Nadja Tolokonnikowa von Pussy Riot
«Trump wird eine lächerliche Figur der Geschichte»

Nadja Tolokonnikova (29) ist Sängerin bei der regierungskritischen Frauen-Punk-Band Pussy Riot. SonntagsBlick sprach mit ihr über Gleichberechtigung, LGBT-Rechte und Donald Trump.
Publiziert: 15.06.2019 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2019 um 23:59 Uhr
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Die Band Pussy Riot trat am Freitagabend an der Zürcher Pride auf.
Foto: Jessica Keller
Cyrill Pinto

Pussy Riot wurden berühmt, als sie 2012 nach einem Auftritt in der Moskauer Kathedrale verhaftet und anschliessend zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Nadeschda Tolokonnikowa, kurz Nadja, sass dafür zwei Jahre lang in einem Straflager für politische Gefangene. Doch sie liess sich nicht brechen. Mit ihrer Band prangert sie Russlands Mächtige an – und setzt sich für Frauen- und LGBT-Rechte ein. SonntagsBlick sprach mit Nadja Tolokonnikowa an der Zürcher Pride, wo Pussy Riot am Freitagabend auftraten.

Pussy Riot sind vor allem für ihre regierungskritische Haltung bekannt. Warum setzen Sie sich auch für die Rechte von Schwulen und Lesben ein?
Nadja Tolokonnikowa:
Viele Leute in unserem Umfeld – vor allem Männer – waren tatsächlich der Meinung, dass wir uns auf Anti-Putin-Proteste konzentrieren sollten. Wir fanden aber, dass wir uns auch für LGBT-Themen einsetzen wollen, da wir hier nicht abseits stehen wollen, um am Ende gar als konservativ dazustehen. Auch wenn es für viele Leute in Russland nicht ganz oben auf der politischen Agenda steht, setzen wir uns dafür ein. So bringen wir das Thema voran, denn die öffentliche Meinung in Russland ist derzeit einem sehr schnellen Wandel unterworfen.

Woher kommt dieser Wandel?
Er kommt von der neuen, jungen Generation. Von Menschen, die heute 20 sind. Sie sind unvoreingenommen. Sie kümmern sich nicht um gesellschaftliche Stereotypen. Etwa ist die Betonung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern irrational, ein unnatürlicher Zustand.

In der Schweiz und an vielen anderen Orten kämpft die ­Gesellschaft für Gleichberechtigung und ein Ende der klassischen Rollenteilung. Wie ­leben Sie Gleichberechtigung in ­Ihren Beziehungen?
Oh! Das ist sehr schwer, da viele Männer immer noch ein rückwärtsgewandtes Bild von einer Beziehung haben. Selbst fortschrittliche Männer, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, pflegen dieses Bild. Nur an der Oberfläche sind sie progressiv. Wenn es dann aber etwa um die Kinderbetreuung geht, hört die Fortschrittlichkeit auf. Ich war viele Jahre verheiratet, habe eine elfjährige Tochter und ich habe dieses Problem selbst erlebt. Ich versuchte meinen Mann davon zu überzeugen, dass ein Kampf um Gleichberechtigung auf der Strasse immer auch mit einem gleichberechtigten Leben verknüpft sein muss.

Warum ist das so wichtig?
Sonst ist man wie einer dieser Politiker, die wir loswerden wollen. Heuchler, die in der Öffentlichkeit ein Bild von sich vermitteln, das mit ihrem Verhalten zu Hause nicht übereinstimmt. Doch ich gebe zu: Sobald Kinder im Spiel sind, wird es schwierig …

Deshalb kämpfen wir auch für höhere Löhne für Frauen und günstige Kinderbetreuung. Wie ist das in Russland?
In Russland ist die Kinderbetreuung kostenlos. Sowieso: Was die Gleichstellung von Frauen betrifft, sind wir in vielen Punkten weiter als die meisten westlichen Länder – wegen unserer Vergangenheit. In Russland wurde das Frauenwahlrecht 1917 eingeführt, die Sowjetunion förderte die Gleichberechtigung. Das sowjetische Regime war in so vielen Facetten falsch und unrecht. Gleichzeitig kann man nicht verneinen, dass es einen positiven Effekt auf die Gleichstellung von Mann und Frau hatte.

Setzt eine gleichberechtigte Gesellschaft nicht auch wirtschaftlichen Ausgleich voraus?
Ja klar, ich bin davon überzeugt, dass wir unsere Gesellschaft nach einem demokratischen Sozialismus organisieren müssen. Wir haben in den letzten Jahren viel über Menschenrechte und Genderfragen gesprochen. Diese Themen sind auch auf der Agenda von liberalen Bürgerlichen. Für Politikerinnen wie Hillary Clinton ist es einfach, Menschenrechte einzufordern und über Gleichberechtigung zu sprechen. Aber letzten Endes muss die Frage nach der Aufteilung von Vermögen gestellt werden – sonst ist Gleichberechtigung nicht wirklich möglich.

Pussy Riot hat einen Song im Repertoire: «Tschaika». Darin wird die Korruption um Russlands Generalstaatsanwalt Juri Tschaika thematisiert. Sein Sohn hat ein Millionenvermögen in der Schweiz und besitzt hier mehrere Immobilien …
Artjom Tschaika, ich weiss. Das ist verrückt. Es ist unglaublich, dass die Schweizer Justiz in diesem Fall keine Untersuchung einleitet. Nicht nur die Schweiz, auch England scheint sich nicht dafür zu interessieren, woher dieses Geld stammt. Dabei klebt Blut daran …

Pussy Riot treten Ende Juni in den USA auf, dort regiert ­Präsident Trump. Fühlen sich sexistische Männer durch ­Leute wie Putin, Trump oder Bolsonaro bestätigt?
Ich denke schon, ja. Aber ich will den Leuten nicht die Hoffnung nehmen. Ich denke, es ist ein letztes Aufbäumen dieser alten patriarchalischen Gesellschaft. Ich denke, noch zehn Jahre, dann werden solche Figuren nur noch lächerliche historische Gestalten sein.

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