Interview mit Pipilotti Rist
Weshalb wir Angst vor Farben haben

Mit «Save the Corals» macht die Videokünstlerin Pipilotti Rist gemeinsam mit dem WWF auf das dramatische Korallensterben aufmerksam. Die Performance findet heute Sonntag, 7. Oktober, von 12 bis 17.30 Uhr im Hallenbad Hirschengraben in Bern statt.
Publiziert: 07.10.2018 um 03:12 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 17:00 Uhr
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«Toi comme le corail symbiotique» – interaktive Performance über und unter Wasser von Pipilotti Rist für WWF Schweiz 2018, Sujet 1.
Foto: Amanda Camenisch
Interview: Jean-Claude Galli

Ein Atelier im Untergeschoss eines Hauses in Zürich, Kreis 4. Pipilotti Rist (56) trägt pinkfarbene Hosen, buntes Hemd und Foulard. Die international erfolgreiche Künstlerin zeigt ihre Schätze, in Kisten geordnet: Postkarten, Fotos, Bilder, Möbel, «ich sammle tausend Dinge». Die letzten Vorbereitungen zur Performance vom Sonntag in Bern laufen. Gemeinsam mit dem WWF will sie auf das dramatische Korallensterben aufmerksam machen.

Die Natur ist in vielen Bereichen bedroht. Wie sind Sie gerade auf die Korallen gekommen?
Pipilotti Rist: Ich machte vor gut 20 Jahren Filmaufnahmen in Ägypten. Als ich das erste Mal auf Tauchgang war, konnte ich mich kaum mehr erholen vor lauter Freude. Da unten war eine dermassen fantasievolle, bunte Welt, die sich die Evolution ausgedacht hat, diese Fische und Korallen, all diese Farben. Vor zwei Jahren bin ich wieder untergetaucht und jetzt war alles tot. Ich kam zur Erkenntnis: Tot sein bedeutet keine Farbe mehr haben. Die Algen, die auf den Korallen leben, lösen sich, wenn die Wassertemperatur nur geringfügig ansteigt. Und die Korallen können keinen Sauerstoff und keine Nahrung mehr aufnehmen. Zuerst bleichen sie aus, dann werden sie grau. Wie es mit uns auch passiert am Ende der Tage. Mein Lieblingsthema, gespiegelt in einer einzigen Tragödie: Farbe bedeutet Leben. Gleichzeitig ist sie verpönt, weil sie als unkontrollierbar gilt. Dieses Verschlingende und Überwältigende der Fantasie kann bedrohlich wirken. (Denkt länger nach) Ich stelle Ihnen gerne eine Gegenfrage: Warum vermeiden wir in unserer Gesellschaft Farben?

Farbe mäandert, ufert aus, überrascht. Das erzeugt Angst, weil es uns konfus macht und unkontrollierbare Handlungen provozieren könnte.
Also eliminieren wir Farbe aus unserem Leben, damit wir es besser kontrollieren können. Aber dadurch gehen wir schnurstracks Richtung Sterben. Wir extrahieren das Leben, damit wir es kontrollieren können … Beim Meer ist es natürlich noch spezieller: Grundsätzlich haben wir schon mal keinen Meeranstoss. Und diese explosive Farbenwelt findet unter der Wasseroberfläche statt, deshalb fällt sie uns noch weniger auf. Wenn unsere Wälder so dramatisch abstürben, würden wir viel rascher reagieren und etwas gegen die Klimaerwärmung unternehmen. Im Wasser hingegen passiert es im Verborgenen. Ich merkte an mir selber: Durchgeschüttelt hat es mich vor Ort. Empathie bringen wir erst hin, wenn wir direkt betroffen sind.

Wie kommen Sie vom Meer gerade ins Berner Hallenbad Hirschengraben?
Wir haben mehrere Bäder in Erwägung gezogen. Wir wollten eines nahe am Bahnhof, zentral gelegen, und die Regionen verbinden. Die Fensterfläche ist gering, was gut ist, kämpfen wir doch gegen den grössten Projektor der Welt an, die Sonne.

Welches ist der Kern des künstlerischen Aktes?
Die Performance ist eine emotionell-poetische Antwort aufs Thema. Mich interessiert das körperliche Bewusstsein. Wir Menschen sind eine Mischung aus Korallen, Affen und Schweinen. Diesen Umstand wollte ich fern des Intellektuellen angehen, auf die körperliche Art, damit uns buchstäblich ein Licht aufgeht. Die Lichtprojektionen aufs Wasser sind wie ein Streicheln des Körpers, es sieht aus wie flüssiges Gold. Unsere Augäpfel haben auch eine Wasserschicht drüber. Und darunter Fett, damit das Wasser nicht überquillt. Diese Tausenden von medizinischen Fakten sind hochkomplex, auf der gefühlsmässigen Ebene können wir sie jedoch einfacher begreifen.

