Schauspielerin Bibiana Beglau (41) im BLICK-Interview
«Ich bin aus Angst angstlos geworden»

Bibiana Beglau (41) ist eine der profiliertesten deutschsprachigen Schauspielerinnen. In Zürich zeigt jetzt die Retrospektive «Zwischen Theater und Film» im Kino Xenix sieben ihrer Theater- und Filmrollen. Im BLICK-Interview spricht sie über Zwiebelringe, stürzende Helden und das Rembrandt-Rot.
Publiziert: 27.01.2013 um 21:43 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:51 Uhr
Interview von Gabriele Haschke

Frau Beglau, zur Retrospektive gehört Christoph Schlingensiefs spektakuläre Zürcher Hamlet-Inszenierung, in der Sie die Ophelia verkörperten. Mit Schlingensief verband Sie eine enge Freundschaft. Inwiefern hat er Sie als Schauspielerin geprägt?
Bibiana Beglau:
Er hat bei seinen Inszenierungen immer mit Entzündungen gearbeitet. Innerlich wie äusserlich.

Was meinen Sie damit?
Nachdem wir fast drei Wochen Hamlet geprobt hatten, kam Christoph eines Morgens ins Theater und war wie verwandelt. Sein Gesicht wirkte sehr schmal. Seine Stimme klang harsch und fest. Da wusste ich genau, dass bei ihm in der Nacht eine innere Entzündung stattgefunden hatte. Er war völlig ergriffen von dem Hamlet, den er mit uns auf der Bühne lebendig werden lassen wollte. Seine Hysterie sprang wie ein Funke auf das gesamte Team über, so lange bis wir alle genauso lichterloh brannten wie er.

Und dann?
Sein Hamlet lebte dann in uns und aus uns heraus. Und er war so ansteckend, dass er auch die Leute auf der Strasse entzündete und so zum Politikum wurde. Von Christoph habe ich auch gelernt, mich tiefen Ängsten angstfrei zu stellen.

Wie darf ich das verstehen?
Bei der Theaterinszenierung «Attabambi Pornoland» laute­te seine Regieanweisung: Wir schaffen uns selber ab. Das ging bis zu schweren Depressionen, die wir alle durchleben mussten, ohne Angst zu haben. Es war so extrem, dass ich aus Angst angstlos geworden bin.

So eine Schlingensief-Inszenierung war ja fast schon ein psychotherapeutischer Prozess.
Schlingensief hat nicht so direkt mit der Psyche gearbeitet, wie es über Rainer Werner Fassbinder gesagt wird. Viel eher hat er sein direktes Umfeld in Brand gesetzt und beobachtet, wie es reagiert. Bei ihm musste man sich auch immer retten können, egal wie tief man emotional drinsteckte. Das war die Herausforderung. Oft dachte ich mir: Das kann doch nicht sein, dass mich diese Rolle jetzt so mitnimmt.

War er privat auch so intensiv?
Nein. Privat habe ich Christoph als einen sehr feinfühligen, netten Menschen erlebt. Da war nichts von dieser Schärfe, dieser Hysterie, die ich von der Bühnenarbeit mit ihm kannte.

Sie verkörpern fast nur anspruchsvolle Charaktere wie kürzlich im ARD-Film «Zappelphilipp» die Lehrerin eines an ADHS leidenden Kindes. Was fasziniert Sie an dramatischen Rollen?
Mich interessiert die Amplitude. Das heisst, das gesamte Spektrum der Darstellungskunst, die mir solch eine Rolle bietet. Mit all ihren Höhen und Tiefen. Ich möchte jede Figur bis zu ihren Grenzen ausloten.

Dabei scheuen Sie keine Extreme.
Im Alltag leben wir genug Nulllinien. Sie mögen gesünder sein. Aber sie langweilen mich. Für mich ist es spannend, einen Helden stürzen zu sehen. Und ich empfinde meine Figuren immer als Helden.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf?
Dass man die grossen Momente im Leben auf ein Minimum reduzieren und kleine vergrössern kann – wie eine Zelle unter einem Mikroskop. Damit verschafft man dem Zuschauer Zugang zu einer für das blosse Auge unsichtbaren Welt innerer Ekstase. Diese zum Ausdruck zu bringen, ist eine Kunstform, die mich brennend interessiert.

Haben Sie durch die Schauspielerei neue Facetten an sich selbst entdeckt?
Ich lege keinen Wert darauf, mich durch eine Rolle besser kennenzulernen. Ich lege mich bei meinen Rollen auch nicht fest, sondern schaue immer, wohin mich die Figur trägt. Vielleicht entsteht dabei etwas völlig Abstraktes, Unerwartetes. Dem zu folgen, ist spannend.

