«Bei der Mondlandung klebten wir alle vor dem Mini-TV»
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Wo bisch gsi, Patrick Frey?«Bei der Mondlandung klebten wir alle vor dem Mini-TV»

Patrick Frey im Interview
«Für die Männer ist das absoluter Mist»

Der Schweizer Kabarettist Patrick Frey (74) ist eine Kultur-Chamäleon. Nun bringt er sein neues Soloprogramm «Wo bini gsi?» auf die Bühne – und redet im Interview über das Comedy-Problem bei SRF, sein Alter und andere unbequeme Wahrheiten.
Publiziert: 11.06.2023 um 18:19 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2023 um 13:39 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft

Patrick Frey, wo sind Sie am 20. Januar 1949 gewesen?
Da war ich im Begriff, in einer Hausgeburt an der Junkerngasse in Bern das Licht der Welt zu erblicken. Das hätte beinahe in einer Katastrophe geendet.

Weshalb?
Ich lag falsch und hatte die Nabelschnur um den Hals. Die Geburtszange kam zum Einsatz, und ich bekam eine Glatze und eine riesige Beule – das sah nicht schön aus.

Das hat man Ihnen wohl später erzählt …
… ja, daran kann ich mich Gott sei Dank nicht erinnern …

… und den Berner Dialekt haben Sie auch nicht angenommen.
Nach dem frühen Tod meines Vaters ist meine Mutter mit meiner älteren Schwester und mir bald weggezogen.

Welches war der früheste Ort, an dem Sie gewesen sind und an den Sie sich noch erinnern?
Wie ich im neuen Zuhause beim Grossvater im zürcherischen Berg am Irchel die Mikrowelt am Boden untersuchte und Ameisen beobachtete.

«Das hätte beinahe in einer Katastrophe geendet»: Patrick Frey über seine Geburt in Bern.
Foto: Philippe Rossier

Die meisten Menschen wissen bei welthistorischen Ereignissen, wo sie gewesen sind. Geht das Ihnen auch so?
Ja, das hat etwas.

Wo sind Sie am 22. November 1963 gewesen?
Da war ich mit meiner Schwester im Wohnzimmer. Wir hörten zusammen eine Radiosendung, die jäh abbrach, weil US-Präsident John F. Kennedy erschossen wurde. Das war ein Schock, denn als Teenager war ich Fan von ihm.

Wo sind Sie am 21. Juli 1969 gewesen?
Mein Gott, ich weiss nicht, was damals war.

Die erste bemannte Mondlandung.
Ja, natürlich! Live vor dem Fernseher, ein kleines Sony-Gerät – grossartig!

Und wo sind Sie am 11. Juni 1992 gewesen?
Was war damals?

Der Mann aus Funk und Fernsehen

Patrick Frey (74) ist ein Tausendsassa: Kaum eine Kultursparte, in der er nicht mitmischt. Nach dem abgebrochenen Wirtschafts- und Kunstgeschichtsstudium ist er zunächst Kulturjournalist beim «Tages-Anzeiger» und bei der «WOZ». Ab 1983 ist er Mitglied des Kabaretts Götterspass und moderiert beim Radio Lora die legendäre «Talkshow». 1986 gründet er den Kunstverlag Edition Patrick Frey. Mit «Katzendiebe» feiert er 1996 seinen ersten Kinofilm-Erfolg an der Seite von Beat Schlatter (62). Im TV erlangt Frey Bekanntheit durch seine Rollen in der Soap-Serie «Lüthi und Blanc» und als Dr. Werner Stolte-Benrath in «Viktors Spätprogramm». Doch ihn zieht es immer wieder auf die Theaterbühne, für die er mit Katja Früh (70) zahlreiche Stücke schreibt. Frey ist verheiratet mit Laurence Frey-Bloch. Gemeinsam haben sie vier Söhne und leben in Zürich.