Pipilotti Rist – Schweizer Kunstexport

Die international erfolgreiche Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist (56) wurde einer breiteren Öffentlichkeit erstmals 1992 mit der Videoarbeit «Pickelporno» bekannt. Ihr Künstlername ist eine Reminiszenz an die Kinderbuch-Figur Pippi Langstrumpf. Von 1988 bis 1994 war sie Mitglied der Musik- und Performancegruppe Les Reines Prochaines. Rist lebt und arbeitet in Zürich, mit ihrem Lebenspartner hat sie einen Sohn (geb. 2002). Die Performance von heute Sonntag ist ohne Voranmeldung zugänglich: 12 bis 17.30 Uhr, Hallenbad Hirschengraben, Maulbeerstrasse 14, Bern. Mehr zum Thema unter www.wwf.ch/save-the-corals   

Die international erfolgreiche Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist (56) wurde einer breiteren Öffentlichkeit erstmals 1992 mit der Videoarbeit «Pickelporno» bekannt. Ihr Künstlername ist eine Reminiszenz an die Kinderbuch-Figur Pippi Langstrumpf. Von 1988 bis 1994 war sie Mitglied der Musik- und Performancegruppe Les Reines Prochaines. Rist lebt und arbeitet in Zürich, mit ihrem Lebenspartner hat sie einen Sohn (geb. 2002). Die Performance von heute Sonntag ist ohne Voranmeldung zugänglich: 12 bis 17.30 Uhr, Hallenbad Hirschengraben, Maulbeerstrasse 14, Bern. Mehr zum Thema unter www.wwf.ch/save-the-corals   

Und der konkrete Ablauf?
Man kommt nur mit Badekleidern rein, ist so verletzlicher. Sobald Kittel und Hose weg sind, fehlt der Schutz. Miteinander ins Wasser zu steigen, ist ein physisch-emotionelles Ritual.

Dann ist der Sonntag nicht zufällig, sondern eine Art Alternativpredigt?
Diesen Gedanken hatte ich noch gar nicht, das gefällt mir, eine ganz neue Dimension, diese Verbindung zum Taufen. Als Ritual hat die Taufe ja immer mehrere Ebenen. Eine davon ist es, den anderen zu zeigen, was man alles auf sich nimmt. Für die Gemeinschaft geht man ins Wasser. Der verbindende Aspekt ist da. In dieses Becken, dieses Farbenmeer zu steigen, in dieses Licht, dieses Geglitzer.

Dann wird das ein Kommen und Gehen?
Ja, von 12 bis 17.30 Uhr läuft die Performance. Wir sind gespannt, wie viele Leute erscheinen. Geplant ist ein Turnus von ungefähr 30 Minuten. Die Leute bekommen beim Eingang eine Spielkarte. 50 Prozent sind eine Alge, 50 Prozent eine Koralle. Im Hallenbad bilden sie zusammen eine Symbiose. Am Schluss gibts für jedes Paar eine Überraschung. Das könnte eigentlich fast eine neue Dating-Plattform sein – und ein neuer Flirtspruch: Darf ich deine Koralle/Alge sein? 

Es klopft, ein Handwerker steht plötzlich im Eingang und fragt: «Würde es extrem stören, wenn ich hier jetzt Löcher in die Wand bohre? Oder soll ich lieber am Freitag wiederkommen?» Freitag wäre wohl besser, sagt Rist und lacht

Wir hatten einen Rohrbruch, jetzt ist die Feuchtigkeit in den Mauern drin. Auch hier wieder das Thema Wasser. Wie wir selber zu 90 Prozent aus Wasser bestehen. Wo sind wir stehen geblieben?

Bei der Symbiose …
Genau! Und die Leute bekommen zum Abschluss eine Überraschung. Eine Medaille und damit eine Auszeichnung, dass sie sich taufen liessen von den Farben. Ein befreundeter Künstler in Italien hat die Medaillen mit Flüchtlingen zusammen produziert. Jede ist ein Unikat. Ein Band, daran befestigt sind Plastikteile aus dem Meer.

Woher kam die Idee ursprünglich?
Ich ging auf den WWF zu, weil ich so mitgenommen war nach dem Tauchgang vor zwei Jahren. Ich wollte einen proaktiven Schritt machen, auch weil hier meine Familientradition reinspielt. Ich komme aus einer supergrünen Familie und lebe mit diversen Widersprüchen. Diese versuche ich zu reduzieren, wo es immer möglich ist. Die Idee zur Performance selber haben wir dann gemeinsam entwickelt.

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