Federica de Cesco, die Grande Dame der Mädchenliteratur, warnt ihre Leserinnen
«Der heutige Feminismus ist naiv»

Sie erschrieb sich ihre Unabhängigkeit – und befreite mit ihrer Mädchenliteratur Millionen von Frauen. Doch Federica de Cesco (78) fürchtet sich um ihr feministisches Erbe. Ein Rundumschlag-Interview.
Publiziert: 07.03.2017 um 23:42 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:58 Uhr
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«Es ist eine grosse Katastrophe! Die Mädchen heute machen einen Kopfsprung zurück», sagt Bestseller-Autorin Federica de Cesco. «Ihnen ist heute nicht bewusst, dass ihre Grossmütter kein Stimmrecht hatten.»
Foto: Philippe Rossier
Cinzia Venafro (Text), Philippe Rossier (Fotos)

BLICK: Federica de Cesco, Sie müssen verzweifelt sein. Sie haben 50 Jahre lang Mädchen in ihrer Emanzipiertheit bestärkt, haben gezeigt, dass Frau sein nicht bedeutet, sich hübsch artig der männlichen Gesellschaft zu unterwerfen. Und jetzt scheint das traditionelle Weiblichkeitsbild wieder an Einfluss zu gewinnen.
Federica de Cesco:
Es ist eine grosse Katastrophe! Die Mädchen heute machen einen Kopfsprung zurück. Wenn es dem Bären zu wohl wird, fängt er an zu tanzen. Und den Mädchen ist es so wohl, dass sie gar nicht mehr merken, was die vorherige Generation machen musste, damit sie da ist, wo sie ist. Den Schweizer Mädchen ist nicht bewusst, dass ihre Grossmütter kein Frauenstimmrecht hatten. Dass uns eine göttliche Ordnung vorgetäuscht wurde! 

Ist das alte Mädchenbild tatsächlich wieder en vogue?
Es kommt wieder. Wenn eine junge Frau mir sagt, sie sei keine Feministin, wofür denn auch, sie habe schliesslich alles, was sie wolle. Da schlucke ich leer und sage hoppla: Hast du wirklich das Gefühl, dass es so bleiben wird? Pass bloss auf, dass das alte Gesellschaftsbild nicht mit der Greifzange nach dir schnappt. Diese Mädchen haben gar kein historisches Gedächtnis. Sie wachsen quietschvergnügt auf. Die Freiheit scheint selbstverständlich, und so leisten sie sich den Luxus zu sagen: «Jäää, nö. Feminismus ist unmodern.»

Seit dem «roten Seidenschal» haben Ihre Leserinnen den Drang, sich Ihnen mitzuteilen. Sind die Fanbriefe heute anders als noch vor zehn Jahren?
Es ist ziemlich ernüchternd. Ein Bespiel: Bei einem Workshop las ein elfjähriges Mädchen eine eigene Pferdegeschichte über einen Hengst in Bedrängnis vor.

Oha.
Hab ich auch gedacht. Am Ende der Geschichte opfert sich die Stute, um den Hengst in Bedrängnis zu retten und ihm seine Stellung in der Gruppe zu sichern. Wenn ich so etwas höre, breche ich zusammen! Wenn überhaupt, opfert sich der Hengst!

Sie sehnen sich nach dem männlichen Retter. Wie inkonsequent.
Na gut. In einer idealen Welt würden Hengst und Stute miteinander galoppieren – und zwar im selben Tempo. Oder wie bei Titanic. Die Protagonistin verliert fast das Leben, dann schenkte er ihr seines, damit sie überlebt. Das war vor 15 Jahren. Ich denke nicht, dass Titanic heute noch so verfilmt werden würde.

Frauen, die hundert Prozent arbeiten, gelten noch immer als Rabenmütter. Ich habe das bei einigen Journalismus-Kolleginnen miterlebt.
Dieses ewige Schablonendenken. Es ist so präsent wie eh und je.

Der neue Feminismus versucht dagegen anzukämpfen.
Wirklich? Ich sehe nichts davon. Da wir beide gerade unter Italienerinnen sind: Das italienische Frauenverständnis finde ich sehr gut. Die Italiener sind zwar Machos gegen aussen, und doch sagt die Mamma am Ende, wo es langgeht. Ich liebe die Grandezza der Italienerinnen, sie haben sich ihre Weiblichkeit trotz Emanzipation bewahrt.

So wie die Französinnen.
Aber ohne das Zickige.

Alles andere als zickig gibt sich die neuste Frauenbewegung, die Pussyhats.
... ach, das ist doch so naiv! Diese Anbiederung der Politiker mit diesen strickenden Aktivistinnen. Das ist Opportunismus in seiner reinsten Form. Die greifen den flüchtigen Zeitgeist auf, von dem in sechs Monaten niemand mehr reden wird. Alles aufgesetzt, genauso wie die Mütze!

In Zürich haben Aktivistinnen vor wenigen Monaten Brunnen rot eingefärbt, um auf das Drama der Periode aufmerksam zu machen.
Gehts eigentlich noch?! So etwas Hirnverbranntes habe ich lange nicht gehört. Die werden doch nicht etwa wieder mit dieser ideologischen Effekthascherei anfangen. Oder haben Sie die Periode etwa als Drama empfunden?

Nein, habe ich nicht. Aber es bringt viele Männer doch noch immer aus der Fassung. Haben Sie eigentlich mal Hass von Männern erlebt?
Oh nein, die Männer waren mir immer wohlgesinnt. Ich bin bis heute eine Séductrice – eine Verführerin. (lacht) Das geht nie weg, auch im Alter nicht. Ich bringe die Herren immer dorthin, wo ich sie haben will, indem ich das Witzige und den Ernst dosiere. Diese Freiheit geniesse ich sehr.

