Unauffällig sitzt der grauhaarige Mann an der Bar des Hotels Astoria in Olten. Ein unbekannter Tourist aus Asien, könnte man meinen. Doch Nick Út (70) hat Geschichte geschrieben: 1972 ist ihm mit dem «Napalm Girl» in Vietnam eine der berühmtesten Kriegsaufnahmen überhaupt gelungen, die schonungslos die Gräuel dieses Konfliktes offenlegte.
Blick: Nick Út, was macht ein weltbekannter Fotograf wie Sie in Olten?
Nick Út: Ich bin schon das dritte Mal hier, natürlich wegen dieses tollen Festivals und auf Einladung meines guten Freundes Marco Grob, der es gegründet hat. Die Stadt hat ein ganz besonderes Flair. Normalerweise gehe ich auch im Fluss schwimmen (zeigt Richtung Aare). Aber dieses Jahr ist es mir ehrlich gesagt zu kalt.
Sie sind 2017 nach 51 Jahren bei der Associated Press in den Ruhestand gegangen. Langweilen Sie sich nicht?
Sie müssen sich keine Sorgen machen: Ein Fotograf hört nie auf zu arbeiten. Der Wunsch, etwas unbedingt auf einem Bild zu verewigen, bleibt. Vermutlich ist dies unser vergeblicher Versuch, die Zeit anhalten oder verzögern zu wollen. Wenn ich zu Hause ungeniessbar werde, schickt mich meine Frau zum Fotografieren raus (lacht). Gerade eben war ich für eine Reportage an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, wo sich unzählige Flüchtlingsdramen ereignen. Und nun bin ich froh, wieder weiter reisen und mich ungehinderter bewegen zu können. Der Lockdown mit all seinen Beschränkungen hat mich belastet.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie im Fernsehen die aktuellen Kriegsbilder aus Afghanistan sehen?
Ich bin dann sofort wieder in meiner Vergangenheit, obschon sich Kriege nie vergleichen lassen. Jeder Krieg ist anders, jeder ist schlimm. Und ich denke dann: Die Arbeit wird uns Kriegsfotografen leider nie ausgehen. Das ist für mich persönlich das Schlimmste, dass wir nichts aus unseren Fehlern lernen. Sie sehen: Ich leide immer noch mit meinen früheren Kollegen mit. Auch wenn ich ehrlich gesagt schon froh bin, nicht mehr an vorderster Front zu sein. Ich wurde selbst dreimal verwundet und kenne die Gefahren dieses Metiers nur allzu gut.
Weshalb sind Sie überhaupt Fotograf geworden?
Mein Bruder war bereits für die Associated Press tätig und ist 1965 durch eine Kugel der Vietcong gefallen. Ich setzte alles daran, seine Arbeit fortzuführen, und bekam zuerst eine Arbeit in der Dunkelkammer. Dort habe ich alles Wichtige über Technik gelernt, bevor ich hinausgehen durfte.
Wahrscheinlich hören Sie diese Frage nicht zum ersten Mal, aber: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den 8. Juni 1972 zurückdenken, als Ihnen das ikonische Foto des damals neunjährigen Mädchens Phan Thi Kim Phuc gelang?
Ich habe Hunderttausende von Bildern gemacht. Aber die Szenerie dieses einen Bildes ist mir tatsächlich unentwegt in Erinnerung, weil sie auch mein Leben verändert hat. Zuerst war da dieser Einschlag der Napalm-Bombe. Aus dem Rauch tauchte eine ältere Frau mit einem Baby auf, das vor meiner Kamera starb. Durch den Sucher sah ich dann das flüchtende Mädchen. Am stärksten verinnerlicht hat sich mir der Moment, als ich merkte, dass sich ihre verbrannte Haut ablöste. Ich hielt schlagartig mit Fotografieren inne und schüttete Wasser aus einer Flasche über sie, während sie immer wieder schrie «zu heiss, zu heiss». Wir waren alle in einem Schockzustand. Immerhin habe ich rasch realisiert, dass ich helfen konnte, und habe die Kinder mit meinem Auto ins Spital gefahren.
Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen ein herausragendes Bild gelungen war?
Beim Entwickeln habe ich schnell begriffen, dass das eine wichtige Aufnahme sein könnte. Zuerst wurde ich von den Redakteuren gefragt, weshalb das Mädchen nackt sei, weil das bei der Veröffentlichung in den USA Probleme hätte geben können. Wenig später erschien der damalige AP-Bürochef, schaute sich das Bild an und fragte, weshalb es noch nicht übermittelt worden sei, wir sollten es sofort losschicken. Am nächsten Tag kamen die ersten Reaktionen, und es wollte mit Gratulationen nicht mehr enden. Sprachlos gemacht hat mich allerdings, dass US-Präsident Richard Nixon die Echtheit der Aufnahme zuerst anzweifelte.
«The Terror of War», wie das Bild offiziell heisst, wurde unter anderem zum Pressefoto des Jahres gekürt und Sie erhielten den Pulitzer-Preis. Haben Sie die Publikation je bereut?
Nein, und die Preise waren ja auch nicht das Wichtige. Wäre es nicht erschienen, wäre das Mädchen gestorben. Als das Bild weltweit auf vielen Titelseiten zu sehen war, boten Dutzende Ärzte kostenlos Hilfe an, um ihre Verbrennungen zu behandeln. Die Veröffentlichung hat geholfen, das Leben von Phan Thi Kim Phuc zu retten.
Haben Sie heute noch Kontakt zu ihr?
Aber sicher. Wir schreiben uns regelmässig und besuchen uns. Sie ist mittlerweile UN-Sonderbotschafterin und lebt mit ihrer Familie in Kanada.
Wann ist für Sie ein Bild ein gutes Bild?
Wenn es eine Geschichte erzählt, die mich fesselt, auch wenn es nur für einen Augenblick ist (zeigt auf dem Telefon ein Bild eines Liebespaars, das er an einer Bushaltestelle in Olten aufgenommen hat). Neben dem Krieg gibt es zum Glück auch wunderbare Dinge im Leben.
Und was raten Sie jungen Fotografinnen und Fotografen für ihre Karriere?
Möglichst viel hinausgehen, die Augen offen halten und abdrücken. Und bloss nie die Neugierde verlieren. Kein Tag ist wie der andere.
Der Fotograf Nick Út, 1951 als Huynh Cong Út in Vietnam geboren, lebt heute in Los Angeles. 1972 wurde er mit der Aufnahme eines vor einem Napalm-Angriffs flüchtenden Mädchens berühmt. Das Bild rückte die Intervention der US-Armee in ein neues Licht und beschleunigte schliesslich deren Rückzug. Von der Aufnahme existieren zwei Versionen. Die vollständige zeigt am rechten Rand auch den Fotografen David Burnett (74), der eben seinen Film wechselt. Út flüchtete nach dem Krieg in die USA. Später konzentrierte er sich auf Porträts von Prominenten. Bekannt ist aus dieser Phase seine Aufnahme der weinenden Paris Hilton (40) von 2007.
Der Fotograf Nick Út, 1951 als Huynh Cong Út in Vietnam geboren, lebt heute in Los Angeles. 1972 wurde er mit der Aufnahme eines vor einem Napalm-Angriffs flüchtenden Mädchens berühmt. Das Bild rückte die Intervention der US-Armee in ein neues Licht und beschleunigte schliesslich deren Rückzug. Von der Aufnahme existieren zwei Versionen. Die vollständige zeigt am rechten Rand auch den Fotografen David Burnett (74), der eben seinen Film wechselt. Út flüchtete nach dem Krieg in die USA. Später konzentrierte er sich auf Porträts von Prominenten. Bekannt ist aus dieser Phase seine Aufnahme der weinenden Paris Hilton (40) von 2007.
Heute Sonntag läuft im Kino Capitol Olten ab 12 Uhr der Film «From Hell to Hollywood» über das Leben von Nick Út.