Philippe Rossier

Patrick Frey (74) ist ein Tausendsassa: Kaum eine Kultursparte, in der er nicht mitmischt. Nach dem abgebrochenen Wirtschafts- und Kunstgeschichtsstudium ist er zunächst Kulturjournalist beim «Tages-Anzeiger» und bei der «WOZ». Ab 1983 ist er Mitglied des Kabaretts Götterspass und moderiert beim Radio Lora die legendäre «Talkshow». 1986 gründet er den Kunstverlag Edition Patrick Frey. Mit «Katzendiebe» feiert er 1996 seinen ersten Kinofilm-Erfolg an der Seite von Beat Schlatter (62). Im TV erlangt Frey Bekanntheit durch seine Rollen in der Soap-Serie «Lüthi und Blanc» und als Dr. Werner Stolte-Benrath in «Viktors Spätprogramm». Doch ihn zieht es immer wieder auf die Theaterbühne, für die er mit Katja Früh (70) zahlreiche Stücke schreibt. Frey ist verheiratet mit Laurence Frey-Bloch. Gemeinsam haben sie vier Söhne und leben in Zürich.

Da bekamen Sie mit dem Kabarett Götterspass den renommierten Kleinkunstpreis Salzburger Stier.
Ach ja! Ich bin sehr schlecht mit Daten. Wir waren stolz, dass wir die Auszeichnung erhielten, obwohl wir trashiges Kabarett machten. Joachim Rittmeyer, der erste Schweizer Preisträger, überreichte ihn uns – das war toll, denn er schätzte uns und wir ihn.

Jetzt treten Sie solo auf mit dem neuen Programm «Wo bini gsi?».
Genau, der Titel bezieht sich ursprünglich auf die rhetorische Formel, wenn jemand einen Monolog hält und sich verliert. Ich habe das Gefühl, dass wir uns heute immer mehr verlieren.

Wo sehen Sie Anzeichen dafür?
Das Internet ist ein ungeordneter Ordner – ich suche etwas, finde was anderes und bleibe dort hängen: Eigentlich wollte ich nur kurz die Mailbox checken und bin dann plötzlich woanders. Aber die Ablenkung ist auch gewünscht.

Wie meinen Sie das?
Im Moment gibt es so viele Probleme auf der Welt, die wir am liebsten ausblenden. Wenn es etwas gibt, was alle Menschen immer wollen, dann ist es Schmerzvermeidung. Und das ist eine Form davon.

Sie sind nicht mit Computer und Smartphones aufgewachsen, kein sogenannter Digital Native. Haben Sie dennoch dieselben Probleme?
Klar. Ich weiss nicht, ob es Menschen gibt, die kein Problem damit haben – das ist wie eine Droge. Wenn ich Texte schreibe, muss ich mich fast gewaltsam vom Handy abkoppeln.

Im Handy-Zeitalter ist «Wo bisch?» die häufigste Einstiegsfrage.
Bei meinem Grossvater war das Telefon noch fix an die Wand montiert. Wer das Gerät benutzte, stand auf den Quadratmeter genau dort und nirgendwo anders.

Verlieren wir uns heute nicht nur im virtuellen Raum, sondern auch real?
Davon erzähle ich im neuen Programm: wie ich durch den Text des Abends gehe und gleichzeitig etwas sehe, an dem ich vorbeifahre. Und dann google ich noch «Aufmerksamkeitsstörung».

Wer das Verzettelte darstellen will, der muss wohl sehr genau sein.
So ist es. Alles ist genau aufeinander abgestimmt, wenig ist improvisiert. Das Vergessen thematisiere ich auch, weil ich eine Grossmutter hatte, die immer nur «Dings» sagte. Das thematisiere ich als Angst.

Ein weiterer Programmpunkt sind die Protokolle der Meisen von Sion. Was hat es damit auf sich?
Alle Verschwörungstheorien gehen auf die «Protokolle der Weisen von Zion» zurück, in denen eine Weltherrschaft des Judentums heraufbeschworen wird. Ich ziehe das ins Lächerliche und erkläre, wie eine Tierrechtsorganisation sich dagegen wehrt, dass Tiernamen als Schimpfwörter herhalten müssen.

