Nach dem Bekanntwerden der Missbrauchserfahrungen eines Geschworenen im Prozess gegen die Vertraute des US-Sexualstraftäters Jeffrey Epstein (1953–2019), Ghislaine Maxwell (60), haben deren Anwälte ein neues Verfahren gefordert. Maxwells Anwälte erklärten am Mittwoch gegenüber dem Gericht in New York, dass Äusserungen des Geschworenen «unwiderlegbare Gründe für ein neues Verfahren» darstellten. Dieser hatte sich seit Maxwells Verurteilung in mehreren Interviews über die Beratungen der Jury geäussert.
Darin sagte der 35-Jährige, er habe dazu beigetragen, Geschworene zu überzeugen, die die Aussagen der beiden Hauptzeuginnen der Anklage anzweifelten. Er habe den Geschworenen gesagt, dass er sich ebenfalls nicht an jedes Detail seiner eigenen Missbrauchserfahrung erinnern könne. Zur «Daily Mail» sagte er zudem: «Nach allem, was ich erfahren habe, ist sie genauso schuldig wie Epstein. Ich möchte sie nicht als Monster bezeichnen, aber Raubtier ist das richtige Wort.»
Ghislaine Maxwell droht jahrelange Haft
Vergangene Woche hatten die zwölf Geschworenen Maxwell wegen Sexhandels mit Minderjährigen schuldig gesprochen – ihre Anwälte kündigten jedoch Berufung an. Bei einer Verurteilung droht der 60-Jährigen eine jahrzehntelange Gefängnisstrafe. Das Strafmass soll zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden. Maxwell – einst Epsteins Geliebte und dann über Jahre seine enge Vertraute und Mitarbeiterin – soll jahrelang junge Mädchen für den schwerreichen und gut vernetzten US-Investor Epstein rekrutiert und sich teilweise selbst am Missbrauch beteiligt haben.
Vor den Anwälten Maxwells hatte sich bereits die New Yorker Staatsanwaltschaft schriftlich an die Richterin Alison Nathan gewandt und um eine Untersuchung gebeten. Es sollte geklärt werden, ob der betreffende Geschworene während der Jury-Auswahl offengelegt hatte, dass er selbst Opfer sexuellen Missbrauchs war.
Jury-Mitglied erinnert sich nicht an Frage nach Missbrauch
Bei dem langwierigen Verfahren der Geschworenen-Auswahl vor dem eigentlichen Prozessbeginn hatten die Kandidaten zunächst einen Fragebogen ausfüllen müssen, in dem sie auch angeben mussten, ob sie oder ein Verwandter Opfer von sexuellem Missbrauch waren. Bejahten sie diese Frage, wurden sie eingehender befragt, um festzustellen, ob sie trotzdem unparteiisch über die Schuld Maxwells befinden konnten.
Der betreffende Geschworene hatte einer Nachrichtenagentur gesagt, dass er den Fragebogen «wie im Flug» beantwortet habe. Er könne sich nicht daran erinnern, dass er nach persönlichen Missbrauchserfahrungen gefragt worden sei, versicherte aber, alles ehrlich beantwortet zu haben.
Antrag muss bis zum 19. Januar eingereicht werden
Richterin Nathan wies Maxwells Anwälte an, ihren formellen Antrag auf ein neues Verfahren bis zum 19. Januar einzureichen. Die Staatsanwaltschaft sollte dann bis zum 2. Februar antworten. Nathan sagte nichts dazu, ob sie eine Untersuchung gegen den Geschworenen einleiten wird – sie kündigte allerdings an, dass dieser einen Pflichtverteidiger bekommen sollte, falls er aussagen muss.
Rechtsexperten zufolge würde sich eine Untersuchung vor allem darauf konzentrieren, ob der Geschworene seine eigene Missbrauchserfahrung im Fragebogen offengelegt hatte. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste die Richterin entscheiden, ob dieses Versäumnis den Prozess wesentlich beeinflusst hat. (AFP)