Sie spielen Theater, drehen Kino- und Fernsehfilme und sind im «Tatort» zu sehen. Wo können Sie Ihr Potenzial am besten ausleben?
Ich brauche die gesamte Fläche, um meine Arbeit als Schauspielerin machen zu können. Dazu gehört das feine, reduzierte Spiel vor der Kamera genauso wie die hoch expressiven, abstrakten Momente auf der Theaterbühne. Und ich brauche einen Regisseur, der auf den Moment vertraut und in dessen Händen ich blind meinem Instinkt folgen kann.

Was ist für Sie ein guter Regisseur?
Einer, der die Fähigkeit hat, in sich eigene Welten mit einem hohen ästhetischen Anspruch und einer wieder­erkennbaren Regie-Handschrift zu schaffen, in denen der Zuschauer das Gefühl hat, mal Beobachter, mal Involvierter zu sein.

Welchen Anspruch haben Sie an sich selbst als Schauspielerin?
In dem Versdrama «Peer Gynt» von Henrik Ibsen gibt es einen einfachen Satz: «Ich bin eine Zwiebel.» Darüber denke ich nach. Die Zwiebel ist bekanntlich kernlos. Ich frage mich oft: Wer bin ich und was bleibt von mir übrig, wenn ich eine Schale nach der anderen abwerfe?

Wie sind Sie überhaupt zur Schauspielerei gekommen?
Ein totales Versehen. Ich wollte eigentlich Kunst studieren, hatte meine Bewerbungsmappe für die Kunsthochschule aber nicht rechtzeitig fertig. Da dachte ich mir: Einen Text für eine Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule auswendig lernen, das kann jeder: Lass mich das erst mal versuchen. Es hat geklappt. Dann bin ich geblieben.

Welche Rolle haben Sie am liebsten gespielt, welche hat Ihr Leben verändert und welche hat Sie am meisten und tiefsten berührt?
Schwer zu sagen. Ich liebe immer die Figuren, die ich spiele. Ihnen widme ich viel von meiner inneren Zeit, verbringe mit ihnen ganze Tage, sogar Jahre. Sehr bewegt hat mich die Rolle als Mietze in «Berlin Alexanderplatz» in der Inszenierung von Frank Castorf. Aber auch die

Figur der RAF-Terroristin Rita Vogt in Volker Schlöndorffs «Die Stille nach dem Schuss». Oder die junge Selbstmörderin im Film «Birthday», deren Rolle ich mit dem Schweizer Regisseur Stefan Jäger erarbeitet habe.

Und wie lebt Bibiana Beglau privat?
Unspektakulär. Am Morgen trinke ich eine Tasse Kaffee oder Tee und rauche eine Zigarette. Tagsüber lese ich meist Bücher, die mit meiner Arbeit zu tun haben. Und ich reise gerne.

Sie haben einmal gesagt: Alles, was man sich vorstellen kann, existiert. Was stellen Sie sich in Ihrer Zukunft vor, das in der Gegenwart noch nicht existiert?
Was noch nicht existiert, ist die wackelige Grande Dame, die morgens mit einem Glas Champagner in der Hand durch eine heruntergekommene Villa schlurft. Sie existiert in meiner Fantasie, als ein Witz aus meiner fernen Zukunft. Oder wie Karl Valentin sagte: Früher war sogar die Zukunft besser.

Wählen Sie Ihre Rollen selbst aus?
Selbstverständlich. Ich muss ja mit meinen Rollen leben können, und das Thema muss für mich interessant sein. Genauso wichtig ist mir, mit welchen Regisseuren und Kollegen ich zusammenarbeite. Man spielt ja in den seltensten Fällen allein. Es ist ein künstlerischer Prozess, der gemeinsam erarbeitet wird. Mein Part dabei ist vergleichbar mit dem Rot in Rembrandts Gemälde, das genau weiss, warum es da ist. So hat mein Charakter innerhalb einer Inszenierung auch seine Aufgabe. Ich weiss, was ich zu tun und zu sein habe, auch wenn ich daran scheitere.

Wie würden Sie Ihre Farbe beschreiben?
Ich glaube, es gibt in meinem Verständnis von dem, was ich tue, keine Einfarbigkeit. Das wäre ja wie ein Sänger, der nur einen Ton singen kann – obwohl das fast schon wieder Avant­garde wäre.

Die Retrospektive «Zwischen Theater und Film» läuft noch bis Ende Januar im Zürcher Kino Xenix.

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