Wann es genau angefangen hat, das weiss ich nicht mehr so genau. Aber seit bald zehn Jahren bleibe ich an Heiligabend allein zu Haus. Nicht mangels anderer Optionen – ich wäre bei meinen Geschwistern oder meiner Mutter immer herzlich willkommen – sondern weil ich das geniesse. Meine Familie kann ich immer noch an den restlichen Weihnachtstagen besuchen.
Wenn sich die Hektik am Nachmittag des 24. Dezembers langsam dem Ende zuneigt, zünde ich mir daheim ein paar Kerzen an, höre Musik, nur meine Katze leistet mir Gesellschaft, wenn ich die Weihnachtsgeschenke einpacke. Irgendwann schalte ich den Fernseher ein und lasse «Sissi» und «Aschenbrödel» durchrauschen, das Programm bleibt ganz mir überlassen, mein Outfit auch – Leggings reichen durchaus für den Solo-Sofaabend.
Die Nachbarin serviert das Festmenü
Einziger Wermutstropfen blieb oft das Kochen, immer wieder habe ich mich dabei erwischt, dass ich wehmütig in die gut gefüllten Einkaufswagen der anderen schielte und dann doch ein Essen für mindestens zwei Personen zubereitet habe. Das erübrigt sich inzwischen, dank meiner Nachbarin Maya. Sie ist mir auf die Schliche gekommen, seither serviert sie mir in aller Selbstverständlichkeit mehrere Gänge vom Festmenü, das sie an Heiligabend für ihre Familie zubereitet.
Das hat sich zu einer kleinen nachbarschaftlichen Tradition entwickelt, inzwischen steuere ich auch etwas dazu bei: meist eine Vorspeise und ein Dessert. Zum Apéro stosse ich mit Maya und ihrer Familie an, dann ziehe ich mich in meine Wohnung auf mein Sofa zurück. Das Alleinsein fühlt sich leicht an, wenn es immer wieder an der Tür klingelt und ein gefüllter Teller davor steht. Gegen 23 Uhr macht sich Mayas Familie auf den Heimweg, dann treffen wir uns auf einen Schlummertrunk, oft besuchen wir gemeinsam die Mitternachtsmesse.
Alleine kochen, aber nicht nur für mich
Dieses Jahr ist alles etwas anders. Wegen Corona feiert meine Nachbarin im Haus ihrer Schwester, dort ist mehr Platz. Meine Geschwister feiern ebenfalls separat im kleinen Kreis, ein grosses Familientreffen gibt es nicht – nur meine Mutter werde ich besuchen. Den Heiligabend werde ich also ganz allein verbringen, zählt man die Katze nicht dazu. Ich bin froh, dass Maya mit dem letzten Zug nach Hause kommt, um Mitternacht treffen wir uns auf unseren Gutenachtdrink.
Für einmal werde ich an Heiligabend wieder kochen, allein, aber nicht nur für mich: Die grosse Portion Ragout werde ich am Weihnachtstag aufwärmen: Zu Gast ist meine Nachbarin Maya. Überflüssig zu erwähnen, was für eine wertvolle Freundin sie geworden ist – besonders in diesem Jahr.