geht zum gfürchigsten Gespenst in die Lehre. Dort erfährt es, dass das Gespenst nur deshalb so grauenhaft heult, weil es sich selber fürchtet: Wer anderen Angst macht, hat oft selber Angst. Das heisst nicht, dass jemand harmlos ist, aber man bekommt einen anderen Zugang zu jemandem, der Schrecken verbreitet.

Wie pessimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Ich bin immer hoffnungsvoll. Sonst könnten wir gar nicht leben. Es gibt diesen berühmten Spruch, der Luther zugeordnet wird: «Wenn ich wüsste, dass die Welt morgen untergeht, würde ich heute noch ein Bäumchen pflanzen.» Wir alle sollten Bäumchen pflanzen, in der Hoffnung, dass das Leben weitergeht. Letzte Woche erschütterten mehrere Erdbeben das Wallis. Im Mittelalter stürzten uns Vulkanausbrüche in eine kleine Eiszeit. Wer kann schon wirklich wissen, was auf uns zukommen wird? Das meine ich auch mit der kindlichen Betrachtung der Welt, wir sollten uns nie zu sicher fühlen und immer damit rechnen, dass die Bäume wandern gehen und dass die Erde mit uns zu sprechen beginnt.

Persönlich

Franz Hohler kam 1943 in Biel BE zur Welt, wuchs in Olten SO auf und begann das Studium der Germanistik und Romanistik an der Uni Zürich. Dieses brach er zugunsten der Fabulierkunst ab. Sein erster Grosserfolg war 1967 «Ds Totemügerli». Seither ist Hohler dank Kabarett, Kinderbüchern, Romanen und Fernsehprogrammen Teil der Schweizer Kulturgeschichte. Unvergessen bleiben die Kindersendung «Spielhaus» oder die Satiresendung «Denkpause», die er 1983 verliess, nachdem eine Sendung, in der er das Militär kritisierte, nicht ausgestrahlt worden war. Franz Hohler lebt mit seiner Frau in Zürich-Oerlikon. 

Franz Hohler kam 1943 in Biel BE zur Welt, wuchs in Olten SO auf und begann das Studium der Germanistik und Romanistik an der Uni Zürich. Dieses brach er zugunsten der Fabulierkunst ab. Sein erster Grosserfolg war 1967 «Ds Totemügerli». Seither ist Hohler dank Kabarett, Kinderbüchern, Romanen und Fernsehprogrammen Teil der Schweizer Kulturgeschichte. Unvergessen bleiben die Kindersendung «Spielhaus» oder die Satiresendung «Denkpause», die er 1983 verliess, nachdem eine Sendung, in der er das Militär kritisierte, nicht ausgestrahlt worden war. Franz Hohler lebt mit seiner Frau in Zürich-Oerlikon. 

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