Interview mit Neu-Chocolatier Dieter Meier (73)
«Ich habe meine eigenen Schoggihasen im Garten versteckt»

Er ist der grosse Rauner der Schweizer Elektropop-Pioniere Yello. Doch hier spricht Dieter Meier (73) nicht über Musik, sondern über das Ausfahren von Gülle, die Kathedrale für das Handgelenk – und über seine 9.60-Franken-Schoggitafel.
Publiziert: 01.04.2018 um 15:06 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 03:15 Uhr
«Primär wollen wir den reinen Schokoladegenuss fördern», sagt Dieter Meier (73).
Foto: Valeriano di Domenico
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Daniel Arnet

Herr Meier, haben Sie für Ihre drei Enkelkinder Osternestchen gebastelt?
Dieter Meier: Ja, wir feiern Ostern, und ich habe meine eigenen Schokoladenhasen im Garten versteckt.

Seit Dezember bieten Sie in der Zürcher Altstadt Chocolat Dieter Meier an. Ist das Geschäft gut angelaufen?Sehr gut. Wir hatten bereits im Dezember Umsätze, die unsere Erwartungen übertroffen haben. Wir zählen heute viele Stammkunden.

Sie stellen die Schokolade nach einem neuen Verfahren her, das die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil entwickelt hat.
Die traditionelle Schokoladenindustrie arbeitet beim Rösten mit sehr viel Hitze und conchiert danach die Masse, um Bitterkeit und Säuren loszuwerden.

Dieter und die Schokoladenfabrik

Schnauz, Halstuch, Einstecktuch und Zigarre: Das sind die Markenzeichen von Dieter Meier. 1945 in Zürich als Sohn eines Privatbankiers zur Welt gekommen, arbeitet er nach einem abgebrochenen Jurastudium zunächst bei einer Bank, danach ist er Berufspokerspieler. Ende der 1960er-Jahre beginnt er als Konzeptkünstler aufzutreten und gründet 1978 mit Boris Blank das Elektropop-Duo Yello. Parallel dazu baut er in Argentinien eine Biofarm auf. Mittlerweile züchtet er dort Rinder und produziert Wein. Seit Dezember 2017 vertreibt Dieter Meier Schokolade und ab 2019 stellt er sie in einer eigenen Fabrik her. Meier ist Vater von fünf Kindern und wohnt mit seiner Frau abwechselnd in Argentinien und der Schweiz.

Schnauz, Halstuch, Einstecktuch und Zigarre: Das sind die Markenzeichen von Dieter Meier. 1945 in Zürich als Sohn eines Privatbankiers zur Welt gekommen, arbeitet er nach einem abgebrochenen Jurastudium zunächst bei einer Bank, danach ist er Berufspokerspieler. Ende der 1960er-Jahre beginnt er als Konzeptkünstler aufzutreten und gründet 1978 mit Boris Blank das Elektropop-Duo Yello. Parallel dazu baut er in Argentinien eine Biofarm auf. Mittlerweile züchtet er dort Rinder und produziert Wein. Seit Dezember 2017 vertreibt Dieter Meier Schokolade und ab 2019 stellt er sie in einer eigenen Fabrik her. Meier ist Vater von fünf Kindern und wohnt mit seiner Frau abwechselnd in Argentinien und der Schweiz.

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Wo liegt das Problem?
Im herkömmlichen Verfahren gehen mit der Bitterkeit die Aromen auch weitgehend verloren. Dieses Defizit muss man mit Vanille und künstlichen Stoffen ausgleichen.

Was machen Sie anders?
Wir erhitzen den Kakao viel weniger stark. Dadurch bleiben fast hundert Prozent der Aromen aus der Bohne erhalten. Und man kann sogar herausschmecken, woher der Kakao kommt.

Wie lange tüftelte man an diesem Verfahren?
Professor Tilo Hühn von der ZHAW forschte viereinhalb Jahre, bis er den hochkomplexen Prozess im Griff hatte. Inspiriert war er von der Zermahlmethode mit Wasser der Maya.

Ihre Produkte sind nicht ganz günstig. So kostet etwa eine Tafel Schokolade 9.60 Franken. Wen sprechen Sie damit als Kundschaft an?
Alle, die unsere Tafeln verkostet haben, können herkömmliche gar nicht mehr essen. Unsere Preise sind deshalb so hoch, weil wir die Schokolade in einer kleinen Fabrik herstellen. Aber wir sind dran, unsere Produktion zu steigern – dann werden auch die Preise sinken.

