Interview mit Satiriker Renato Kaiser
«Das ist die älteste Ausrede, seit es Humor gibt»

Der Ostschweizer Satiriker Renato Kaiser (37) über Klima, Komik mit Randgruppen und sein neues Soloprogramm.
Publiziert: 19.08.2023 um 01:12 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Der Ostschweizer Satiriker, Komiker und Kabarettist Renato Kaiser (37) lebt seit über zehn Jahren in Bern. Blick traf ihn dort zu einem Gespräch vor der Premiere seines neuen Soloprogramms. Kaiser kam in einem neuen Hemd.

Renato Kaiser, Ihr neues Programm heisst «Neu». Das klingt wie ein vorläufiger Arbeitstitel.
Bei meinen Programmen sind es meistens Arbeitstitel – sie sind da, bevor ich irgendetwas geschrieben habe. Sie passen immer zu den Gefühlslagen, in denen ich mich befinde.

Und wie passt «Neu» zur aktuellen Gefühlslage?
Für mich – aber auch für die Gesellschaft als Ganzes – habe ich das Gefühl, dass wir in einer neuen Zeit leben. 

Wie zeigt sich das?
Spätestens seit der Pandemie ist alles viel näher und konkreter und in gewisser Weise auch gefährlicher. Leben und Tod sind viel mehr Thema als früher.

Persönlich

Renato Kaiser kommt 1985 in Goldach SG zur Welt. 2005 steht der schlagfertige Ostschweizer als Poetry-Slammer auf den Bühnen und ist 2012 Schweizer Meister. 2010 tritt er mit seinem ersten abendfüllenden Soloprogramm als Kabarettist auf. «Neu» ist sein fünftes Programm. Neben dem Prix Walo (2019) gewinnt er 2020 den renommierten Kabarett-Preis Salzburger Stier. Kaiser lebt in Bern.

Renato Kaiser kommt 1985 in Goldach SG zur Welt. 2005 steht der schlagfertige Ostschweizer als Poetry-Slammer auf den Bühnen und ist 2012 Schweizer Meister. 2010 tritt er mit seinem ersten abendfüllenden Soloprogramm als Kabarettist auf. «Neu» ist sein fünftes Programm. Neben dem Prix Walo (2019) gewinnt er 2020 den renommierten Kabarett-Preis Salzburger Stier. Kaiser lebt in Bern.

Wo habe Sie das Neue erfahren: im Handeln und Denken der Menschen oder bei Ihnen selber?
Bei mir selber weniger, denn ich habe mich schon immer mit solchen existenziellen Themen beschäftigt. Aber ich habe ein neues Denken bei den Menschen festgestellt.

Kabarettist Renato Kaiser bringt «Neu» auf die Bühne
1:00
Premiere am 23. August:Kabarettist Renato Kaiser bringt «Neu» auf die Bühne

Nämlich?
Erwachsene stellen sich heute vermehrt die Frage: «Sollen wir Kinder haben, wenn die Zukunft so ungewiss ist?» Die Vorstellung, dass es sich nicht lohnt – vor allem für die Kinder –, die ist neu.

Ist das auch ein Thema, das Sie beschäftigt?
Zum Glück nicht, da ich null Interesse an Kindern habe – weder an fremden, noch an eigenen. Bis jetzt wollte ich keine Kinder haben, doch jetzt kann ich sagen: «Ich mache es für die Umwelt.»

«Wir leben in einer neuen Zeit»: Renato Kaiser über seine aktuelle Gefühlslage.
Foto: Thomas Meier

Klima, Verhütung oder Unsterblichkeit sind Themen in Ihrem neuen Programm – nicht wirklich neu.
Genau: Dass es durch den Klimawandel irreversible Folgen gibt, kam bereits 1970 erstmals zur Sprache. Doch obwohl man schon seit über 50 Jahren vom Klimawandel weiss, ist er für viele erst jetzt eine neue Erfahrung.

Wer definiert, was neu ist?
Wenn es um Wissenschaft geht, finde ich das immer sehr lustig. Auf neue Erkenntnisse reagieren die Menschen oft mit der Floskel: «Das ist modernes Geschwätz.» Das ist absurd, denn die Wissenschaft ist da, um neue Sachen herauszufinden. 

Ist das Alte denn beliebter als das Neue?
Ja sicher. Je älter man wird, umso mehr freut man sich über die Sachen, so wie sie sind. Deshalb sagen die Leute auch so gerne: «Das haben wir schon immer so gemacht.» Sie merken gar nicht, wie konservativ sie sind.

Was ist wirklich neu an Ihrem Programm?
Ich gehe den Sachen auf den Grund und nehme nicht nur an der oberflächlichen Debatte teil, die in den letzten Jahren immer populistischer geworden ist. Mit Oberflächlichkeit kann man heute schnell Erfolge erzielen.

