Das berührende Schicksal von Lisa Marti
«Mein Ernst ging vor 36 Jahren zur Tür raus und kam nie mehr»

Publiziert: 18.11.2011 um 23:55 Uhr
|
Aktualisiert: 05.10.2018 um 03:16 Uhr
Von Flavia Schlittler

Es ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann: seinen Liebsten zu verlieren. Genau das hat Lisa Marti (78) am Donnerstag, dem 13. November 1975 erlebt. «Mein Ernst ging zur Tür raus und kam nie mehr zurück», sagt sie mit leiser Stimme. Nach einer kurzen Pause ergänzt sie: «Es bricht mir heute noch das Herz, dass er im Streit von mir gegangen ist.»

Gestritten hat das Paar, weil sie ihm beichtete, sich in einen anderen verliebt zu haben. «Ernst war mein erster Mann. Nach zwanzig Jahren Ehe und drei Kindern dachte ich, etwas verpasst zu haben, wollte mein Leben geniessen und Neues erleben.» Ernst Marti, der damals erfolgreich ein Elektrogeschäft in Glarus führte, war kein Mann der grossen Worte. Still verliess er seine Frau und ging ins Ferienhäuschen im Klöntal. «Da war er glücklich. Ernst hat alles selbst gebaut.»

Am Tag nach dem Verschwinden hatte Lisa Marti ein komisches Gefühl im Bauch, wie sie sagt, und machte sich auf den Weg zu ihm. «Sein Schlüsselbund und sein Portemonnaie lagen auf dem Tisch. Nur ein Rucksäckli, ein Feldstecher und zwei Tafeln Schoggi fehlten», sagt die Glarnerin. «Ich war froh, hatte er Schoggi dabei. Das war für mich ein Anzeichen, dass er vielleicht in die Berge ging. Ich bekam aber auch Angst. Ernst kämpfte mit Depressionen. Er hat auch schon gesagt, er wolle nicht mehr leben.»

Ein Wendepunkt im Leben von Ernst Marti war, als er 1960 an Kinderlähmung und Hirnhautentzündung erkrankte. «Das hat ihn verändert. Er hatte ab da oft starke Kopfschmerzen», erinnert sich die bis heute aktive Bergsteigerin.

Was mit Ernst Marti wirklich geschehen ist, weiss bis heute niemand. Erlitt er einen Unfall? Nahm er sich das Leben? Hat er sich ins Ausland abgesetzt?

«Ich war bei Pendlern, Astrologen und Wahrsagern. Alle sagten, dass er noch lebt. Doch wo? Und weshalb hat er zu den Kindern den Kontakt abgebrochen? Nichts zu wissen, tut sehr weh», so Lisa Marti.

Sie, das ehemalige Verdingkind, war immer eine Kämpferin. Vier Tage, nachdem Ernst sie verliess, stand sie wieder in ihrem Geschäft. Kümmerte sich alleine um die Kinder Ernst (damals 20), Werner (17) und Annelies (14).

Jahre später wurde Ernst Marti offiziell für tot erklärt. Bis heute hat die siebenfache Grossmutter nicht aufgegeben, auf ein Wiedersehen mit ihrer ersten grossen Liebe zu hoffen. «Ich zünde jeden Tag eine Kerze für ihn an. Über all die Jahre ohne Ernst habe ich etwas Wichtiges gelernt. Man muss jeden Moment gut finden, so wie er ist. Das hilft, positiv zu denken, und setzt sehr viel Kraft frei.» Aus der ehemals braven Hausfrau ist eine erfolgreiche Unternehmerin geworden. Noch heute steht sie jeden Tag in ihrem Sportgeschäft Fridolin in Glarus. «Wenn ich Ernst jemals wiedersehe, nehme ich ihn ganz fest in meine Arme.»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?