Sie haben Pläne für eine grös­sere Fabrik in Glarus.
Diese Möglichkeit hat sich leider zerschlagen. Aber wir haben anderswo eine ideale Fabrik gefunden.

Wo?
Das kann ich leider noch nicht sagen, weil die Verträge noch nicht unterschrieben sind. Aber ab 2019 sollten wir rationeller grössere Mengen produzieren können.

Edelprodukte, die sich der breite Mittelstand leisten kann und sich damit ein bisschen besser fühlt – der amerikanische Autor Ven­katesh Rao hat dafür den Begriff Premium Mediocre geprägt.
Das trifft durchaus auf meine Palette zu: Alle meine Produkte können sich alle Leute leisten.

Neben Schokolade bieten Sie Chips sowie Wein und Fleisch aus Argentinien unter Ihrem Namen an.
Ich komme mir manchmal vor wie ein asiatischer Tellerjongleur, der mit seinen Stäben immer schauen muss, dass alle Teller schön rotieren und nicht runterfallen.

Aber Sie können Ihre Produkte auch mal auf einem Teller oder in einem Glas geniessen?
Sicher.

Was haben Sie am liebsten?
Ich habe alles gern.

Müssen Ihnen die Produkte, die Sie unter die Menschen bringen, selber schmecken?
Ja, gewiss.

Sie sind ein passionierter Zigarrenraucher. Wann gibt es Dieter Meier’s Cigars?
Das wird es wahrscheinlich nie geben. Ein Freund von mir macht wunderbare Zigarren, und ich habe schon überlegt, ob ich mit ihm das Branding machen sollte. Aber das wäre zu wenig authentisch – ich wäre bloss der Namensgeber.

Was auffällt: Alle Produkte, die Ihren Namen tragen, haben ihre Wurzeln in der Landwirtschaft. Ein Zufall?
Nein, das war immer ein Bubentraum: Wir hatten ein Ferienhäuschen in der Bächau am Zürichsee. Dort machte es mir jeweils grosse Freude, mich auf einem Bauernhof nützlich machen zu können. Als Elfjähriger habe ich Gülle ausgefahren. Und nun bin ich seit gut 25 Jahren mit allen meinen Produkten im weitesten Sinn als Landwirt in Argentinien tätig.

Und was beackern Sie als Nächstes?
Am Rio Negro in Patagonien habe ich mit einem Bewässerungsprojekt begonnen und damit Walnuss- und Haselnussplantagen geschaffen.

Dieter Meier: «Primär wollen wir den reinen Schokoladengenuss fördern.»
Foto: Valeriano Di Domenico

Nüsse für die Schokolade?
Das ist denkbar, aber primär wollen wir den reinen Schokoladengenuss fördern.

Wollen Sie mit den Haselnüssen den Weltmarkt aufmischen?
Tatsächlich hat die Türkei in diesem Bereich einen Marktanteil von über 70 Prozent. Diese Abhängigkeit von einem Monopolisten ist vielen ein Dorn im Auge. Und ich habe bereits einen wichtigen Abnehmer gefunden.

Sie sind ein Tausendsassa. Wie finden Sie immer wieder neue Betätigungsfelder?
Wir haben in Patagonien mit normaler Landwirtschaft begonnen und gemerkt, dass das Land sowohl für Reben wie für Nussbäume sehr geeignet ist. Ich bin immer wieder inspiriert von den Möglichkeiten, die Argentinien bietet: Es gibt dort alle Klimazonen und Bodenbeschaffenheiten. Ein Wunderland. Aber man muss sehr genau schauen, was man wo anbauen kann. Deshalb haben wir im Norden des Landes mit dem Anbau von Chia, südamerikanischem Salbei, begonnen. Mittlerweile beackern wir im ganzen Land etwa 110 000 Hektaren.

Wirtschaftlich und politisch ist Argentinien nicht immer ein Wunderland. Schreckt Sie das nicht ab?
Es gab schwierige Momente. So hatten wir immer wieder Exportverbote für unser Fleisch. Und wenn man exportieren durfte, musste man bis zu 40 Prozent des Ertrags an den Staat abliefern. Das ist jetzt unter der neuen Regierung besser geworden. Jetzt haben wir auf unseren Farmen eine Rentabilität von sieben bis acht Prozent.

