Giiget’s? Klingelt’s? Alles klar? Diese saloppe Ausdrucksweise passt so gar nicht zu Rahel Giger (48): Freundlich lächelnd sitzt die Moderatorin, Musikerin und Mehrsprachendichterin in der Bourbaki Bar in Luzern und beantwortet geduldig jede Frage im gemütlichen Bündner Dialekt. Und wenn sie zurückfragt, macht sie das auf taktvoll interessierte Art und Weise – so, wie sie im Radio jeweils am Samstagmorgen Alltagsthemen mit Barbara Bleisch (50) oder Yves Bossart (40) philosophisch ergründet.
«Giiget’s?» heisst die Sendung von 9 bis 10.30 Uhr auf SRF 3, die sich seit 2020 zum Publikumsmagnet entwickelt hat – die einen hören beim Kaffee am Küchentisch zu, die andern im Auto auf dem Weg zum Wocheneinkauf, weitere halten beim Putzen oder Wäsche-Aufhängen inne. Und nicht wenige rufen im Radiostudio an und beteiligen sich an der Diskussion. «Philosophie kann das Leben lebenswerter machen», sagt Giger. Die Sendung will mit hehrer Philosophie das harte Pflaster der Realität abfedern.
«La Pluma» (spanisch für «die Feder») heisst passend dazu das eben erschienene erste Album von Rahel Giger mit zehn traumhaften Liedern, das sie mit dem senegalesischen Musiker Moussa Cissokho (40) erschaffen hat. Und da sich mit der Feder auch gut schreiben lässt, schiebt Giger diesen Monat noch ihr erstes Buch nach: «Dahai. Blindlings. Herzwärts.». Eine berührende Erzählung, poetische Gedichte und die Liedtexte von «La Pluma». Dazu ein von Bekannten beantworteter Fragebogen zum Thema Heimat.
Inspiriert vom berühmten Fragebogen von Max Frisch (1911–1991, «Wie viel Heimat brauchen Sie?»), stellte Giger unter anderen der Sängerin Sina (57), dem Philosophen Bossart oder ihrem Mitmusiker Cissokho 15 Standardfragen zum Thema. Und wie würde Giger die selber beantworten, etwa: «Was war Dein grösstes Glück in Deiner Kindheit?» «Dass ich ein geborgenes Zuhause hatte und keine Sorgen», sagt sie. «Was isst Du, wenn Du Heimweh hast?» Giger: «Capuns!»
Plattentaufe mit Ex-Züri-West-Bassist und Patent-Ochsner-Bläser
1975 im Westschweizer Freiburg zur Welt gekommen, wächst sie ab dem vierten Lebensjahr in Chur auf. Vater Felix Giger (77) bekam damals das Angebot, am rätoromanischen Wörterbuch «Dicziunari Rumantsch Grischun» mitzuarbeiten, später war er Chefredaktor. «Dort in Graubünden bin ich 20 Jahre geblieben und fühlte mich extrem wohl», sagt Rahel Giger. «Berge waren für mich ein Hort der Heimat.» Vielen seien sie zu einengend, das Gefühl habe sie nie gehabt.
«Ihr Bruder blickt ihr fest in die Augen, lächelt verschmitzt, nimmt sie an der Hand und zieht sie zur Bergkuppe hoch, noch bevor sie etwas sagen kann», heisst es in Gigers Erzählung «Dahai. Blindlings. Herzwärts.». Später geht die Erzählerin alleine mit seiner Asche hoch: «Da hing er nun, über ihr. Oder das, was von ihrem Bruder übriggeblieben war. Federleicht. Ein Häufchen Staub, das nur noch einen kleinen Teil des grossen Ballons ausfüllte, der prallvoll war mit Helium.»
«Für meinen Bruder. Und alle Verstorbenen, die vermisst werden», steht in der Widmung zu Beginn des Buchs. Verarbeitet Rahel Giger mit dem literarischen Text den frühen Tod ihres zwei Jahre jüngeren Bruders, der 2009 an einem Hirntumor starb? «Es war ein prägendes Erlebnis, das mein Leben entscheidend verändert hat», sagt sie, «aber ich sehe es heute mit einer gewissen Distanz und will hier nicht meine Geschichte erzählen, sondern die Geschichte aller, die liebe Menschen verlieren und sich ihrer Endlichkeit bewusster werden.»
Fürs Schreiben am Buch zog sich Giger einen Monat lang ins Onsernonetal bei Locarno TI zurück. «Ich habe etwas Eremitisches und liebe die Stille», sagt sie, «aber auf die Dauer würde mir der Austausch mit Menschen fehlen.» Zum Ausgleich musizierte sie in ihrer Tessiner Klause. «Einmal kam ein Reh in die Nähe des Hauses und hörte zu», sagt Giger. Am nächsten Tag sei es erneut gekommen in Begleitung seines Rehkitzes: «Ich filmte es, während ich sang – das war u schön!»
