Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Sinn und Unsinn der Kundenkarten
«Wer gerne spielt, soll ins Casino gehen»

Der Forschungsleiter der Kalaidos Fachhochschule kritisiert die Detailhändler. Er sagt: Tiefere Preise wären kundenfreundlicher.
Publiziert: 23.07.2017 um 15:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 07:45 Uhr
Christian Fichter, Wirtschaftspsychologe.
Foto: Sabine Wunderlin
Interview: Florian Blumer

SonntagsBlick: Wir Schweizer sammeln deutlich fleissiger Bonuspunkte als unsere Nachbarn. Sind wir einfach die besseren Sparer?
Christian Fichter: Nein. Die Kundenkarten sind kein gutes Indiz dafür.

Aber bei diversen Treuekarten bekommt man doch Prozente und spart bares Geld?
Im Endeffekt spart man eben nicht. Wenn fast alle mitmachen, gibt es kein Sparpotenzial.

Also ist, wer nicht mitmacht, der Dumme?
Er bezahlt mehr als die Mehrheit der Kunden. Und ist so der Leidtragende davon, dass es der Detailhandel geschafft hat, den Kartengebrauch zur Norm zu machen.

Warum haben sich in der Schweiz Kundenkarten etabliert, aber in Deutschland zum Beispiel nicht?
Darüber rätselt die Wissenschaft noch. Wenn wir spekulieren wollen: Es könnte damit zu tun haben, dass der Konsumentenschutz in der Schweiz traditionell schwach ist. Deshalb werden hier die Nachteile der Kundenbindungsprogramme wenig diskutiert, auch in den Medien.

Was läuft in Deutschland anders?
Dort hat sich die Mentalität «Geiz ist geil» durchgesetzt. Darüber kann man sich lustig machen. Aber die Einstellung ist rationaler: Ich will eine Leistung und dafür einen günstigen Preis. Man will sich nicht durch komplizierte Kundenbindungsprogramme verunsichern lassen.

Würden die Kunden also billiger fahren, in Läden einzukaufen, die lediglich tiefe Preise bieten, aber keine solche Programme kennen?
Definitiv. Es profitiert jeder Kunde. Das ist das eine. Das andere: So ist Einkaufen weniger kompliziert. Es gibt Leute, die das Vergleichen von Aktio­nen quasi zum Nebenjob gemacht haben. Aus gesellschaftlicher Sicht ist dies nicht wünschenswert, denn es bedeutet Zeitverlust. Wer gerne spielt, soll ins Casino gehen oder Lose kaufen. Aldi und Lidl zeigen, wie man es richtig macht.

Was ist denn falsch daran, die Treue des Kunden zu belohnen?
Gar nichts, im Gegenteil. Aber es macht einen Unterschied, ob mir der Bäcker mal gratis ein Gipfeli mitgibt oder ob ein Algorithmus mein Einkaufsverhalten analysiert und mir ein Programm Vorschläge macht, von denen es glaubt, dass ich zuschnappen werde. «Nudging» nennt man das im englischen Sprachraum, das «Schubsen» des Kunden, damit er noch mehr kauft. Ich sage nicht, dass das verwerflich ist. Aber ich als Kunde will da nicht mitmachen. Und es werden immer mehr, die so denken.

Bringen diese Bonus-Programme weitere Nachteile für den Kunden mit sich?
Viele haben kein Problem damit, aber es gibt einen Druck auf diejenigen, die sich damit nicht wohlfühlen, dass sie zum gläsernen Kunden werden. Sie müssen für den Schutz ihrer Daten bezahlen.

Können wir Migros und Coop denn nicht mehr vertrauen?
Doch, das können wir. Die Marketingabteilungen in der Schweiz halten die ethischen Standards hoch, da mache ich mir keine Sorgen.

Und doch steht die Umsatzsteigerung im Vordergrund und nicht das Wohl des Kunden.
Natürlich. Daran ist auch nichts Stossendes, Migros und Coop sind schliesslich Wirtschaftsunternehmen. Und es sind keine bösen Firmen. Aber sie haben zwei Gesichter: Mit guten Produkten und Angeboten leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung – andererseits haben sie Marketingabteilungen, die zu allen Mitteln greifen, um das Verhalten des Kunden zu beeinflussen. Ich hoffe, dass die Kundenkarten früher oder später verschwinden.

Was sollten die Anbieter von Kundenkarten tun?
Sie sollten sich fragen: Wie mache ich meine Kunden zufrieden? Dies geschieht nicht über Gratispfannen oder vergünstigte Koffersets. Sondern darüber, dass sie die Erwartungen ihrer Kunden befriedigen: Qualität, gute Beratung, ein einfacher Kaufprozess, tiefe Preise – gerade im letzten Punkt gibt es in der Schweiz noch viel zu tun. Die Kundenkarten tragen dazu nichts bei. Auch die vielen Sammelaktionen, die gerade bei Kindern sehr erfolgreich sind: Das ist Kundenbindung über die Quengelfraktion, das finde ich nicht mehr okay. Dies alles führt letztlich dazu, dass sich viele Leute sagen: Wir gehen zu Lidl und Aldi statt zu Coop und Migros.

Das müssen Sie wissen

Die Marketingabteilungen interessieren sich dafür, was sie wann, wo, zu welchem Preis, in welcher Häufigkeit und in welcher Kombination kaufen.

Zusammen mit den persönlichen Daten aus der Anmeldung und allenfalls auch Ihren Onlinekäufen erstellen sie ein Kundenprofil, welches Sie in ein bestimmtes Kundensegment einteilt: Sind Sie der Bio-Typ? Oder derjenige, der sich von Chips und Schokolade ernährt? Leisten Sie sich öfter mal Sélection oder stehen Sie auf Prix Garantie?

Dies ermöglicht dem Anbieter, Ihnen per Post, E-Mail oder über die App auf Sie zugeschnittene Angebote zu machen, um Sie zum Mehrkauf zu animieren.

Die Tipps

  • Erkennen Sie personalisierte Aktionen und Rabatte und gehen Sie entsprechend vorsichtig damit um.
  • Überlegen Sie sich jedes Mal, ob Sie das vergünstigte Produkt wirklich brauchen, und vermeiden Sie Hamsterkäufe.
  • Lassen Sie sich von Bonuspunkten nicht dazu verleiten, mehr Geld auszugeben als geplant.
  • Lesen Sie die Geschäftsbedingungen.

Die Marketingabteilungen interessieren sich dafür, was sie wann, wo, zu welchem Preis, in welcher Häufigkeit und in welcher Kombination kaufen.

Zusammen mit den persönlichen Daten aus der Anmeldung und allenfalls auch Ihren Onlinekäufen erstellen sie ein Kundenprofil, welches Sie in ein bestimmtes Kundensegment einteilt: Sind Sie der Bio-Typ? Oder derjenige, der sich von Chips und Schokolade ernährt? Leisten Sie sich öfter mal Sélection oder stehen Sie auf Prix Garantie?

Dies ermöglicht dem Anbieter, Ihnen per Post, E-Mail oder über die App auf Sie zugeschnittene Angebote zu machen, um Sie zum Mehrkauf zu animieren.

Die Tipps

  • Erkennen Sie personalisierte Aktionen und Rabatte und gehen Sie entsprechend vorsichtig damit um.
  • Überlegen Sie sich jedes Mal, ob Sie das vergünstigte Produkt wirklich brauchen, und vermeiden Sie Hamsterkäufe.
  • Lassen Sie sich von Bonuspunkten nicht dazu verleiten, mehr Geld auszugeben als geplant.
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