Welchem Thema gehen Sie beispielsweise auf den Grund?
Der Abtreibung. Es gibt kein Thema, das so alltäglich ist und trotzdem so ignoriert wird. Ich will nicht sagen, ob Abtreibung gut oder schlecht ist, sondern ergründen, weshalb das Thema so emotional aufgeladen ist.

Wollen Sie beim Schreiben eines Programms selber neue Erkenntnisse gewinnen?
Ja, bewusst oder unbewusst. Das Recherchieren und Schreiben gefällt mir eigentlich noch besser, als auf der Bühne zu stehen.

«Menschen mit Behinderung müssen Witze machen dürfen»: Renato Kaiser in der SRF-Sendung «Tabu».

Sind Sie für das neue Programm auch formal neue Wege gegangen?
Ich stehe immer noch auf die Bühne und erzähle. Es ist gut, zu wissen, was man kann und nicht kann. Ich will deshalb weder tanzen noch singen. Aber das wirklich Neue ist, dass ich mit Manuel Gübeli nun erstmals einen Regisseur habe.

Sie probieren gerne neue Formen der Satire aus. Die TV-Sendung «Tabu», in der Sie mit Randgruppen Witze rissen, machte Sie 2019 landesweit bekannt.
Menschen mit Behinderung müssen Witze machen dürfen. Wir wollten zeigen, dass man diese Themen nicht nur mit Humor nehmen, sondern auch humoristisch bearbeiten kann.

Befördert Humor Toleranz?
Auf jeden Fall, denn zur Toleranz gehört, dass man solche Menschen nicht auch noch vom Humor ausschliesst. Aber es ist nicht ganz einfach: Bei einem Rassismus-Diskurs bringt es nichts, wenn man jahrzehntealte rassistische Witze reproduziert. 

Satire darf also nicht alles.
Satire darf alles, das finde ich grundsätzlich schon. Aber sie darf nicht ein Freibrief sein: «Hey, ist ja bloss Satire.» Denn dann wird man …

… zu einem Zyniker …
… oder zu diesen Extrempolitikern und -politikerinnen, die dann sagen: «Hey, es war ja nur ein Witz.» Das ist die älteste Ausrede, seit es Humor gibt.

Apropos Ausrede: Bei der Nachfolge von Dominic Deville für die SRF-Satire-Sendung setzte das Fernsehen auf Männer, weil die Frauen zu wenig bekannt seien.
Weshalb? Weil Frauen keine Chance bekommen, bekanntzuwerden. Und andererseits war Dominic Deville auch wenig bekannt, als er die Satire-Sendung übernahm. Es wird mit verschiedenen Ellen gemessen.

«Es wird mit verschiedenen Ellen gemessen»: Renato Kaiser über den SRF-Entscheid der Deville-Nachfolge.
Foto: Thomas Meier

Wären Sie für ein gemischtes Duo gewesen?
Nein, eine Frau.

Haben Sie konkrete Namen?
Die Naheliegendste wäre Patti Basler gewesen – sie ist bekannt und anerkannt. Lara Stoll ist seit Jahren einfach grandios. Und bei Jane Mumford bin ich befangen, weil ich mit ihr einen Podcast betreibe, aber sie kann einfach alles.

Sie sind als Co-Headautor von Gabriel Vetter bei der neuen Sendung dabei. Wäre es nicht konsequent gewesen, gar nicht mitzumachen?
Ich trete nicht vor die Kamera. Ausserdem sehe ich bei ihm im Dreiergespann mit Sven Ivanic und Fabienne Hadorn das meiste Potenzial für Qualität und Diversität.

Zurück zum Namen «Neu»: Die Titel Ihrer Soloprogramme werden immer kürzer – von «Integrational – ein Abend für Schweizer, Deutsche, Ostschweizer, Löwenzähne und andere Randgruppen» …
… ja, das war ein schrecklicher Titel …

… verkürzten Sie zuletzt auf «Hilfe». Nun also «Neu». Konsequenterweise müsste Ihr nächster Programmtitel aus höchstens zwei Buchstaben bestehen.
Genau, sonst kann ich kein weiteres Programm schreiben.

Lieber «So», «Da» oder «Ja»?
«Ja» wäre zu einfach und könnte programmatisch einschränkend sein. «Da» hat viel mit Existenz zu tun, was meinem neuen Programm sehr nah kommt. Von daher würde ich «So» bevorzugen.

Premiere von «Neu» am 23. August in Casinotheater Winterthur, danach grosse Schweizer Tournee. Auftrittsdaten auf renatokaiser.ch 

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