Giger hat nicht nur eine angenehme Radiostimme, ihr Gesang ist kräftig und tragend. Das zeigte sie live Anfang November bei der Plattentaufe von «La Pluma» im Neubad Luzern mit der wohl langsamsten Version des «Guggisberglieds», begleitet von Moussa Cissokho (Kora), Samuel Baur (Perkussion), Ex-Züri-West-Bassist Jüre Schmidhauser und Daniel Woodtli (Flügelhorn) von Patent Ochsner. Bandleader Büne Huber (61) hätte Giger als Special Guest beim «Anneli»-Lied begleitet, wenn er nicht erkrankt wäre.
Von der Bergschul-Lehrerin zur «World Music Special»-Moderatorin
Nicht nur schweizerdeutsch, auch rätoromanisch, spanisch, slowenisch ist der Gesang der folkig-jazzigen Lieder. «Ich kann nicht genug von Sprachen bekommen», sagt Giger, «am liebsten würde ich jede beherrschen.» Rätoromanisch ist die Erinnerungssprache, Spanisch die Sehnsuchtssprache der Moderatorin des 2022 eingestellten SRF-3-«World Music Special». Und Slowenisch ist die Muttersprache ihres Mannes, mit dem sie seit 17 Jahren zusammenlebt.
«Hier im Neubad habe ich meinen Buben das Schwimmen beigebracht», sagt Giger zwischen zwei Liedern zum begeisterten Publikum, das im trockengelegten Swimmingpool sitzt – in der ersten Reihe die stolzen Söhne Noah (21) und Noel (18). Bis 2012 diente das Neubad als öffentliches Hallenbad und ist nun ein Kultur- und Atelierhaus. Seit 2002 ist Rahel Giger in Luzern, als sie von Radio Grischa kommend für Radio Pilatus zu moderieren begann – bis 2014 der Wechsel zu SRF 3 kam.
Bevor sie ihre eigenen Kinder etwas lehrte, unterrichtete sie fremde: Nach dem Seminar war Giger zwei Jahre lang Primarschullehrerin. «Das war total schön mit dieser Mehrstufenklasse in Langwies bei Arosa», sagt sie. «Damals gab es dort eine Bergschule – die gibt es heute leider nicht mehr.» Und Giger ist schon lange nicht mehr Lehrerin, wollte studieren, an ein Konservatorium, eine Jazzschule. «Ich war völlig verzettelt», sagt sie. «Ich konnte mich immer schon schlecht entscheiden, weil ich vieles gerne machen wollte.»
Weil sie vieles gerne macht, könnte sie musikalisch beinahe ein eigenes Orchester bilden: Zu Beginn spielte Giger sehr lange Konzertflöte, übte sich jahrelang am Klavier, nahm Gesangsunterricht und kam schliesslich zur Gitarre. «Es konnte keine normale Gitarre sein, es musste zuerst eine klassische, dann eine Flamencogitarre sein», sagt sie. «Meine Eltern sind fast durchgedreht.» Sich selber forderte Rahel Giger auch heraus, war sehr ehrgeizig, dachte immer, das reiche nicht: «Ich war nie zufrieden mit mir – furchtbar!»
Giiget’s? Kann sie etwa auch noch Geige spielen? «Nein, das hätte ich aber auch gära gemacht», sagt sie mit einem Leuchten in den Augen – wer weiss, vielleicht ist das ihr nächstes Projekt, das sie zur Perfektion bringt. Denn eines ist klar: Sie hat Energie wie ein Multivitamin.
«Dahai. Blindlings. Herzwärts.», Knapp-Verlag
«Dahai. Blindlings. Herzwärts.», Knapp-Verlag
Buchvernissage von «Dahai. Blindlings. Herzwärts.», musikalische Lesung im Duo mit Roman Wyss (Ex-Stiller-Has) am Mittwoch, 29. November, Literatur & Bühne, Olten SO.
«La Pluma», Tourbomusic
«La Pluma», Tourbomusic
Konzerte von Rahel Giger & Moussa Cissokho am Samstag, 16. Dezember, Ucliva, Waltensburg GR; am Mittwoch, 20. Dezember, Werkstatt, Chur.
«Giiget's?» mit Rahel Giger und Barbara Bleisch oder Yves Bossart, Samstag, 2. und 9. Dezember, 9 bis 10.30 Uhr, Radio SRF 3.