Warum drohen die jungen Frauen Ihrer Meinung nach diese Freiheit wieder abzugeben?
Auch wegen falsch verstandener Toleranz der Linken und der Kirchen. Nach den Silvesterangriffen von Köln beispielsweise traute ich meinen Ohren nicht, als deutsche Politikerinnen diese Typen auch noch in Schutz genommen haben. Einem Kerl, der einer Frau etwas zuleide tut, kommt man doch nicht mit Verständnis! Verdammt! Aber schreiben Sie verdammt jetzt nicht. Oder doch, schreiben Sie es erst recht, merde alors!

Sie haben vor 15 Jahren mit «Aicha» ein Buch über ein algerisches Mädchen geschrieben, dass sich dem Kopftuchzwang widersetzt. Müsste man «Aicha» jetzt ins Arabische übersetzen und in Flüchtingsheimen thematisieren?
Doch, gute Idee! Als Aicha erschien, hat kein Hahn und kein Huhn danach gekräht. Jetzt habe ich von meinem Verlag verlangt, es neu herauszubringen – auch auf Türkisch. 2017 ist es notwendig wie nie zuvor. Meine Aicha hat eine jüdische Freundin, isst Schweinefleisch, verliebt sich, knallt ihrem Bruder einen Stuhl an den Kopf, entflieht, und hat Sex mit ihrem vietnamesischen Freund.

Bedroht der konservative Islam den Feminismus?
Ja. Ein Beispiel: Als Teenager in Spanien sah ich am Strand Mädchen, die hatten winzige Bikinis an, so kleine Dreieckchen, die gerade mal das Nötigste verdeckten. Das waren Marokkanerinnen! Heute müssen die gleichen Mädchen in ihren Bettlaken baden gehen. Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen, dass die Dreieckchen Ausnahme werden. 

Früher war die Rolle des Mannes als Ernährer definiert. Heute soll er leidenschaftlicher Liebhaber, verständnisvoller Partner, Windeln wickelnder Vater und Karrieremensch in einem sein. Das verunsichert viele Männer, und gerade deshalb gibt es diese Sehnsucht nach der Zeit, in der «Mann noch Mann sein durfte».
Ich habe das Gefühl, dass die Männer künstlich in diese Unsicherheit hineinmanövriert werden. Nur weiss ich immer noch nicht, von wem.

Ist es die Folge der Fehler des Feminismus der Siebzigerjahre? Dieses extrem Kampflustige …
Wenn ich an die Siebzigerjahre denke, krieg ich einen Drehwurm. Was haben mich diese verbohrten Feministinnen angegriffen: Ich sollte gefälligst ein Problembuch schreiben. Und weil ich nicht folgte, hiess es: Die de Cesco schreibt oberflächliche Freizeitlektüre. Das war kein Feminismus, sondern Dogmatismus. Die hatten gekämpft und wollten sich keine Blösse geben. Da habe ich mich mit vielen verkracht, ich habe diese Zeit gehasst.

Sie waren sehr erfolgreich, verkauften Millionen Bücher. Frauen schaukeln sich gerne mit Neid gegenseitig hoch.
Ja, Neid ist zwar männlich und weiblich. Aber ich beobachte bei den Frauen einen Mangel an Solidarität.

Wie haben Sie eigentlich Ihre eigene Tochter emanzipiert?
Das hat sie ganz alleine gemacht. Ich war eine Mutter, die in den Wolken schwebte. Ich war keine präsente Mutter. Wenn man Schreiben als Berufung empfindet und fuchsteufelswild wird, wenn man nicht schreiben kann, dann ist man nicht unbedingt eine angenehme Mutter.

Bereuen Sie diese Mutterjahre?
Das Resultat bereue ich nicht. Es hat meine Tochter und meinen Sohn stark gemacht. Kinder, bei denen alles schön nach Schnürchen läuft, werden nicht zwingend glücklicher. Jeder Mensch trägt das Glück, das er sich erarbeitet, in sich selbst.

Sie haben sich scheiden lassen, als Ihre Kinder noch sehr klein waren. Das muss Anfang der 70er-Jahre ein Tabubruch gewesen sein. 
Es war alles andere als okay, auch im privaten Umfeld. Später haben mich Frauen angesprochen und mir gesagt: Frau de Cesco, als Sie sich scheiden liessen, hab ich mich auch getraut. Das hat mich sehr bestärkt. 

Denken Sie eigentlich, dass die zwei letzten Generationen sexuell befreiter waren als meine?
Oh ja, der Sex war sicher lustiger. Es war ein viel verspielterer Umgang mit der Sexualität. «Make love not war» klingt bis heute gut. Aber jetzt sind wir verklemmter. Zudem haben wir in sexuellen Belangen das Judeo-Christentum im Nacken. Diese ganze Prüderie.

Trotz der immer verfügbaren Pornografie?
Oh wie ich das hasse, diese Pornografie, die den Kindern auf dem Smartphone zur Verfügung steht. Das ist unter allem – schrecklich. Das richtet viel Schaden an.

Die sexuelle Hierarchie ist im Mainstream-Porno klar: Die Frau wird erniedrigt, der Mann ist der Herrscher der vermeintlichen Lust. Der Penis ist das Zentrum.
Und wir können nichts dagegen tun, ausser den Kindern immer wieder zu sagen, dass dieser Sex nicht real ist. Liebe ist nicht, sich gegenseitig anzuschauen. Liebe ist, gemeinsam in die gleiche Richtung zu blicken.

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