Weniger Verstösse gegen Mindestlöhne
Ausländer halten Schweizer Arbeitsgesetze besser ein

Firmen aus der EU, die Mitarbeiter in die Schweiz entsenden, verstiessen 2019 seltener gegen die hiesigen Arbeitsvorschriften als in den Vorjahren. Gibt das Rückenwind für das Rahmenabkommen?
Publiziert: 19.01.2020 um 00:15 Uhr
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Firmen aus der EU, die Mitarbeiter in die Schweiz entsenden, verstiessen 2019 seltener gegen die hiesigen Arbeitsvorschriften als in den Vorjahren.
Foto: Keystone
Thomas Schlittler

Die Löhne in der Schweiz sind so hoch wie kaum in einem anderen Land: Einem ungelernten Bauarbeiter steht im Kanton Zürich ein Mindestlohn von 26.30 Franken pro Stunde zu. Ein voll ausgebildeter Vorarbeiter hat im grössten Kanton der Schweiz Anspruch auf mindestens 35 Franken pro Stunde.

Diese Mindestsätze müssen auch Firmen respektieren, die ­ihren Sitz in der EU haben und ­Arbeiter in die Schweiz schicken. Das verlangt das sogenannte Entsendegesetz, ein wichtiger Bestandteil der flankierenden Massnahmen zum Schutz der hiesigen Erwerbstätigen.

Ob sich Firmen aus der EU tatsächlich an die Schweizer Vorschriften halten, überprüfen Kontrollbehörden, zusammengesetzt aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie den Kantonen. ­Verstösse werden mit Bussen sanktioniert – oder mit Dienstleistungssperren von bis zu fünf Jahren.

So wenig Verstösse wie nie

Neue Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen: Im abgelaufenen Jahr haben die Kon­trollbehörden so wenige Verstösse entdeckt wie nie, seit diese zentral erfasst werden. Bis zum 23.Dezember wurden wegen Verstössen gegen das Entsendegesetz 3045 Sanktionen ausgesprochen. 2018 waren es 4748 – also 56 Prozent mehr.

Die Zahlen für 2019 sind mit Vorsicht zu geniessen: Ein Teil der Entscheide ist noch nicht rechtskräftig und daher in der Liste bisher nicht erfasst. Zudem haben noch nicht alle Kantone sämtliche Sanktionen gemeldet. Die abnehmende Tendenz dürfte sich aber bestätigen.

Nico Lutz (48), Leitung Sektor Bau bei der Gewerkschaft Unia, überrascht diese Entwicklung nicht: «Insbesondere im Baugewerbe ist die Zahl der Entsendungen von EU-Firmen rückläufig. Folglich können wir weniger kontrollieren – und deshalb werden auch weniger Verstösse entdeckt und sanktioniert.» Zugleich sei aber zu beobachten, dass Schweizer Firmen vermehrt Arbeitnehmer aus dem Ausland beschäftigen, die oft auch temporär arbeiten.

Die rückläufige Zahl der Ver­stösse ist politisch brisant. Denn der Schutz der Schweizer Arbeits- und Lohnvorschriften ist einer der grossen Streitpunkte in der Diskussion um das EU-Rahmenabkommen. In diesem sind Anpassungen der ­flankierenden Massnahmen geplant, namentlich eine Einschränkung der Kautionspflicht sowie der sogenannten Acht-Tage-Regel.

Regelungen seien nötig

Brüssel stört sich an diesen Vorschriften. EU-Firmen würden dadurch gegenüber ihren Schweizer Konkurrenten benachteiligt, so die Kritik. Die Schweizer Gewerkschaften hingegen betonen, dass die Regelungen unerlässlich seien, um zu gewährleisten, dass sich EU-Firmen an Schweizer Arbeits- und Lohnvorschriften hielten – also ans Entsendegesetz.

Angesichts der abnehmenden Anzahl von Kontrollen und Verstössen drängt sich die Frage auf: Sind die Lohnschutzmassnahmen in ihrer heutigen Form tatsächlich noch notwendig? «Auf jeden Fall!», meint Nico Lutz von der Unia. Und ergänzt mit einem Seitenhieb an die Adresse von Brüssel: «Die rückläufigen Zahlen beweisen ja, dass wir die europäischen Firmen nicht unnötig schikanieren, sondern nur dann einschreiten, wenn es angebracht ist.»

Beim Knatsch um das Rahmenabkommen gehe es aber auch um eine viel grundsätzlichere Frage, so Lutz: «Uns ist wichtig, dass die ­sozialen Richtlinien und Schutzmassnahmen der Schweiz nicht ­zugunsten des freien Wettbewerbs geopfert werden.»

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