Bei Ihnen ist sogar «Le Rien en Or», wie eine Ihrer Kunstaktionen hiess. Warum verwandelt sich alles in Gold, was Sie anfassen?
Das ist überhaupt nicht so. Ich bin auch schon gescheitert. Vor 15 Jahren habe ich im Silicon Valley die ersten volldigitalen Mischpulte für Film- und Musikaufnahmen gebaut. Doch der Markt war noch nicht so weit, und ich habe einen Schuh voll rausgezogen.

In Ihrem Kerngebiet ist Ihnen das aber noch nie passiert.
Doch, selbst in der Landwirtschaft musste ich schon Niederlagen einstecken, weil die Anbaugebiete suboptimal waren: Meine ersten Nussplantagen waren zu starkem Wind ausgesetzt. Ich muss mir immer überlegen, ob ich das Risiko verkraften kann. Was passiert, wenn das nicht funktioniert?

Sind die Risiken berechenbar?
In der Landwirtschaft ist eins plus eins nie zwei. Durch die Klimaveränderung haben wir enorme Probleme: Auf der einen Farm haben wir Überschwemmungen, auf der anderen kein Wasser. Auf einer meiner Schaffarmen gab es zwei Jahre lang keinen Niederschlag.

Was können Sie tun?
In Zukunft versuche ich, durch Solarenergie und Windkraft Land mit Wasser vom Rio Negro zu bewässern. Ich will nicht mehr von Dio, sondern vom Rio abhängig sein.

Und damit sind Sie erfolgreich. Sie tauchen mit einem Vermögen von rund 175 Millionen Franken Jahr für Jahr in der «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten auf.
Diese Zahl ist nicht seriös. Einen Grossteil meines Geldes habe ich in Land in Argentinien angelegt. Ich habe keine Ahnung, was ich dafür bekäme, wenn ich es ver­kaufen würde. Ich habe mich mit Hän­den und Füssen gewehrt, in der «Bilanz» zu erscheinen – ohne Erfolg.

Welches Verhältnis haben Sie zum Geld?
Geld ist für mich ein Mittel, um mit kompetenten Menschen Ideen auszuprobieren. Ich bin wie ein gwundriges Kind. Aber Geld an sich interessiert mich nicht.

Und trotzdem sind Sie bei der Schweizer Geldnotendruckerei Orell Füssli nach der Nationalbank der zweitgrösste Einzel­aktionär.
Zu diesem Engagement riet mir mein Vater, der ein erfolgreicher Bankier war. Er sagte, ich werde an der Börse nie erfolgreich sein und solle stattdessen in sichere Werte investieren. Auch wenn das Bargeld immer mehr aus dem Handel verschwinde, der Schweizer liebe seine Währung und werde sie immer drucken.

Und wie kam es zum Engagement bei den Zermatter Bergbahnen?
Dort sagte mir mein Vater, dass die Touristen immer rauffahren wollen, solange es das Matterhorn gebe.

Aber zur Beteiligung an der damals serbelnden Luxusuhren­firma Ulysse Nardin hat Ihnen Ihr Vater kaum geraten.
Das stimmt. Das war ein Freund von mir, Rolf Schnyder, der diese Firma kurz vor der Liquidierung aufkaufte, als mit dem Aufkommen der Quarzuhren niemand mehr an mechanische Uhren glaubte. Aber eine schöne Uhr ist eine Kathedrale für das Handgelenk und das einzig legitime Schmuckstück für einen Mann – ausser er arbeitet im Rotlichtmilieu und trägt drei goldene Armketten.

Eine mehrere Tausend Franken teure Uhr – das passt nicht zum 68er Dieter Meier.
Doch. Mir hat es schon damals nicht gefallen, Teil einer Massen­bewegung zu sein.

Sie nannten sich dement-sprechend Individualanarchist.
Das wurde mir zugeschrieben. Ich habe alleine Strassentheater gemacht und war nie einer, der in einem Demonstrationszug mitmarschierte und «Ho, Ho, Ho Chi Minh» rief. Man muss nicht idealistische Ziele haben, sondern dort etwas tun, wo man etwas bewegen kann.

Wie würde der 23-jährige Dieter Meier von 1968 den heutigen Dieter Meier beurteilen?
Unser jüngster Sohn ist eben ungefähr in dem Alter, in dem ich damals war. Und er schaut mich so an, wie ich mich über die Distanz der Jahre ansehen würde. Er ist ein vifer, aufgeklärter und hochinteressierter Mann, studiert Geschichte und beurteilt mich in Diskussionen äusserst kritisch. Er hat mich schon als eitel bezeichnet. Das hat mich bewegt, denn ich habe das Gefühl, dass ich absolut uneitel bin.

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