Es kommt alles wieder hoch. Die Angst, die Verzweiflung, die Wut. Gebannt sitzt Hugo Zingg (75) im Kino, sieht sich als einer der Ersten das fertige Breitleinwand-Epos «Der Verdingbub» an, das demnächst in die Schweizer Kinos kommt. Er hat selber darin als Statist mitgewirkt, «weil mir dieser Film sehr wichtig war», wie er betont.
Auch wenn darin nicht seine Geschichte erzählt werde, so habe er sich doch in fast jeder Szene wiedergefunden. «Ich habe diese Hölle selber erlebt. Auch ich wurde fast jeden Tag verprügelt», sagt er.
Anfänglich sei er ja skeptisch gewesen. «Diese Gräuel könnt ihr unmöglich auf Leinwand bannen», habe er der Filmcrew immer wieder gesagt. Doch jetzt sei er erleichtert. «Der Film ist extrem gut gemacht. Er bewegt, rührt zu Tränen, rüttelt auf.»
1936 kam Hugo Zingg als Sohn von einfachen Arbeitern im Berner Mattenquartier zur Welt. Zuerst wurde er in ein Kinderheim abgeschoben, dann im Kriegswinter 1942/43 auf einen Bauernhof im Berner Gürbetal verfrachtet. Gefreut habe er sich, endlich Pflegeeltern zu haben. Doch schnell kam die Ernüchterung. «Von morgens vier Uhr bis spät am Abend musste ich Holz in die Küche schleppen, die Böden schruppen, die Schweinetränke kochen, auf dem Feld krampfen und die Milch in die Käserei fahren», erzählt er. Dafür gab es keinen Dank. Stattdessen sei er den ganzen Tag angeschrieen worden: «Du chasch nüüt, du bisch nüüt, us dir gits nüüt.»
Fast täglich verprügelte die Bäuerin Hugo Zingg mit einem Lederriemen
Geschlafen habe er im ungeheizten, finsteren Gaden. Die Matratze aus Strohfüllung war in grobem Jutestoff verpackt. «Das Bett musste ich mit einem jungen Knecht teilen, der vor mir Verdingbub auf dem Hof war», erinnert sich Zingg.
Für jedes Missgeschick sei er verantwortlich gemacht worden. «Fast täglich wurde ich von der Bäuerin mit einem Lederriemen verprügelt», erzählt der Rentner unter Schaudern. Bettnässer sei er geworden und dafür zusätzlich bestraft worden. «Wenn ich ins Bett pinkelte, wurde ich am nächsten Morgen verklopft.»
Bis zu seinem 16. Geburtstag musste er immer dieselben Kleider tragen, auch wenn sie bald zu eng wurden – Unterwäsche gab es nicht. Bei der Konfirmationsfeier bekam er auf dem Hof einen Napf mit Sauerkraut vorgesetzt – die Bauernfamilie tafelte auswärts.
Einmal im Jahr kam Hugos Amtsvormund auf dem Bauernhof vorbei. «Gesprochen hat er in all den Jahren vielleicht zwei, drei Mal mit mir. Lieber liess er sich von Wein und Platte verköstigen.» Danach habe er sich mit vollen Säcken aus dem Staub gemacht. Auch der junge Lehrer im Dorf wurde von der Bauernfamilie grosszügig dafür belohnt, wenn er den Behörden verschwieg, dass der Bub oft in der Schule fehlte, weil er wie ein Sklave arbeiten musste.
Von einem Erlebnis träumt Hugo Zingg noch heute: «Am Neujahrstag 1950 kam der junge Knecht Fritzli zu mir und sagte, er wolle sich umbringen, weil er es nicht mehr aushalte. Ich weiss noch, wie ich ihm sagte: ‹Mach es – es ist das Beste für dich. Ich würde es auch tun, wenn ich den Mut hätte!›» Stunden später habe sich der Knecht in einem benachbarten Waldstück erschossen.
Für Hugo Zingg ist es wichtig, dass das Schicksal der Verdingkinder endlich in die Kinos kommt. Sein Leben sei verpfuscht. Eine Ausbildung habe er nie machen können. «Es handelt sich hier um eines der grössten politisch-sozialen Verbrechen der Schweiz», sagt er.
Kürzlich hat SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (48) in einer Interpellation verlangt, dass sich der Bundesrat bei den Betroffenen entschuldigt. «Das sind wichtige Schritte», so Zingg. «Wir dürfen nicht vergessen, dass in der schönen heilen Schweiz solche Grausamkeiten an Kindern passiert sind.»
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