Hatten es unsere Eltern und Grosseltern einfacher in ihren Beziehungen?
Michael Nast (40): Sie haben unter ganz anderen Umständen gelebt. Damals war man aufeinander angewiesen. Heute verdienen Männer und Frauen Geld, sie sind unabhängig. Darum gibt es heute nur noch eines, das uns zusammenführt: die romantische Liebe. Dieses Ideal ist aber wegen unserer hohen Ansprüche fast nicht zu erfüllen.
Sieht dieses Ideal heute nicht anders aus?
Früher wurde man als Single noch gebrandmarkt, das ist heute entspannter. Die wenigsten sind verzweifelt auf der Suche, allein sein ist nicht unangenehm, es gibt viele Freiheiten. Aber man hängt irgendwie zwischen zwei Leben, dem Leben hinter einem und dem Ideal, das noch in der Zukunft liegt. Das Problem ist, dass man sich in diesem Übergangszustand einrichtet.
Geht es Männern und Frauen damit gleich?
Nicht ganz. Erstens tickt bei den Frauen die biologische Uhr, das macht einen gewissen Zeitdruck. Und durch die Emanzipation sind die Männer aus der Rolle gefallen. Von Frauen weiss ich, dass sie uns Männer als unverbindlich empfinden. Und Frauen sind eher an einer Beziehung interessiert.
Männer nicht?
Für viele Männer ist es einfacher, jedes Wochenende mit einer anderen Frau zu schlafen, die sie nachher nie mehr sehen. Das sagen sie bei einem Date natürlich nicht gleich. Sie lassen sich darauf ein, bis es unbequem wird. Das heisst, bis die Frau etwas Verbindliches möchte.
Wie machen Sie das bei einem Date?
Ich bin brutal ehrlich und sage gleich zu Beginn, was für mich Sache ist. Damit gehe ich ein Risiko ein. Es kann sein, dass mich mein Date gleich stehen lässt. Aber die Hoffnung bleibt, es könnte ja die Richtige sein. Das ist umgekehrt auch so. Der Leidende ist in der Regel derjenige, der mehr Gefühle investiert.
Sind wir zu selbstsüchtig für die Liebe?
Das Ego ist das Mass aller Dinge. Wenn man liebt, muss man sich öffnen. Das macht uns verletzbar. Wer das vermeidet, kann sich auch nicht fallen lassen. Hinzu kommt, dass wir dank Social Media meinen, eine unendliche Auswahl an Partnern zu haben. Man glaubt, dass vielleicht noch was Besseres kommt. Wir bewerten unsere Beziehungen nach wirtschaftlichen Kriterien. Was sich nicht lohnt oder zu viel Energie kostet, wird abgestossen.
Dating-Apps sind also Liebestöter?
Grundsätzlich ist das nichts Schlechtes und ein Weg, jemanden kennenzulernen. Das Problem ist aber, dass wir noch nicht gelernt haben, mit dieser Technik umzugehen. Diese Plattformen sind strukturiert wie Onlineshops. Man wählt seinen Partner nach Kriterien aus, wie Produkte. 20 Prozent der Männer auf Tinder sind übrigens gar keine Singles, sondern nur auf der Suche nach Abenteuern.
Wie nutzt man Dating-Apps sinnvoller?
Ich würde das persönliche Treffen nicht zu lange rausschieben, damit vermeidet man Enttäuschungen. Social Media verleitet dazu, an seiner virtuellen Identität zu feilen. Man posted retuschierte Bilder, wartet auf Likes und macht sogenannte Freunde zum Publikum. Die echte Persönlichkeit verschwindet hinter der Fassade. Inzwischen lerne ich Frauen lieber wieder auf privaten Partys und durch Bekannte kennen.