Und einmal spielen Sie einen Mann, der Frauen leidenschaftlich gerne die Welt erklärt.
Das bin natürlich ich.

Das erinnert an Ihre Lesung «Blockchain». Greifen Sie im neuen Programm auf ältere Produktionen zurück?
Ja, das ist ein Text, den ich nur ein-, zweimal öffentlich las und nun in ein Abendprogramm integriert habe. Blockchain ist ein derart komplexes Thema, das eigentlich niemand erklären kann.

Doch, Dr. Werner Stolte-Benrath, als der Sie bis 2002 in der TV-Satiresendung «Victors Spätprogramm» auftraten, hätte das gekonnt.
Ja, der konnte allen zu allem eine Antwort geben.

Gleichzeitig hatten Sie von 2001 bis 2003 im Schweizer Fernsehen die Sendung «C’est la vie!», in der Sie wildfremde Menschen auf der Strasse nach ihrem Leben befragten. Was machen Sie lieber: antworten oder fragen?
Ehrlich gesagt bin ich nicht so stark interessiert an mir selber. Wenn ich mich lange erkläre, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Am liebsten höre ich interessante Geschichten, die man mir erzählt.

«Wo bini gsi?» hat am 14. Juni im Wädenswiler Theater Ticino Premiere. Weshalb dieses Datum?
Das Ticino ist eines meiner Lieblingstheater, und ich wollte eigentlich schon früher dort mit meinem neuen Programm auftreten. Aber durch einen irren Zufall ging das Datum verschütt. Und dann blieb nur der 14. Juni als Premieredatum übrig.

Dann ist Frauenstreiktag – dadurch haben Sie keine Kabarettistinnen als Konkurrentinnen auf anderen Bühnen.
Ja, das wäre gerissen, wenn ich das so geplant hätte. Aber wenn die Frauen am Tag streiken, dann können sie am Abend noch ein wenig Unterhaltung bei mir geniessen.

«Es wäre sehr übertrieben zu behaupten, dass er Gewinn abwirft»: Frey über seinen Kunstverlag Edition Patrick Frey, in dem ein Buch über Kelly Beeman erschienen ist.

Im Fernsehen SRF ist eine heftige Diskussion entbrannt, weil für die Nachfolge von «Deville» nur Männer im Rennen sind. Wie stehen Sie dazu?
Das finde ich äusserst ungeschickt. Zuerst hiess es, es gebe keine lustigen Frauen – in den früher 1980er-Jahren sagte ich auch noch, es gebe nur Gardi Hutter. Und die Acapickels. Aber heute sieht die Situation natürlich ganz anders aus.

Für die Männer in der Auswahl ist die Situation auch nicht einfach.
Das ist ein absoluter Mist für die. An sich könnten sie Druck aufsetzen und sagen, wir machen es nur in einem gemischten Team. Aber das ist auch eine etwas unfaire Forderung. Man darf Männer nicht überfordern.

Lachen Sie lieber über Witze von Frauen oder von Männern?
Das kann ich nicht sagen. Ich lache einfach gerne über gute Witze.

Gibt es keinen Geschlechterunterschied im Humor?
Nein, es gibt einfach andere Interessensfelder. Patti Basler ist zum Beispiel eine wunderbare Wortspielerin, die manchmal in der germanistischen Wortspielhölle landet – immer amüsant, immer scharf. Aber auch Kabarettistinnen haben ganz unterschiedliche Styles. Von der Pauschalisierung muss man wegkommen.

Aber wenn Sie so argumentieren, dann kommt es nicht darauf an, ob eine Frau oder ein Mann die TV-Satire macht.
Stimmt. Wenn die Macht einmal gerecht verteilt ist, lässt sich darüber diskutieren, ob es noch darauf ankommt. Doch jetzt müssen wir noch Gegensteuer geben, bis es so weit ist.

«Film ist schwieriger, weil der viel mehr Geld braucht»: Patrick Frey (l.) mit Beat Schlatter im Spielfilm «Katzendiebe» (1996).
Foto: OUTNOW.CH (ZVG)

Was heisst das konkret?
Da es Fakt ist, dass Frauen noch nie die Late-Night-Show im TV konzipieren durften, muss man ihnen nun die Möglichkeit geben. Wenn das Fernsehen den Frauen nicht die Gelegenheit gibt, vor die Kamera zu stehen, dann sind sie auch nicht präsent – und dann kann SRF weiterhin behaupten, es gebe keine lustigen Frauen.

Sie sind Initiant und Verwaltungsrat des Casinotheaters Winterthur. Schauen Sie dort auf eine Frauenquote?
In der Geschäftsleitung ist nur noch ein Mann. Und bei den Auftritten ist es viel ausgeglichener als noch vor fünf Jahren. Momentan gibt es mehr Stand-up-Comedy und Slam Poetry von Frauen. Und wenn sie sichtbar sind, erkennen das andere Frauen als eine Möglichkeit für sich.

Kabarett, Kunst, Kino – Sie sind sowohl Bühnen- als auch Fernseh- und Film-Schauspieler. Und als Kunstkritiker haben Sie seit 1986 einen eigenen Verlag. Wo sehen Sie heute Ihr wichtigstes Betätigungsfeld?
Auf der Bühne. Film ist schwieriger, weil der viel mehr Geld braucht. Mit Lara Stoll machte ich kürzlich einen unabhängigen, Low-Budget-Film: «Wer hat die Konfitüre geklaut?». Dort spiele ich die Hauptrolle, das war richtig toll.

Und Kunst?
Klar, ich schreibe immer noch über Kunst. Und mit meinem Verlag Edition Patrick Frey sind wir auf einem sehr hohen Niveau, auch was den internationalen Ruf anbelangt. Gleichzeitig muss ich darüber nachdenken, wie das enden wird.

Gibt es jemanden, der oder die den Verlag weiterführen könnte?
Es ist schwierig, das jemandem zu übergeben, denn der Verlag ist sehr stark auf meine Person zugeschnitten – das ist die Kehrseite der Personalisierung. Und es wäre sehr übertrieben zu behaupten, dass er Gewinn abwirft!

«In der Geschäftsleitung ist nur noch ein Mann»: Patrick Frey und Viktor Giacobbo (r.), Gründer und Verwaltungsräte des Casinotheaters Winterthur ZH.
Foto: Sobli

Kunst und Komik – sind das zwei unterschiedliche Seiten von Ihnen?
Ich bin einer der wenigen, der beides verbindet. Denn ein künstlerischer Blick auf Absurdität und Monstrositäten der Welt ist auch bei der Comedy sehr hilfreich. Aber die Kunst ist selten komisch.

Auch nicht beim Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss?
Ja, mit Peter Fischli und David Weiss habe ich viel über Humor nachgedacht. Die ironische Distanz war bei ihnen wichtig. Sie selber hatten allerdings ein gespaltenes Verhältnis dazu, weil sie in der Szene den Stempel der «lustigen beiden» hatten – das schätzten sie nicht, denn wenn etwas lustig ist, wertet das Kunst ab.

Zum Schluss noch eine Frage in die Zukunft: Wo werden Sie am 20. Januar 2024 sein? Dann werden Sie 75.
Ich habe meine Geburtstage immer gehasst. Ich selber denke lieber gar nicht darüber nach. Aber da kann ich nichts machen, und irgendjemand wird etwas veranstalten.

Hassen Sie es, älter zu werden?
Ich denke nicht gerne darüber nach. Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, immer wieder am gleichen Punkt zu stehen, wenn ich zum Beispiel auf die Bühne gehe.

Sie kokettieren!
Gewiss, ich habe grosse Erfahrung und einen Bühneninstinkt. Aber trotzdem fange ich immer wieder bei null an. Es ist dem Publikum scheissegal, ob ich 74 bin oder nicht – ich muss es zum Lachen bringen.

Patrick Freys Soloprogramm «Wo bini gsi?», ab 14. Juni im Theater Ticino Wädenswil ZH.

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